Hamburg. “Systemversagen“: HSV-Chef spricht über den Nichtaufstieg, den neuen Kader, den Trainer – und wie RB Leipzig ein Vorbild sein kann.
Es wurde fleißig aufgebaut am Dienstagmittag vor dem Volksparkstadion. Helfer packten an, alle Bausteine wurden an die richtige Stelle gebracht. „Gemeinsam aktiv sein“ stand auf einem großen Banner vor der Geschäftsstelle der HSV-Verantwortlichen. Die Ziellinie wurde direkt am Fuße der Arena ausgelegt. Darüber hing die Botschaft: „You are heroes“ – Ihr seid Helden. Der Volkspark rüstete sich für den „B2Run“, dem DAK-Volkslauf für Unternehmen, der am frühen Abend startete.
Während das Aufbauteam die 8000-Teilnehmer-Veranstaltung vorbereitete, stand Bernd Hoffmann im ersten Stock der HSV-Arena, legte seine Hände auf das braune Stehpult des Presseraums und erklärte vor acht Kamerateams seinen persönlichen Aufbauplan. „Wir müssen jeden einzelnen Stein umdrehen“, sagte der Clubchef. Hoffmann, dunkelblauer Anzug, weißes Hemd, weiße Turnschuhe, sprach das erste Mal zu den Medien, seit der HSV am Sonntagnachmittag durch das 1:4 beim SC Paderborn den Wiederaufstieg in die Bundesliga endgültig verspielt hatte.
Zwei schlaflose Nächte später hatte sich der 56-Jährige wieder ein wenig sortiert. „Wir mussten den überflüssigsten Nicht-Aufstieg der Fußballgeschichte erst einmal verdauen.“
Wer hat Schuld?
Der Vorstandsvorsitzende war nun damit bemüht, die Schuldfrage zu beantworten. Wer hat Schuld daran, dass der HSV den im Winter sicher geglaubten Aufstieg in einer kaum für möglich gehalten Art und Weise aus der Hand gegeben hat? Trainer Hannes Wolf? Die Mannschaft? Oder liegt die Schuld doch eine Ebene höher, im Vorstand selbst?
Hoffmann wird deutlich, als er mit dieser Frage konfrontiert wird. „Es handelt sich um ein Systemversagen“, sagte Hoffmann und drehte die Zeituhr rund fünfeinhalb Monate zurück. „Das Sportsystem ist bei uns irgendwann im Winter kollabiert und bis zum Sonntag nicht wieder auf die Beine gekommen.“
HSV verliert gegen Paderborn:
Der HSV verliert den Showdown gegen Paderborn
Rückblick: Es ist der erste Tag im Januar, als Hoffmann im Abendblatt seine Ziele für das neue Jahr beschreibt. Zu diesem Zeitpunkt ist der HSV Tabellenführer mit sechs Punkten Vorsprung auf den Vierten, Union Berlin. Die 37 Punkte sind zwar mühsam zustande gekommen, trotzdem glaubt zu diesem Zeitpunkt kaum jemand, dass die Hamburger nach der Winterpause ein „Debakel“ erleben werden, wie es Hoffmann am Dienstag formulierte. „In den vergangenen Jahren ging es am Jahreswechsel immer darum, den drohenden Untergang abzuwenden. Dieses Jahr geht es nun eher darum, dass wir unsere Chancen, die wir haben, auch wirklich nutzen“, so Hoffmann damals.
HSV hat mal wieder eine Chance vertan
Und heute? Chance vertan. Mal wieder. Für Hoffmann eine Enttäuschung. Aber eine erwartbare Enttäuschung. „Der sportliche Bereich ist nicht das Ergebnis der letzten sechs bis acht Monate. Das ist ein Ergebnis von Jahren, in denen wir Entwicklungen verschlafen haben.“ Vor allem aber hat der HSV es in der Winterpause versäumt, die entsprechenden Signale zu empfangen und darauf zu reagieren. Diesen Vorwurf müssen sich der Vorstand um Hoffmann und der für den Sport verantwortliche Ralf Becker gefallen lassen. Hoffmann übte nun auch Selbstkritik: „Da haben wir alle gemeinsam nicht den richtigen Zeitpunkt gefunden, dagegen anzusteuern.“
Wie aber geht es sportlich, wirtschaftlich und strukturell weiter mit dem HSV? Kann sich der Club ein weiteres Jahr in der Zweiten Liga überhaupt leisten? Diese Frage beantwortete Hoffmann am Dienstag mit einem klaren Ja. „Wir haben wirtschaftlich viele Maßnahmen schon getroffen. Wir werden in der Lage sein, einen der zwei oder drei Topkader der Zweiten Liga zu finanzieren“, sagte Hoffmann. So soll der Gehaltsetat in der kommenden Saison zwischen 20 und 25 Millionen Euro betragen.
Hannes Wolf vor dem Aus
Und auch wenn Hoffmann der Frage noch auswich, gilt es als beschlossene Sache, dass sich der Club nach dem letzten Saisonspiel gegen den MSV Duisburg am Sonntag von Trainer Hannes Wolf trennen wird. Eine Entscheidung, die Hoffmann unbedingt vermeiden wollte. Gegenüber Vertrauten hatte er Wolf mehrfach als besten HSV-Trainer der vergangenen Jahre bezeichnet. Doch nachdem Wolf im Laufe der Rückrunde den Rückhalt in der Mannschaft zunehmend verloren hat und jegliche seiner Maßnahmen verpufften, ist eine Trennung nunmehr unausweichlich. Auch wenn Hoffmann jetzt noch einmal betonte: „Wir können nicht alles am Trainer festmachen. Wir müssen diesen Kreislauf endlich mal durchbrechen.“
Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass Hoffmann, damals noch Aufsichtsratschef, sagte, man müsse alle wichtigen Positionen im Club mit den besten Personen besetzen. Seitdem kam mit Becker ein neuer Sportvorstand, mit Wolf ein neuer Trainer, mit Max Arnold Köttgen ein neuer Kontrollchef, mit Marcell Jansen ein neuer Präsident und zuletzt mit Michael Mutzel ein neuer Sportdirektor. Die wichtigsten Steine wurden in diesem einen Jahr also nicht nur umgedreht, sondern auch ausgetauscht. „Offensichtlich reicht das nicht“, sagte Hoffmann und kündigte an, jeden Arbeitsbereich im Club genau zu hinterfragen.
Externe Berater
Zudem prüft Hoffmann die Möglichkeiten, die Qualität der Arbeit durch externe Berater zu verbessern. „Natürlich müssen wir uns auch Kompetenz von außen reinholen. Ich halte es für zwingend notwendig, dass wir da nicht nur in der eigenen Suppe rühren.“ Borussia Dortmunds sportliche Führung etwa lässt sich seit vergangenem Sommer von Matthias Sammer beraten. RB-Leipzig-Boss Ralf Rangnick hört seit Jahren auf den Rat seines Mentors Helmut Groß.
Ohnehin sei Leipzig das beste Beispiel, wie man sportlichen Erfolg erzwingen könne. Der Clubchef gibt sich kämpferisch, rudert mit den Armen, will Energie und Aufbruchstimmung vermitteln. Die Gefahr einer Bochumisierung? Die werde er im Volkspark nicht akzeptieren. „Das Allerletzte, was hier passiert, ist, dass wir uns mit der Zweiten Liga anfreunden werden“, sagte Hoffmann, ehe er durch die Hintertür wieder verschwand. „Das ist in Hamburg nicht vermittelbar.“