Karlsruhe. Karlsruher Fans pfeifen HSV-Profi Jatta bei jedem Ballkontakt aus. Jairo trifft, Kittel mit Doppelpack – aber Hecking übt Kritik.

Um 15:24 wurde der HSV erlöst. Mit dem Schlusspfiff des Schiedsrichters Sören Storks eroberte die Mannschaft von Trainer Dieter Hecking die Tabellenführung der Zweiten Liga zurück. 4:2 (2:0) siegte der HSV beim Karlsruher SC – Lukas Hinterseer (16.), Sonny Kittel mit einem Doppelpack (35. und 67.) und der eingewechselte Jairo (90. + 1) erzielten die Hamburger Tore in einem turbulenten Spiel. Dass die Hanseaten nun – das darf man mittlerweile sagen – einer der Topfavoriten auf den Bundesliga-Aufstieg sind, wurde allerdings durch den Unmut der KSC-Fans gegen Bakery Jatta und die anstehenden Folgen der kniffligen Causa getrübt.

Mit nunmehr zehn Punkten aus vier Spielen, was einem Punkteschnitt von 2,5 entspricht, und drei Zählern Vorsprung auf einen Nichtaufstiegsplatz gewinnt das Tableau allmählich an Aussagekraft. In jedem Fall ist der Saisonstart des HSV mit Bravour gelungen.

Hecking weist HSV-Fehler auf

Wenngleich Trainer Hecking nach zwei Gegentoren kurz vor Schluss noch reichlich Verbesserungsbedarf sieht. "Ich habe 65 Minuten ein überragendes Spiel meiner Mannschaft gesehen, danach haben wir es uns aber unnötig schwer gemacht. Der KSC war eigentlich tot. Plötzlich kam wieder Euphorie von den Rängen, das darf uns einfach nicht passieren", sagte der erfahrene Coach bei Sky. "Wir müssen lernen, in solchen Situationen ruhiger zu agieren. Weil wir zu tief standen, haben wir Karlsruhe eingeladen, mit langen Bällen gefährlich zu werden. Das müssen wir verbessern."

Lukas Hinterseer traf souverän vom Punkt zur HSV-Führung in Karlsruhe.
Lukas Hinterseer traf souverän vom Punkt zur HSV-Führung in Karlsruhe. © imago/Jan Huebner

Hecking sieht jedoch auch die positiven Seite daran, dass dem HSV in den letzten 30 Minuten seine Souveränität abhanden gekommen ist. "Es ist aber auch gut, dass uns das heute so klar aufgezeigt wurde. Sonst glaubt, jeder in Hamburg, dass alles glatt durchläuft. Wir sind auf einem guten Weg, haben aber noch viel mehr Arbeit vor uns."

HSV offensiv top, defensiv anfällig

Dennoch wurde in Karlsruhe deutlich: Die Hamburger haben die Spielidee ihres neuen Coaches Hecking verinnerlicht und die Neuzugänge optimal integriert. Mit jeder Woche greift ein weiteres Rädchen ins andere. Auch der Auftritt beim KSC war bis auf die Schlussphase souverän und abgeklärt. Teilweise wirkte es so, als wäre der HSV eine Klasse besser als der Gegner.

Die Offensivspieler sorgten permanent für Torgefahr. In der Defensive haben die Hanseaten dagegen noch Arbeit vor sich. Vor allem Torhüter Daniel Heuer Fernandes leistete sich einige Unsicherheiten, aber auch seine Vorderleute wirkten im zweiten Durchgang nicht immer stabil.

Wegen Jatta: KSC-Sportchef Kreuzer Protest einlegen

Trotz des ungefährdeten Sieges wird auch diese Partie ein juristisches Nachspiel haben. Unmittelbar vor dem Anpfiff bekräftigte KSC-Sportdirektor Oliver Kreuzer sein Bestreben, wegen des Einsatzes von Bakery Jatta und des nun feststehenden Karlsruher Punktverlusts Protest einzulegen. „Man muss sich nur mal vorstellen, nächste Woche platzt die Bombe, es werden Punkte annulliert und wir steigen am Ende wegen zwei Punkten ab. Das wäre natürlich ein Drama", sagte Kreuzer, der sich intern am Montag über das weitere Vorgehen des Vereins beraten will.

HSV-Sportchef Jonas Boldt tauschte sich mit seinem Karlsruher Amtskollegen Oliver Kreuzer am Rande der Partie über den Fall Jatta aus.
HSV-Sportchef Jonas Boldt tauschte sich mit seinem Karlsruher Amtskollegen Oliver Kreuzer am Rande der Partie über den Fall Jatta aus. © imago / eu-images

Der frühere Hamburger Manager hatte bereits am Montag im Abendblatt-Podcast einen Einspruch in Erwägung gezogen. Nun hofft er auf ein versöhnliches Ende für seinen Ex-Club. "Ich glaube aber nicht, dass es so weit kommt, und wünsche dem HSV, dass sich diese Situation im Sinne des Vereins aufklären wird.“ Dennoch würde nach diesen Worten alles andere als ein Karlsruher Protest überraschen.

Seit dem Bericht der "Sportbild" gibt es Zweifel an der Identität des Hamburger Flügelstürmers. Weil Jatta möglicherweise Daffeh heißen und zwei Jahre älter sein könnte, legten Nürnberg (HSV siegte 4:0) und Bochum (1:0) bereits Protest gegen die jeweilige Spielwertung ein. "Er spürt die volle Rückendeckung seiner Mitspieler und der Club-Verantwortlichen", sagte Hecking nach dem Spiel. "Ich finde seine Situation, die auf Verdachtsmeldungen basiert, unsäglich."

Pfiffe gegen Jatta: Hecking greift ein

Zu allem Überfluss wurde Jatta in Karlsruhe auch noch bei jedem Ballkontakt von KSC-Fans, die offensichtlich dringenden Nachholbedarf in Sachen Rechtsprechung haben, lautstark ausgepfiffen. Ein Verhalten, das vor allem in den sozialen Netzwerken für viel Kritik sorgte.

KSC-Trainer Alois Schwartz wollte zwar nicht näher auf die Pfiffe des Publikums eingehen und verpasste dadurch die Chance, ein Zeichen für die Werte seines Clubs zu setzen. Einmal mehr Klartext redete dafür sein Hamburger Amtskollege Dieter Hecking. "Die Fußballfans, die wenig Verstand haben, werden Bakas Situation auch in Zukunft ausnutzen wollen. Baka hat die Reaktionen von den Rängen heute in einer überragenden Art und Weise über sich ergehen lassen. Er hat ein richtig gutes Spiel gemacht und das ist das, was ich bewerte", sagte der Coach in einer emotionalen Rede.

Von den KSC-Anhängern ausgepfiffen, von den HSV-Fans in der Kurve mit Liebe empfangen: Bakery Jatta.
Von den KSC-Anhängern ausgepfiffen, von den HSV-Fans in der Kurve mit Liebe empfangen: Bakery Jatta. © imago/Jan Huebner

Hecking kritisierte zudem, dass Jattas Identität überhaupt infrage gestellt wird – und wählt dafür ein kurioses persönliches Gegenbeispiel. "Er hat einen gültigen Pass vorgelegt. Wenn wir den deutschen Behörden nicht mehr vertrauen können, dann läuft irgendetwas falsch. Vielleicht sollte ich meinen Reisepass auch mal vorlegen, möglicherweise ist damit auch etwas falsch.“

Tatsächlich ließ sich Jatta von den Unmutsbekundungen der Karlsruher Zuschauer nicht beeindrucken. Stattdessen antwortete er auf seine Art. Der pfeilschnelle Rechtsaußen leitete das erste Tor von Kittel mit einem seiner Sturmläufe ein. Zuvor hatte bereits Angreifer Hinterseer per Elfmeter getroffen, nachdem Linksverteidiger Tim Leibold im Strafraum von Karlsruhes Lukas Fröde klar gefoult worden war.

Hitzeschlacht und Jairo-Märchen beim HSV

Leibold war es auch, der sich Fleißpunkte beim Erspielen des dritten HSV-Tores verdiente. Zunächst erneut elfmeterreif gefoult, stand der Nachfolger von Douglas Santos einfach blitzschnell wieder auf, weil der Pfiff von Schiedsrichters Storks ausblieb, und bediente Hinterseer, der für Kittel ablegte. Der Rest war große Fußballkunst des im Sommer von Zweitliga-Absteiger Ingolstadt verpflichteten Neuzugangs. Kittel ließ gleich zwei Karlsruher wie Fahnenstangen stehen und visierte erfolgreich den rechten Torwinkel an.

Die Entscheidung inmitten der Karlsruher Drangphase? Mitnichten! Nach dem Kopfballtor von Abwehrspieler Gordon (76.) und dem Abstauber von KSC-Stürmer Hofmann (87.) wurde es noch einmal spannend. Allerdings nur für vier Minuten. Dann setzt sich Jairo zum Ziel, persönlich für das letzte Ausrufezeichen der Partie zu sorgen. Und so traf der lange Zeit verletzte Spanier nach einem Solo über den halben Platz zum 4:2-Endstand.

Jairo jubelt über sein Tor. Der Spanier war ein Jahr wegen eines Totalschadens im Knie ausgefallen.
Jairo jubelt über sein Tor. Der Spanier war ein Jahr wegen eines Totalschadens im Knie ausgefallen. © imago/Jan Huebner

Eine besondere Rolle nahm derweil nicht nur Jatta, gegen den die Pfiffe im Verlauf der Partie zunehmend leiser wurden, sondern auch das Wetter ein. Bei sommerlichen 30 Grad im Schatten lieferten sich beiden Teams eine Hitzeschlacht. Das Schiedsrichtergespann zeigte sich gnädig und gewährte den Spielern gleich zwei Trinkpausen (23. und 68.). Angesichts der ereignisreichen Schlussphase könnte der Verdacht entstehen, dass die Karlsruher Trinkflaschen nicht nur mit Wasser gefüllt waren.

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Am Ende jubelt dennoch der HSV und der KSC liegt am Boden. Wie schon vor vier Jahren nach dem legendären Relegationsspiel ("Tomorrow, my friend").

Die Statistik:

Karlsruhe: 1 Uphoff – 21 Thiede, 3 Gordon (82. Djuricin), 5 Pisot, 6 Roßbach – 4 Fröde (73. Stiefler), 10 Wanitzek – 27 Grozurek (58. Camoglu), 7 Lorenz, 9 Pourie – 33 Hofmann. – Trainer: Schwartz

HSV: Heuer Fernandes – Gyamerah, Jung, van Drongelen, Leibold – Fein – Narey (79. Jairo), Kinsombi, Kittel (82. Dudziak), Jatta – Hinterseer (79. Wood). – Trainer: Hecking.

Tore: 0:1 Hinterseer (16., Foulelfmeter), 0:2 Kittel (34.), 0:3 Kittel (67.), 1:3 Gordon (76.), 2:3 Hofmann (88.), 2:4 Jairo (90.+1)

Schiedsrichter: Sören Storks (Velen)

Zuschauer: 15.000 (ausverkauft)

Gelbe Karten: Fröde, Gordon (2) – Hinterseer (2), Gyamerah, Fein

Torschüsse: 21:16

Ballbesitz: 42:58 %