Hamburg. Neuer Trainer macht dennoch Abstriche. Wann Boldt die Gespräche übernahm und wie Heckings Sohn zum HSV-Fan wurde.
Den Vatertag verbrachte Dieter Hecking am Donnerstag mit seiner Familie in ihrem Haus bei Hannover. Genauer gesagt: mit seiner Frau Kerstin. Der fünffache Familienvater erlebte einen ruhigen Tag. Fast alle seine Kinder waren unterwegs. So wie sein Sohn Aaron. Der 25-Jährige ist gerade mit seiner Freundin im Urlaub auf den Färöer-Inseln unterwegs. Und hat dort am Mittwoch mitbekommen, dass sein Vater ab sofort seinen Lieblingsclub trainiert. „Mein Sohn ist glühender HSV-Fan. Der sitzt gerade auf den Färöer und sagt: Gottseidank, es hat geklappt“, verriet Hecking am Mittwoch um 14 Uhr, als er sich im Volksparkstadion als neuer HSV-Trainer vorstellte.
Zwei Stunden zuvor hatte der Club offiziell verkündet, was sich seit Tagen verdichtete. Hecking übernimmt den HSV. Die endgültige Entscheidung fiel am Dienstagabend. Vorausgegangen war ein erstes Treffen mit dem neuen Sportvorstand Jonas Boldt am Sonntag. Der war selbst erst zwei Tage zuvor im Volkspark als Nachfolger von Ralf Becker vorgestellt worden. Bis dahin hatte Hecking noch mit Becker selbst die Gespräche geführt. „Er hat mir ein sehr gutes Bild vom HSV gezeichnet“, sagte Hecking. Die Freistellung von Becker habe den Trainer zwar überrascht, aber nicht nachhaltig irritiert.
Stark leistungsbezogener Vertrag ausgehandelt
Boldt brachte die Gespräche schließlich zum Abschluss. „Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass sich Dieter als renommierter Bundesligatrainer zum HSV bekannt hat. Er steht für Ruhe, Kontinuität und Sturmaushalten“, sagte der neue Manager, der mit der Hecking-Verpflichtung seinen ersten großen Transfer beim HSV vollzogen hat und direkt mit einer ungewöhnlichen Vertragsvereinbarung überzeugen konnte. So hat der Vorstand mit Hecking einen stark leistungsbezogenen Vertrag ausgehandelt. Dieser beinhaltet zunächst eine Laufzeit von einem Jahr. Schafft Hecking mit dem HSV den Aufstieg, verlängert sich der Kontrakt automatisch um ein Jahr. Gelingt ihm in der Saison darauf in der Bundesliga der Klassenerhalt, läuft das Papier erneut ein Jahr weiter.
Günstig dürfte es für den HSV trotzdem nicht werden. Bei Borussia Mönchengladbach soll Hecking zuletzt rund zwei Millionen Euro im Jahr verdient haben. Beim HSV dürfte es etwa die Hälfte sein. Zum Vergleich: Sein Vorgänger Hannes Wolf, der noch bis 2020 an den Club gebunden ist, erhielt rund 500.000 Euro im Jahr. Und trotzdem bleibt die Frage: Warum macht Hecking das? Warum tut sich ein Mann, der in den vergangenen 14 Jahren bei vier verschiedenen Erstligisten kontinuierlich und erfolgreich gearbeitet und zuletzt noch offen von einem möglichen Engagement als Bundestrainer gesprochen hat, das Himmelfahrtskommando im deutschen Trainergeschäft an?
Die HSV-Trainer seit 2008
Van der Vaart überzeugte Heckings Sohn
„Ich tue mir nichts an. Ich freue mich drauf. Das ist eine Aufgabe, die mich packen kann“, sagte Hecking und klang dabei fast so wie einer der 18 Trainer, die inklusive Interimslösungen seit 2008 ihr Glück im Volkspark versuchten und am Ende allesamt vorzeitig freigestellt wurden. Doch anders als viele Trainer vor ihm dürfte Hecking auch wirklich wissen, was in Hamburg auf ihn zukommt. „Seitdem ich kleiner Junge war, habe ich diesen Verein verfolgt. Ich war damals immer Fan von Kevin Keegan. Seitdem hat es mich immer ein bisschen zum HSV hingezogen. Jetzt bin ich hier Cheftrainer und sehr glücklich.“ Was Keegan für Vater Hecking war, ist Rafael van der Vaart für seinen Sohn Aaron. Als der Niederländer in seiner ersten Zeit für den HSV zauberte, wurde Hecking junior zum Fan und ist es noch heute. Der HSV ist jetzt eine Familienangelegenheit.
Hecking hatte Probleme mit Hunt
Hecking senior ist bewusst, dass seine Zeit in Hamburg aber nicht von familiärer Fußball-Romantik geprägt sein wird. „Es geht darum zu arbeiten. Man baut keine Luftschlösser. Ein bisschen Demut tut uns gut“, sagte Hecking. Die Arbeit begann für den Fußballlehrer unmittelbar nach seiner Präsentation. Zusammen mit Sportchef Boldt plante Hecking die Vorbereitung, die am 17. Juni, also in weniger als drei Wochen beginnt. Testspiele und Trainingslager müssen abgestimmt werden. Vor allem aber geht es darum, den Kader zu planen, mit dem der Wiederaufstieg gelingen soll.
Nahezu alle Positionen und Planstellen in der Mannschaft müssen diskutiert werden. Bleibt Torhüter Julian Pollersbeck? Was wird aus Gotoku Sakai? Kann der Club Rick van Drongelen, an dem PSV Eindhoven interessiert ist, halten? Und wie reagiert Aaron Hunt? Der verletzungsanfällige Kapitän arbeitete vor vier Jahren mit Hecking in Wolfsburg zusammen und wurde nicht glücklich. Als er im November 2014 in der Europa League gegen Krasnodar (zwei Tore) und drei Tage später gegen den HSV (ein Tor) seine besten Spiele für Wolfsburg machte, anschließend auf Schalke aber wieder nur auf der Bank saß, kam es zu einem „kleinen Bruch“, wie Hecking nun bestätigte. „Es war eine schwierige Zeit für ihn.“
Bremser wird Co-Trainer, Rabe Torwarttrainer
Trotzdem will Hecking mit Hunt nun ein Gespräch führen und alte Probleme ausräumen. „Er ist ein wichtiger Spieler. Das Wichtigste ist, dass ein Dieter Hecking mit Aaron Hunt spricht. Das werden wir zeitnah tun. Da ist alles offen.“ Offen ist auch noch die Besetzung des Trainerstabs. Hecking bringt in jedem Fall seinen langjährigen Co-Trainer Dirk Bremser (53) mit, mit dem er seit 2001 zusammenarbeitet. „Er ist wie meine zweite Ehefrau, den tauscht man nicht einfach so aus“, sagte Hecking. Von den bisherigen Assistenten André Kilian und Maik Goebbels müsse er sich zunächst ein Bild machen. Er werde in jedem Fall nicht „wie die Axt im Walde durch den Staff gehen“. Eine Veränderung ist seit Donnerstag aber klar: Kai Rabe (38) kommt vom Karlsruher SC als neuer Torwarttrainer. Er löst Nico Stremlau (27) ab, dessen Vertrag ausläuft.
22 Minuten dauerte Heckings Präsentation, ehe er mit den Fotografen das erste Mal als HSV-Trainer auf den Rasen des Volksparkstadions ging. Vor rund einem Jahr war er hier zuletzt mit Mönchengladbach zu Gast. Es war gleichzeitig das bislang letzte HSV-Spiel in der Bundesliga. Läuft ab jetzt alles nach Plan, könnte Hecking der Trainer sein, mit dem die Hamburger im August 2020 das nächste Bundesligaspiel bestreiten.