Hamburg. Der Youngster trifft und redet über seinen Abgang Richtung Bayern. Historisch junges Team. Santos kündigt ebenfalls Wechsel an.

Das Bild zum Schluss sagte vieles aus. Die Profis des HSV trauten sich nach dem Abpfiff beim 3:0 (1:0)-Sieg über Absteiger MSV Duisburg nur bis zur Strafraumgrenze vor die Fantribüne des Volksparkstadions. Unsicher standen sie da, schauten verlegen auf den Rasen, wussten nicht, ob sie klatschen oder den Fans zuwinken sollten, wussten nicht, ob sie wegen des verpassten Aufstiegs aus der 2. Fußball-Bundesliga ausgepfiffen und beschimpft werden. Die Trainercrew um den scheidenden "Chef" Hannes Wolf hielt noch größeren Sicherheitsabstand. Sie blieb an der Mittellinie stehen. Nur nicht provozieren, schienen sie sich zu sagen.

Der für den Aufstiegskampf wertlose Sieg am Sonntag hatte zumindest für ein harmonisches Ende gesorgt: Nach acht Spielen ohne Erfolg wieder ein dreifacher Punktgewinn. Das Team hatte Wolf erhört, der einen Ausstand mit Anstand gefordert hatte. "Auch wenn es das nicht wieder gut macht, wie es in den letzten Wochen gelaufen ist, war es heute ein versöhnlicher Abschluss vor den tollen Fans", meinte der 38-Jährige nach seinem letzten Arbeitstag.

Im Video: Die Saisonanalyse

Der Rücken – HSV-Kapitän Hunt nicht im Aufgebot

Wolf musste vor seinem letzten Spiel als HSV-Trainer kurzfristig umdisponieren. Kapitän Aaron Hunt litt wieder unter Rückenbeschwerden und wurde deshalb kurzfristig aus dem Aufgebot gestrichen. Ihn ersetzte Jonas David (19), der am Sonnabend noch für die zweite Mannschaft beim 1:1 im Regionalliga-Finale bei Hannover 96 II getroffen hat. Der Youngster nahm allerdings zunächst auf der Bank Platz, ebenso wie Toptorjäger Pierre-Michel Lasogga.

In der Startformation versuchen durften sich dafür die Nachwuchsstürmer Manuel Wintzheimer (20) und, in seinem wohl vorerst letzten Spiel für den HSV, Fiete Arp (19) auf Rechtsaußen. Auf dem linken Flügel erhielt Mittelfeldtalent Mats Köhlert (21) eine erste Bewährungschance von Beginn an nach zuvor zwei Kurzeinsätzen.

Jüngste HSV-Profimannschaft aller Zeiten

Überhaupt war es mit einem Altersdurchschnitt von 22,6 Jahren die jüngste HSV-Profimannschaft aller Zeiten. Josha Vagnoman (18), Rick van Drongelen (20), Vasilije Janjicic (20) und Berkay Özcan (21) sind in ihren Nationalteams ebenfalls noch als Junioren geführt.

Verzichten musste Wolf bei seinem HSV-Abschiedsspiel auf Torhüter Julian Pollersbeck (Infekt) und die noch nicht vollständig genesenen David Bates, Jairo Samperio, Kyriakos Papadopoulos und Orel Mangala.

Dass die Mannschaft den gedämpften Erwartungen der Anhänger gerecht werden wolltte, war gleich erkennbar. Nach nur 47 Sekunden lag der Ball im Duisburger Netz. Doch Schiedsrichter René Rohde (Rostock) verweigerte dem Tor von Manuel Wintzheimer die Anerkennung. Josha Vagnoman soll vor seinem Pass im Abseits gestanden haben, als er von Fiete Arp angespielt wurde – den Fernsehbildern nach eine Fehlentscheidung. Pech für den HSV: Der Videobeweis wird erst nächste Saison in der 2. Bundesliga eingeführt.

Lacroix besorgt die HSV-Führung, Wintzheimer erhöht

Nach 14 Minuten stand es dann doch 1:0: Nach einem Eckball von Douglas Santos stieg Innenverteidiger Léo Lacroix am höchsten und köpfte vor dem herauseilenden MSV-Torwart Daniel Mesenhöhler ein. Für den Schweizer Leihspieler Lacroix war es im möglicherweise letzten Spiel für den HSV der erste Treffer. Mit der knappen Führung verabschiedete sich der HSV in die Pause – begleitet von nur vereinzelten Pfiffen.

Und die verstummten spätestens in der 49. Minute. Erneut war es ein Santos-Eckball, der im Duisburger Strafraum für Unordnung sorgte. Lukas Fröde fälschte unglücklich an den zweiten Pfosten ab, wo Wintzheimer nur abstauben musste. Zehn Minuten später jubelte Wintzheimer erneut – doch diesmal stand er vor seinem sehenswerten Treffer klar im Abseits.

Arp trifft und kämpft mit den Tränen

Wenig später stand es dann aber doch 3:0. In seinem mutmaßlich letzten Spiel für den HSV erzielte Arp, von Gideon Jung in Szene gesetzt, seinen ersten Treffer in der 2. Bundesliga (64.). Der künftige Münchener setzte sich entschlossen gegen Gembalies durch, lief auf Mesenhöhler zu und umdribbelte schließlich auch den Keeper.

Beim Jubel vor den Fans muss er mit den Tränen kämpfen – ein Sinnbild für eine HSV-Saison, in der vieles möglich war und wenig erreicht wurde. "Da brechen alle Dämme", erzählte der Stürmer später über seinen emotionalen Ausbruch: "Ich habe so sehr gehofft, dass dieser Moment noch kommen wird." Er wechselt wie berichtet zu Bayern München. "Nach neun Jahren ist es nun Zeit, auf Wiedersehen zu sagen", so Arp. "Dieser Verein wird immer besonders bleiben", so Arp auf Instagram.

Sakai mit Pfiffen empfangen

Kurz darauf kamen Bakery Jatta (für Jung) und Toptorjäger Pierre-Michel Lasogga (für Mats Köhlert) ins Spiel, später auch Gotoku Sakai (für Berkay Özcan). Der Ex-Kapitän wurde mit wütenden Pfiffen empfangen, wofür van Drongelen kein Verständnis zeigte: "Das ist sehr schade. So etwas hat keiner verdient."

Die Kapitänsbinde durfte unterdessen Arp übernehmen. Für ihn und die HSV-Anhänger ein versöhnlicher Ausklang. "Wir wollten mit den ganzen jungen Leuten auf dem Platz noch einmal ein gutes Spiel machen", sagte Wolf, "das ist uns gelungen. Ich freue mich für alle Jungs, die heute eine gute Leistung gezeigt haben."

Fast 6000 Plätze bleiben leer

Vor dem Spiel hatten viele Fans noch versucht, ihre teuer erworbenen Tickets am Stadion loszuwerden. Einige kündigten an, nächste Saison nicht mehr wiederzukommen.

Offenbar hatten schon zuvor viele von der Option Gebrauch gemacht, die Karten zurückzugeben. Offiziell waren nur 51.147 Zuschauer im Stadion – fast 6000 weniger, als das Stadion an Plätzen hat.

Von einem Stimmungsboykott, wie ihn ein Fanclub gefordert hatte, war allerdings nichts zu spüren, im Gegenteil: Die Mannschaft wurde schon beim Aufwärmen im Stadion fast schon trotzig gefeiert. Und am Ende gab es Applaus und "Derbysieger"-Sprechchöre.

Ausgelassen Feiern durften andere. Der SC Paderborn steigt trotz einer 1:3-Niederlage bei Dynamo Dresden zum zweiten Mal nach 2014 in die Bundesliga auf. Union Berlin reichte ein 2:2-Unentschieden in Bochum nicht, der Hauptstadtclub muss auf die Relegation gegen den VfB Stuttgart hoffen.

Lotto King Karl appelliert an HSV-Spieler

Stellvertretend für alle Anhänger hatte HSV-Barde Lotto King Karl die Ansprüche am Mittag in einem offenen Brief an die Spieler formuliert und bei Facebook veröffentlicht: "Liebe Lizenz-Fußballspieler! Die Wenigsten von Euch werden wissen wer ich bin und was das hier soll. Das ist auch nötig, Ihr habt alle viel wichtigere Dinge in Euren Köpfen. Nur bitte schaut doch ganz kurz mal: das ist ein Fußballplatz. Und Ihr seid doch Fußballspieler. Könntet Ihr bitte Fußball spielen?", schrieb der Stadionsprecher und -sänger.

Unterschrieben war der Appell mit "Ein HSV-Fan". Dass ihn viele Spieler nicht kennen, dürfte aber Koketterie sein: Lotto King Karl (52) singt vor jedem Spiel die Hymne "Hamburg meine Fußballperle" live im Stadion.

Santos kündigt Abschied an

Für Douglas Santos wird nächste Saison wohl eine andere Hymne gespielt. Der brasilianische Olympiasieger kündigte direkt nach dem Spiel seinen Abschied vom HSV an. „Ich habe alles gegeben – für diese Mannschaft, für diesen Verein. Aber jetzt ist Schluss. Ich muss eine neue Richtung finden.“

Santos' Vertrag gilt noch bis 2021. Der HSV hofft, durch den Verkauf des Linksverteidigers eine Ablöse in achtstelliger Höhe zu erzielen.

Innenverteidiger van Drongelen (Vertrag bis 2022) deutete dagegen seinen Verbleib an: "Ich werde aus meinem Herzen heraus entscheiden, und ein Teil meines Herzens wird immer blau-weiß-schwarz sein.“