Kitzbühel. Hecking moniert nach Test gegen Huddersfield, das Spiel sei zu brav. Sportdirektor vergleicht Zweite Ligen in Deutschland und England.

Jan Siebert stand pitschepatschenass am Mittelkreis im Stadion Langau. 1:0 hatte seine Mannschaft, Premier-League-Absteiger Huddersfield Town, gerade gegen den HSV gewonnen, als die Stadionregie „Live Is Life“ lautstark zum Besten gab. „So ist das Leben“, sagte Siebert, der sich im strömenden Regen darüber freuen durfte, dass seine Mannschaft den HSV gerade nassgemacht hatte. Aber: „Wir mussten schon einiges dafür tun, den knappen Sieg zu verteidigen“, gab der deutsche Trainer des englischen Zweitligisten nach dem sehr schmeichelhaften 1:0-Erfolg zu, und lobte: „Das, was der HSV da heute gespielt hat, das war richtig guter Fußball.“

Richtig guter Fußball also – ein Kompliment, mit dem Dieter Hecking richtig wenig anfangen konnte. Der HSV-Trainer hatte sich Minuten nach dem Schlusspfiff des letzten Tests im österreichischen Trainingslager unter das Vordach des Kabinenhäuschens vor dem Regen in Sicherheit gebracht – und stellte seine Unzufriedenheit über den „richtig guten Fußball“ seiner Mannschaft richtig deutlich zur Schau. „Das ist alles nett und hübsch, wie wir uns die Chancen herausspielen. Aber das ist alles noch viel zu brav“, grantelte der 54-Jährige. „Es fehlt die Konsequenz und Zielstrebigkeit. Du brauchst diese Gier, Tore machen zu wollen. Im Strafraum muss man dreckig sein und es drauf anlegen.“

HSV-Trainer Hecking: "Das ärgert mich ungemein"

Sieben Tage lang waren der HSV und Hecking im Trainingslager von Kitzbühel. 1:1 haben die Hamburger gegen den Champions-League-Qualifikanten Olympiakos Piräus gespielt, 0:1 gegen Huddersfield Town verloren. Auffällig einerseits: Heckings Mannschaft ließ in beiden Testspielen kaum Torchancen zu. Auffällig andererseits: Der HSV konnte – wie in den vergangenen Jahren – die eigenen Torchancen einfach nicht verwerten. Das dürften auch Darmstadts Trainer Dimitrios Grammozis und Lilien-Sportchef Carsten Wehlmann, die beide vor dem Saisonauftakt am 28. Juli zwischen dem HSV und Darmstadt in Kitzbühel spionierten, so gesehen haben. „Schönreden ist nicht meine Art“, bilanzierte Hecking. „Wenn man nach hinten nichts zulässt, dann darf man nicht verlieren. Das ärgert mich ungemein.“

Heckings Ärger mag verständlich sein, aber ist er auch berechtigt? Fakt ist: Im Duell der beiden Aufstiegskandidaten aus England und Deutschland war es am Sonnabend vor allem der HSV, der fußballerisch überzeugen konnte.

Mutzel hätte gern Talente aus England verpflichtet

Michael Mutzel lächelt. Hamburgs neuer Sportdirektor war in den vergangenen Monaten häufig auf der Insel und gilt als so eine Art England-Kenner. „Ich bin der Meinung, dass Deutschlands Zweite Liga fußballerisch besser als Englands Championship ist“, sagt Mutzel. „In Englands Zweiter Liga wird noch der alte Kick-and-rush-Fußball gepflegt. Es geht um Zweikämpfe, um hohe Bälle, um das Athletische. Die Spielkultur ist in Deutschland höher.“

Trotz seiner Kritik hätte Mutzel nur zu gerne das eine oder andere Talent aus England in diesem Sommer verpflichtet – allerdings am liebsten aus dem Nachwuchs der Premier-League-Clubs und nicht aus der Championship. „Für uns ist die englische Zweite Liga nur sehr bedingt interessant, weil die Spieler dort fußballerisch gar nicht so gut sind, aber trotzdem sehr viel Geld verdienen“, sagt Mutzel. „Finanziell kann sich die deutsche Zweite Liga mit der Championship durch die TV-Gelder nicht messen.“

Tatsächlich dürfen die englischen Zweitligaclubs von dieser Saison an mit TV-Einnahmen von 665 Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre planen. Der Marktwert von Huddersfield Town wird bei „Transfermarkt.de“ mit 116 Millionen Euro angegeben. Zum Vergleich: Der aktuelle HSV-Kader soll nicht einmal 50 Millionen Euro wert sein. Die finanziellen Möglichkeiten, die selbst in Englands Zweiter Liga unbegrenzt scheinen, haben sich natürlich auch bei den HSV-Profis herumgesprochen.

Hecking warnt: „In der Zweiten Liga wird uns nichts geschenkt.“

„England ist für Spieler immer ein Ziel“, sagt Rick van Drongelen und schwärmt: „In England gibt es natürlich sehr viel Geld – auch in der Zweiten englischen Liga. Das Niveau ist sehr hoch, es gibt viele Clubs, die Millionensummen ausgeben können, die es in der deutschen Zweiten Liga so nicht gibt.“ Der Niederländer hat Infos aus erster Hand, er ist mit den Huddersfield-Profis Terence Kongolo und Juninho Bacuna gut befreundet. „Wir haben auch im Urlaub ab und zu zusammen gekickt. Mit ihnen habe ich natürlich auch über den englischen Fußball gesprochen.“ Sein Fazit: „In England gibt es mehr als zehn Mannschaften, die unbedingt aufsteigen wollen und umgerechnet mehr als 30 Millionen Euro ausgeben können. Das ist in Deutschland schon noch anders.“

Hier sind es neben dem HSV eigentlich nur die drei Bundesliga-Absteiger VfB Stuttgart, Hannover 96 und der 1. FC Nürnberg, die in dieser Saison als Aufstiegskandidaten gelten. Trotzdem warnte Hecking: „In der Zweiten Liga wird uns nichts geschenkt.“

Knapp zwei Wochen hat der HSV-Coach bis zum Saisonstart gegen Darmstadt 98 noch Zeit. Immerhin: Ein Großteil der möglichen Startelf stehe nach der Woche in Österreich. „Für das erste Spiel habe ich einen Rahmen im Kopf“, sagte der Fußballlehrer, der im Test gegen Huddersfield zumindest einen weiteren Fan gewinnen konnte. „So wie ich Dieter Hecking kenne, wird er eine Mannschaft aufbauen, die richtig Lust hat aufs Gewinnen und aufs Fußballspielen“, lobhudelte Huddersfield-Town-Coach Jan Siebert. „Das hat man ja heute schon sehr gesehen.“

Manchmal ist eben alles eine Frage der Perspektive.

Hamburger SV: Fernandes – Gyamerah (62. Wintzheimer), David (62. Papadopoulos), van Drongelen, Leibold (62. Vagnoman) – Fein (72. Moritz) – Hunt (72. Dudziak), Özcan (46. Narey) – Jairo (62. Jatta), Hinterseer (72. Wood), Kittel. Tor: 0:1 Diakhaby (22.). Zuschauer: 727.