Hamburg. Sportrechtler bringen Licht ins Dunkel. Boldt bezeichnet Jatta-Lage als “absurd“. Denn nun erwägt auch der KSC einen Protest.
Um 9.35 Uhr begann der VfL Bochum am Montagmorgen seine Aktivitäten in den sozialen Netzwerken. Und es waren gerade mal 25 Wörter, die ausreichten, um das nächste mittelschwere Beben im Fall Bakery Jatta (21) auszulösen. Über Twitter verkündeten die Westfalen, Protest gegen die Wertung des 1:0-Sieges des HSV am vergangenen Freitag gegen Bochum einzulegen. „Der Einspruch erfolgt im Hinblick auf die nach wie vor ungeklärte Situation um die Spielberechtigung des HSV-Spielers Bakery Jatta, wie sie sich aus den Medienberichten darstellt“, teilte der VfL in einem zweiten Tweet mit.
Aus dem gleichen Grund hatte bereits der 1. FC Nürnberg die 0:4-Niederlage gegen Hamburg vor zwei Wochen angefochten. Und wie die Franken, hat auch Bochum prompt eine Fristverlängerung um zwei Wochen bis Anfang September beantragt.
Bereits am späten Sonntagabend war die viel diskutierte Haltung des VfL über einen Reporter des Magazins „Sportbild“, das die Spekulationen um eine mutmaßliche Identitätsfälschung des Gambiers mit seiner Berichterstattung ins Rollen gebracht hatte, durchgesickert – ebenfalls über Twitter. Pikanterweise waren zu diesem Zeitpunkt weder die sportliche Führung des HSV noch Bochums Trainer Robin Dutt über den geplanten Protest informiert.
„Ein Einspruch wird auf Funktionärsebene entschieden“, sagte Dutt dem Abendblatt wenige Minuten vor dem offiziellen Protest seines Vereins. „Sportlich haben wir verloren, und als Trainer möchte man natürlich nicht drei Punkte am grünen Tisch zugesprochen bekommen, sondern diese auf dem Rasen erarbeiten.“
Sportrechtler kritisiert Bochums Protest
Um etwas Klarheit in die rechtlich weiterhin ungeklärte Situation zu bringen, hat das Abendblatt sich bei mehreren renommierten Sportrechtlern umgehört. Es liegt wohl an der Exklusivität des Streitfalls, dass die Meinungen teilweise auseinandergehen. Die einen sagen, die Clubfunktionäre seien zu einem Protest gezwungen, um sich im Falle eines späteren Abstiegs oder verpassten Aufstiegs nicht haftbar zu machen. Voraussetzung für eine Klage wäre natürlich ein erfolgreicher Protest der anderen Vereine.
Rechtsanwalt Horst Kletke vertritt dagegen eine andere Ansicht. „Es ist falsch, dass man Einspruch erheben muss“, sagt der Experte für Fußball-Arbeitsrecht. Es läge vielmehr im Ermessen des Vereins, über einen Protest zu entscheiden. Deshalb sei er auch verwundert, dass sich sowohl Bochum als auch Nürnberg in ihren Kommuniqués für ihren Vorgang rechtfertigten. „Wenn man also als Club von diesem Recht Gebrauch macht, dann sollte man dazu auch stehen“, sagt Kletke.
Insider: HSV-Deal mit der DFL ist nichtig
Viel entscheidender ist aber ohnehin nicht der moralische Aspekt, sondern sind die drohenden Konsequenzen für den HSV. Sportvorstand Jonas Boldt beteuert, sich bei der DFL abgesichert zu haben, dass Jatta weiterhin eingesetzt werden darf. Auf Nachfrage bestätigte die DFL die gültige Spielgenehmigung des Flügelstürmers. Ob diese auf Basis einer Dokumentenfälschung erteilt wurde, entscheidet aber das DFB-Sportgericht.
Und ein DFB-Insider, der namentlich nicht genannt werden möchte, sagte nun dem Abendblatt, dass das Kontrollorgan die Vereinbarung zwischen der DFL und dem HSV für das anstehende Urteil nicht berücksichtigen werde. Denn verantwortlich sei ausschließlich der Verein. Und es wird noch dubioser: Auf Anfrage teilte der DFB mit, die Hanseaten auf das Risiko weiterer Jatta-Einsätze hingewiesen zu haben.
Der Ausgang der Rechtsfrage, die zum Präzedenzfall werden könnte, ist nach wie vor völlig offen. „Sollte der HSV selbst auch getäuscht worden sein, dann kann dem Club kein negatives Urteil drohen. Anders sieht die Sachlage aus, sollte sich herausstellen, dass der Club von einer angeblichen falschen Identität bereits gewusst haben sollte. Diese Fragen gilt es nun zu klären“, sagt Kletke. Allerdings seien laut dem Sportrechtler vor allem die klagenden Clubs in der Pflicht, Jattas angebliche Identitätsfälschung zu beweisen. „Es gilt der Vertrauenstatbestand zugunsten des HSV.“
Und der HSV ging am späten Montagnachmittag erneut in die Offensive. „Wir sprechen hier über Einsprüche aufgrund von Spekulationen. Das ist doch absurd! Wo soll das hinführen?“, klagte Sportvorstand Jonas Boldt. Die sportliche Leitung bleibt ihrer Haltung treu, Jatta trotz der Vorwürfe einzusetzen. „Wir wünschen uns schnellstmöglich Klarheit, auch zum Schutz eines weiteren geregelten Spielbetriebs“, sagte Boldt.
Auch der KSC erwägt vorab einen Protest
Der HSV sieht den DFB in der Pflicht, eine Entscheidung zu treffen. Tatsächlich könnte der Verband noch in den kommenden Wochen ein Urteil fällen. „Ich gehe davon aus, dass die Angelegenheit bis spätestens Mitte September entscheidungsreif ist“, sagte der Vorsitzende des DFB-Sportgerichts Hans E. Lorenz dem „Kicker“. Damit dürfte gesichert sein, dass die Hamburger nicht den gesamten Saisonverlauf mit Protesten rechnen müssen. Solange sich das Sportgericht nicht positioniert hat, dagegen schon.
Auch der kommende Gegner Karlsruher SC erwägt, im Falle eines Einsatzes von Jatta sowie eines Karlsruher Punktverlustes Einspruch gegen die Wertung des Duells am Sonntag (13.30 Uhr) einzulegen. „Wir warten ab, was diese Woche passiert. Natürlich müssen wir schauen, ob wir uns den anderen Vereinen anschließen“, sagte KSC-Sportchef Oliver Kreuzer im Abendblatt-Podcast.
Der Ex-HSV-Manager teilt zwar die Ansicht seines Amtskollegen Boldt, der DFB müsse den Fall nun „auflösen“. Kreuzer appelliert aber auch an den Rechtsstaat und die Gleichheit vor dem Gesetz. „Wenn er gar nicht die Person ist, die in seinem Pass steht, dann ist alles, was danach gekommen ist, Humbug.“
Jatta-Anwalt beim Amt vorstellig
Um zu klären, ob Bakery Jatta möglicherweise Bakary Daffeh heiße und zwei Jahre älter sei, hat das Bezirksamt Mitte ein Anhörungsverfahren eröffnet und den HSV-Profi bis zum 23. August um die Beantwortung eines Fragebogens gebeten. Diesbezüglich war Jattas Anwalt Thomas Bliwier am Montag vorstellig, um Akteneinsicht einzufordern.
Fest steht, dass Jattas Spielgenehmigung auf Basis eines gültigen Reisepasses erteilt wurde. Wie aus einer älteren Broschüre des DFB hervorgeht, sei seine Identität deshalb nicht infrage zu stellen. „Für Vereine und Verbände besteht jedoch kein Grund, behördliche Dokumente in Zweifel zu ziehen oder die dortigen Angaben selbst zu überprüfen“, heißt es in dem 28 Seiten umfassenden Prospekt über Flüchtlinge. Noch Fragen?