Hamburg. Transfer zum HSV zog sich wegen „Wechselsperre“ hin. Nun steht der Vertrag. Doch zum Training kann der Brasilianer noch nicht.
In dieser Nacht, das war Ewerton bereits am Dienstagmittag klar, würde er sicherlich nicht viel schlafen. „Ich habe ein paar Verpflichtungen am Mittwochmorgen“, gab der HSV-Neuzugang zwar zu, „aber ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass ich schlafe.“
Natürlich hatte Ewerton einen guten Grund für die Nachtschicht: den Superclásico zwischen Brasilien und Argentinien bei der Copa América. Um 2.30 Uhr deutscher Zeit wurde das Halbfinale der Südamerikameisterschaft angepfiffen – und Ewerton konnte und wollte sich diesen prestigeträchtigen Fußballleckerbissen auf keinen Fall entgehen lassen: „Das Spiel muss ich einfach gucken.“
Mehr als genug Zeit zum Entspannen hatte der Brasilianer in den vergangenen anderthalb Wochen. Rekordverdächtige zehn Tage zog es sich hin, ehe der Wechsel von Nürnberg zum HSV für die festgeschriebene Ablöse von zwei Millionen Euro perfekt war und der Südamerikaner seinen neuen Vertrag (zwei Jahre plus ein Jahr Option) unterschreiben konnte. „Ich blieb die ganze Zeit ruhig und ließ die Dinge geschehen“, sagte Ewerton, dem der Zeitlupen-Wechsel also keine schlaflosen Nächte bereitete.
Kuriose Vertragsklausel ist in Portugal die Regel
Was allerdings bisher noch niemand wusste: Der Transfer verzögerte sich nicht wegen finanzieller Streitigkeiten zwischen Nürnberg und Ewertons Ex-Club Sporting Lissabon. Vielmehr sorgte eine kuriose Vertragsklausel für den Verzug. Wie das Abendblatt erfuhr, hatte Sporting Lissabon bei Ewertons Wechsel nach Nürnberg einen Vertragspassus einarbeiten lassen, nach dem der Club im Falle eines späteren Transfers des Innenverteidigers zu einem der beiden Erzfeinde von Sporting – Benfica oder der FC Porto – eine Vertragsstrafe in Millionenhöhe hätte zahlen müssen.
Und obwohl ein späterer Wechsel des immerhin 30-Jährigen zu Benfica oder nach Porto höchst unwahrscheinlich scheint, wollten sowohl Nürnbergs als auch Hamburgs Verantwortliche den Passus aus dem Vertrag streichen.
Man glaubt es kaum, aber die „Erzrivalen-Klausel“ ist bei Portugals Top-Vereinen nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Und es kommt noch besser: So ließ Sporting vor dreieinhalb Jahren in den Leihvertrag des Uruguayers Sebastián Coates festschreiben, dass er keine Schuhe in Benfica-Farben (Rot) oder Porto-Farben (Blau) tragen dürfe. Dem FC Sevilla wurden die kleingedruckten Klauseln vor zwei Jahren sogar zu viel. Der spanische Club wollte den Niederländer Marvin Zeegelaar für drei Millionen Euro verpflichten, ließ den ausverhandelten Deal aber in letzter Minute platzen, weil Sporting auch in diesem Fall auf die „Erzrivalen-Klausel“ bestand.
Ewerton fällt erstmal wegen Leistenproblemen aus
Bei Ewerton und dem HSV gab es nach zehn Tagen ein Happy End. „Ich bin extrem glücklich, dass ich nun auch offiziell HSVer bin“, sagte der Neuzugang, der sich mit seinem ersten Training allerdings noch gedulden muss. Wegen Leistenproblemen muss der 1,88 Meter große Abwehrmann in den kommenden zwei bis drei Wochen kürzertreten. „Ich bin froh, dass er endlich da ist. Schade ist nur, dass er noch ausfällt, aber das wollen wir so schnell wie möglich in den Griff bekommen“, sagte Trainer Dieter Hecking, der den Neu-Hamburger trotz dessen Verletzung zur besseren Eingewöhnung ins Trainingslager in der kommenden Woche mitnehmen will.
In Sachen Integration muss der Defensivmann ohnehin etwas mehr in die Offensive gehen. Nach drei Jahren in Kaiserslautern und in Nürnberg spricht Ewerton noch immer kein Deutsch. „In Hamburg wurde mir schon ein bisschen Druck gemacht, dass ich nun Deutsch lernen muss. Ich glaube, daran komme ich nicht mehr vorbei“, sagte der Südamerikaner, der um ein Haar bereits vor mehr als zehn Jahren in Deutschland gelandet wäre. In der Saison 2008/09 spielte Ewerton beim MSV Duisburg im Probetraining vor, wurde von Peter Neururer aber zurück nach Brasilien geschickt.
Nach Europa zog es den Hobby-Farmer, der in der Heimat Alagoas im Nordosten Brasilien ein eigenes Landgut betreibt, zwei Jahre später aber doch. Ein Jahr spielte Ewerton in Portugal, ehe es ihn für drei Jahre ins „sehr, sehr kalte Russland“ zog. Richtig heimisch wurde der sehr gläubige Christ im wilden Osten allerdings nicht. Und genau das soll sich nun unbedingt ändern. Bereits am Montagabend fand Ewerton eine hübsche Wohnung in Ottensen, in die er und seine Frau Elisangela ziehen wollen.
HSV sucht weiteren Innenverteidiger
Länger als die Suche nach seinem neuen Zuhause dürfte dagegen die Suche nach einem neuen Partner in der Innenverteidigung dauern. Rick van Drongelen, genau wie Ewerton ein Linksfuß, bleibt beim FC Augsburg ein Wunschkandidat. Erst wenn der FCA, der sich durch die angestrebten Verkäufe von Philipp Max, Martin Hinteregger und vom Ex-Hamburger Michael Gregorisch Einnahmen von bis zu 50 Millionen Euro erhofft, Ernst macht, kann der HSV nachlegen. Kandidaten sind Augsburgs Marvin Friedrich und der Niederländer Timo Letschert. Dass der 26-Jährige von der Sports Entertainment Group (SEG), der gleichen Berateragentur wie im Fall van Drongelens, vertreten wird, ist selbstverständlich nur – ein Zufall.
Alles andere als zufällig ist dagegen die Verpflichtung Ewertons, um den sich bereits Ex-Sportchef Ralf Becker genauso intensiv bemüht hat wie Nachfolger Jonas Boldt zusammen mit Sportdirektor Michael Mutzel. Erkundigen konnten sich die HSV-Verantwortlichen ausgerechnet beim aktuellen Sportchef von St. Pauli (Andreas Bornemann) und beim letzten Kiez-Sportchef (Uwe Stöver). Stöver war es, der Ewerton vor drei Jahren zum 1. FC Kaiserslautern holte. Bornemann verpflichtete den abgeklärten Abwehrmann dann ein Jahr später für den 1. FC Nürnberg. Und das große Glück des HSV: Auf eine „Erzrivalen-Klausel“ verzichteten sowohl der frühere als auch der jetzige St. Paulianer.
Ewerton & Co.: Die HSV-Transfers 2019/20
DFL-Ansetzung: Der HSV tritt am ersten Spieltag am Sonntag (28. Juli, 13.30 Uhr) gegen Darmstadt an. Es folgt das erwartete Montagsspiel in Nürnberg (5. August, 20.30 Uhr).