Hamburg. Sportdokus im Trend: Auch Jonas Boldt bekam mehrere Angebote für eine Fußball-Serie, lehnte aber alle Anfragen ab. Bis auf Weiteres.
Die Angebote, die Jonas Boldt in den vergangenen Monaten auf den Schreibtisch gelegt wurden, hatten durchaus ihren Reiz. Eine eigene Serie über den HSV. Also quasi: Nur der HSV. Auf Netflix, Amazon Prime, bei Dazn oder auf sonst einem dieser neuen Streamingportale. „Es stimmt, dass es mehrere Anfragen in dieser Saison und auch schon in der vergangenen Saison gegeben hat“, sagt Boldt, der sich selbst als eine Art „Netflix-Amazon-Konsument“ bezeichnet. „Ich gucke kaum noch lineares Fernsehen“, sagt der HSV-Sportvorstand, der der Versuchung einer eigenen HSV-Serie aber dennoch standhielt. „Unser Standpunkt ist und bleibt, dass wir uns zunächst einmal auf den Sport konzentrieren wollen“, sagt er. „Grundsätzlich sehen wir die Potenziale solcher Produktionen, zum Beispiel in der Vermarktung. Aber das sind alles Sachen, die wir in einem zweiten Schritt irgendwann mal angehen könnten.“
HSV-Spieler im Kraftraum, beim Frühstück mit Spiegelei und im eigenen Haus, mit dem Handy in der Hand auf der Terrasse sitzend und Instagram checken, wird es in naher Zukunft also zunächst mal nicht zu sehen geben. Bei Borussia Dortmund ist das anders. Gerade erst wurde der vierte und letzte Teil der Doku-Serie „Inside Borussia Dortmund“ auf Amazon Prime veröffentlicht.
Fußball-Serien als Netflix-Renner
Insgesamt 240 Minuten lang können BVB-Fans (in 200 Ländern) ihren Helden in kurzen Hosen folgen – und dürften trotz einiger ungewohnter Einblicke am Ende der vier Folgen zum Urteil kommen, dass es eher „Outside Borussia Dortmund“ heißen müsste, was ihnen online geboten wird. Statt Trainer Lucien Favre sind es vor allem zwei Journalisten, die immer wieder zu Wort kommen. Mal wird ein Meeting beim Italiener mit Aki Watzke, Matthias Sammer, Michael Zorc und Sebastian Kehl gezeigt, bei dem aber der Ton abgedreht wird, als es drohte, interessant zu werden. Mal schimpft BVB-Berater Sammer nach der 0:5-Pleite gegen die Bayern: „So kannst du als Team nicht funktionieren.“
Wirklich gut funktioniert haben eher andere Fußball-Serien. Die Amazon-Doku „All or Nothing: Manchester City“ zum Beispiel. Besonderes Highlight: Wie Ex-HSV-Profi Vincent Kompany mit seinem Schwiegervater, einem glühenden ManU-Fan, im Wohnzimmer über den besten Manchesterclub streitet. Oder auch die Netflix-Serie „Sunderland ’Til I Die“. Eigentlich wollten die Filmemacher den Absteiger aus der heruntergewirtschafteten Hafenstadt im Norden Englands dabei auf Schritt und Tritt folgen, wie der Sunderland AFC den direkten Wiederaufstieg in die Premier League schafft. Am Ende stieg der Traditionsverein noch einmal ab, entließ zwei Trainer und wechselte den Besitzer. Die Saison wurde zum Desaster – und die Doku zum Netflix-Renner.
Professor für Sportkommunikation: "Netflixisierung des Sports"
Thomas Horky hat weder „All Or Nothing“ noch „Sunderland ’Til I Die“ und auch nicht „Inside Borussia Dortmund“ gesehen. Der Professor für Sportkommunikation an der Hochschule Macromedia Hamburg bezeichnet sich selbst als traditionellen Fernsehgucker, der aber die „Netflixisierung des Sports“ durchaus verfolgt. „Man kann die zunehmende Bedeutung des medienunabhängigen Journalismus beobachten, wir nennen das ,Corporate Sports Journalism‘, als vereinseigener Journalismus“, sagt der Hamburger. „Diese Entwicklung hat in England angefangen, ist in Spanien groß und zunehmend auch in Deutschland der Fall.“
Dabei ist Dortmund keinesfalls der erste Serien-Club Deutschlands. Auch der 1. FC Köln hat sich vergangene Saison von einem Kamerateam begleiten lassen, in der Rückrunde dann aber trotz des Aufstiegs den Stecker gezogen. Eintracht Frankfurt hat über seinen Pokalsieg 2018 sogar einen 89 Minuten langen Kinofilm produzieren lassen. Gemeinsam mit Warner Bros. und media tools business communication, die nach Abendblatt-Informationen auch am HSV Interesse gezeigt hatten, wurde ein halbes Jahr lang an dem Film gewerkelt.
Bis zu fünf Millionen Euro für eine Produktion
Doch was hat der Verein von der Schlüssellochperspektive, die er seinen Fans bietet? Ganz platt: Bis zu fünf Millionen Euro. So viel soll der BVB für die Amazon-Produktion erhalten haben. Laut Horky geht es aber um viel mehr als nur um das schnell verdiente Geld. Die Clubs könnten die Deutungshoheit über die eigenen Bilder behalten, erklärt der Medienwissenschaftler. „Wenn Dortmund Inside auf Amazon Prime zu sehen ist, hat der BVB vermutlich auch das letzte Wort. Das ist dann kein unabhängiger Journalismus mehr“, sagt Horky. „Es wird ein Bild kreiert, das die Dortmunder von sich selbst sehen möchten.“
Als Vorreiter dieser neuen Entwicklung darf sich übrigens der DFB feiern lassen. „Das Sommermärchen 2006 war sicherlich der Auftakt in Deutschland zu derartigen Formaten“, sagt Horky. Dem Kinofilm von Starregisseur Sönke Wortmann folgte der selbst produzierte Imagefilm „Die Mannschaft“ über den WM-Triumph 2014 in Brasilien.
Vereine als eigene Medienproduzenten
„Zunehmend werden Vereine, Verbände und auch die Athleten zu eigenen Medienproduzenten“, sagt Horky und erinnert an die Bayern. Anders als der BVB habe der Rekordmeister zwar noch keine eigene Netflix- oder Amazonserie, dafür aber mehrere eigene Medienkanäle und sogar ein eigenes Medienhaus. „Eine ausgegliederte Medien GmbH, mit der sie Einnahmen mit dem Verkauf von Mediencontent verdienen“, sagt Horky.
So weit ist man beim HSV noch nicht. „Wir wollen uns in unserer Entwicklung nicht selbst überholen“, sagt Boldt, der ohnehin kein Serienjunkie sei. Nur bei zwei Serien würde er schwach werden. Erstens: Bei Stromberg. Und zweitens: bei einer Siegesserie seines HSV. Alles andere als schwach wurde der Sportvorstand dagegen bei einem Angebot der „Bild“. Auch die Boulevardzeitung wollte in dieser Saison einen Blick hinter die Kulissen beim HSV werfen und eine Spielzeit lang in der Kabine drehen. Boldt und der HSV lehnten ab.