Hamburg. Stürmer gibt mit feuchten Augen letzte Autogramme. Aufsichtsrat bestellt Becker und Hoffmann ein. Wer noch alles gehen könnte.
Das letzte Auto war bereits längst vom Spielerparkplatz am Volkspark gerollt, als Montagmittag um Punkt 14 Uhr dann doch noch ein paar Worte des Abschieds rausmussten. Lewis Holtby, mit einem grauen Cap verziert mit einem schwarzen Hamburg-Anker, wandte sich per Videobotschaft an seine Fangemeinde: „In Hamburg sagt man ja bekanntlich Tschüs“, sagte der einstige Publikumsliebling, der am Sonntag beim 3:0-Sieg gegen Duisburg zwar noch einmal im Stadion war, aber lediglich im kleinsten Kreis nach der Partie verabschiedet wurde. Via Facebook sagte Holtby nun am Montag: „Nach fünf Jahren ist es auch für mich Zeit, Tschüs zu sagen. Und vor allem Danke zu sagen.“
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Anders als der Großteil der Mannschaft, der sich am Montagvormittag noch ein letztes Mal zum Abschlussfrühstück mit dem ebenfalls scheidenden Cheftrainer Hannes Wolf traf, zog es der zuletzt suspendierte Holtby also vor, sich interaktiv statt analog zu verabschieden. „Ich habe den Club lieben und schätzen gelernt“, sagte Holtby mit brüchiger Stimme. Und natürlich habe auch er am Vortag eine Träne vergossen. „Ich wünsche dem HSV alles Gute.“
Für Holtby, der fünf Jahre für den HSV spielte, war es ein Abschied durch die Hintertür. Und er war nicht der Einzige. So hatten die HSV-Verantwortlichen aus Sorge vor unschönen Reaktionen des Publikums ganz bewusst darauf verzichtet, ihre bereits feststehenden Abgänge wie sonst üblich am letzten Spieltag offiziell, mit ein paar netten Worten und Blumen, zu verabschieden. Dies wurde im Fall von Pierre-Michel Lasogga, Fiete Arp und den Leihspielern Orel Mangala, Hee-chan Hwang sowie Léo Lacroix am Montagvormittag noch einmal im kleinen Rahmen nachgeholt.
Lacroix hofft noch auf HSV-Offerte
„Es war noch einmal ein nettes Frühstück, nun mache ich erst einmal Urlaub“, sagte Lacroix, der zum Abschied eine gerahmte Collage von Sportvorstand Ralf Becker bekam. Per festgeschriebener Ablöse von zwei Millionen Euro hätte der HSV den baumlangen Schweizer von St. Etienne verpflichten können, worauf der Club aber offenbar verzichtet. Eine kleine Hintertür wollte sich Lacroix dann aber doch offenhalten: „Es kommt ein wenig auf den neuen Trainer an. Im Fußball ist alles möglich.“
Zunächst einmal verabschiedete sich aber am Montagvormittag der alte Trainer in aller Höflichkeit von seinen Spielern – und auch von den vor einer Absperrung wartenden Fans. Bevor Hannes Wolf ein letztes Mal in sein Auto stieg und aus dem Volkspark davonbrauste, kam der Coach auf die knapp 20 Anhänger zu und verabschiedete sich der Reihe nach per Handschlag. „Macht’s gut“, rief Wolf freundlich, winkte und fuhr direkt zur Familie nach Dortmund.
Sakai: Ich werde seit Monaten kritisiert
Einen etwas weiteren Weg hatte Gotoku Sakai gestern noch vor sich. Doch obwohl der frühere Kapitän bereits am Montag in die Heimat nach Japan flog, nahm sich auch der am Vortag lautstark ausgepfiffene Sakai nach dem 45 Minuten langen Ratzfatz-Frühstück noch einmal alle Zeit der Welt – um ganz nebenbei auch seine Enttäuschung einmal deutlich zu machen.
„Fußball ist ein Ergebnissport. Ich verstehe, dass man pfeift, wenn wir als Mannschaft diese Ergebnisse nicht liefern. Aber es tat schon weh, dass das ganze Stadion nur mich auspfiff“, gab Sakai unumwunden zu. „Wenn ich offen und ehrlich bin, dann hatte ich diese Reaktion nicht erwartet. Ich werde ja schon seit Monaten kritisiert – und das ist auch okay, damit muss man als Fußballer leben. Ich bin ja selbst mein größter Kritiker. Aber es ist nicht in Ordnung, sich einen Einzelnen rauszupicken. Das macht mich nach all den Jahren schon ein wenig traurig.“
Und obwohl Sakai nicht zu den offiziell verabschiedeten Spielern zählte, bleibt die Frage, wie es mit dem 28 Jahre alten Defensivallrounder weitergeht. „Ich habe ja noch einen Vertrag. Ich weiß aber noch nicht, wie es nun weitergeht“, sagte der Japaner, der öfter betont hatte, früher oder später gerne wieder in der Heimat spielen zu wollen. „Dieser Moment ist aber noch nicht da. Darüber habe ich auch nicht mit dem HSV gesprochen“, bekräftigte Sakai, der noch ein Jahr in Hamburg Vertrag hat. „Im Moment ist alles offen.“
Verlassen Pollersbeck und Papa den HSV?
Sakai gehört zu einer großen Gruppe von Spielern, die am Montag zwar kein gerahmtes Bild überreicht bekamen, bei einem entsprechenden Angebot aber den Club verlassen dürften. Ähnliches gilt auch für Torhüter Julian Pollersbeck oder Kyriakos Papadopoulos, der sich gestern von seinem Vater abholen ließ. Sehr gerne in Hamburg bleiben dürfen dagegen Manuel Wintzheimer oder Mats Köhlert, die allerdings noch gar nicht wissen, ob sie das überhaupt wollen. Douglas Santos hatte dagegen schon am Vortag sehr deutlich gemacht, dass er den HSV definitiv verlassen wolle: „Ich glaube, dass für mich hier Schluss ist.“
Einer der ganz wenigen, der sich in aller Form und auf allen Kanälen verabschiedete, war ausgerechnet einer der Jüngsten: Fiete Arp. Der 19 Jahre alte Stürmer, der bereits beim Spiel gegen Duisburg Rotz und Wasser geheult, seinen Wechsel zu den Bayern anschließend erklärt und sich auch noch einmal via Facebook verabschiedet hatte, ließ sich gestern als letzter Spieler um kurz vor 12 Uhr von Freundin Linda abholen.
„Es war noch einmal nett, sich heute Morgen in Ruhe von der Mannschaft zu verabschieden“, sagte Arp am Mittag. Ähnlich wie Wolf nahm sich auch der Youngster für jeden einzelnen Fan noch einmal Zeit, verteilte auf Anfrage Erinnerungsgeschenke und machte ein Selfie nach dem nächsten. „Ein Tapetenwechsel tut mir sicherlich gut, das Hamburger Umfeld ist auch nicht immer einfach“, so Arp. „Den Volkspark werde ich aber definitiv vermissen.“
Aufsichtsrat bat Becker und Hoffmann zum Gespräch
Das gilt mit Sicherheit auch für Pierre-Michel Lasogga. Der bullige Angreifer kam am Montag um kurz vor 10 Uhr als einer der Letzten und fuhr um kurz nach 11 Uhr als einer der Ersten. Doch kalt ließ den früheren Fanliebling, der ebenfalls ein paar leise Pfiffe am Sonntag bei seiner Einwechslung gegen Duisburg über sich ergehen lassen musste, die Stunde dazwischen ganz und gar nicht. Zwar wollte sich Lasogga nach dem Frühstück nicht mehr äußern, gab aber aus dem Auto heraus mit Tränen in den Augen noch geduldig Autogramme.
„Pierre war sehr traurig. Er war ja ewig hier beim HSV. Das ist natürlich eine emotionale Sache für ihn“, sagte Aaron Hunt, der das ganze Jahr als enttäuschend einordnete: „Ich muss erst einmal abschalten. Es war eine sehr kräftezehrende Saison“, so Hunt. „Natürlich haben wir unsere Ziele nicht erreicht.“
Das sah der versammelte Aufsichtsrat am Abend ähnlich. Bevor man sich endgültig von der Saison verabschiedete, baten die Kontrolleure Sportvorstand Becker und Clubchef Bernd Hoffmann zum ausführlichen Analysegipfel. Und anders als bei manch einem Spieler hieß es im Anschluss: In Hamburg sagt man Tschüs. Das heißt auf Wiedersehen.