Berlin. HSV-Sportchef geht auf Führungsspieler los. Trainer Wolf hat nach Abrutschen auf Platz vier nur bedingt Antworten.

Die Luft im fensterlosen und überfüllten Presseraum der Alten Försterei war zum Zerschneiden, als eine gute halbe Stunde nach dem Schlusspfiff Hannes Wolf am Stehpult das Wort ergreifen sollte. „Der HSV ist ein fantastischer Club“, sagte der Hamburger Trainer, „aber das, was wir momentan auf den Platz bringen, passt dazu nicht und ist einfach zu wenig.“ Ein paar Meter zu seiner Rechten hörte Sportvorstand Ralf Becker ganz genau hin, was sein Coach zu der verdienten 0:2-Niederlage bei Union Berlin zu sagen hatte. „Das 1:0 schießen wir fast selbst“, konstatierte also Wolf. „Danach konnten wir so viele Stürmer einwechseln, wie wir wollten. In der Gesamtbetrachtung der letzten Wochen ist das total enttäuschend.“

Sportchef stapfte wütend herum

Wolfs Analyse des deprimierenden Sonntags, an dem zu allem Überfluss auch noch Aufstiegskonkurrent Paderborn 3:1 gegen Heidenheim gewinnen sollte, war die höfliche Variante. Die etwas derbere Version hatten ein paar Minuten zuvor Kapitän Aaron Hunt („katastrophal“), Abwehrmann Rick van Drongelen („richtig scheiße“) und vor allem Manager Becker zum Besten gegeben. Der Sportchef stapfte wütend durch die Katakomben der Alten Försterei und machte aus seiner Gefühlslage keine Mördergrube. „Das war eine Katastrophe, ein ganz schlechter Auftritt“, schimpfte Becker. „Wir haben zu wenige Typen, die vorweggehen. Das hat heute nicht stattgefunden.“

Welche Spieler werden noch verbannt?

Was Becker besonders in Rage versetzte: Nach einer ordentlichen ersten Halbzeit mit zwei guten Tormöglichkeiten durch Hunt (18.) und Bakery Jatta (31.) reichte ein einziger Fehler kurz nach dem Wiederanpfiff, um den gesamten HSV ins Wanken zu bringen. Der seit Wochen ohnehin formlose Gideon Jung hatte den Ball gegen Unions Suleiman Abdullahi vertändelt, ehe der völlig frei stehende Robert Zulj nur noch einschieben musste (46.). „Wir müssen jetzt analysieren, wer noch in der Verfassung ist, um uns zu helfen, wer noch mitgeht“, sagte Becker, der sogar nicht ausschließen wollte, neben Lewis Holtby noch weitere Spieler aus dem Kader bis zum Saisonende zu verbannen: „Das müssen wir jetzt in Ruhe besprechen. Wer ist dabei? Wer zerreißt sich?“

Rückendeckung für Trainer Wolf

Definitiv dabeibleiben soll dagegen der nun stark in der Kritik stehende Trainer Wolf. Anders als beim 1. FC Köln, der trotz der Tabellenführung drei Spieltage vor Schluss die Reißleine gezogen und Trainer Markus Anfang beurlaubt hatte,, stellte sich Becker trotz sechs Spielen in Folge ohne Sieg bewusst hinter seinen Fußballlehrer. „Es ist relativ einfach, wenn etwas nicht läuft – und die Rückrunde ist schlecht –, dem Trainer die Schuld zu geben. Ich bin nicht bereit, jemanden zu opfern, nur weil die Dinge nicht so laufen.“

Nun denn. Dabei ist die Beschreibung „nicht so laufen“ noch sehr vorsichtig formuliert. So steht der HSV, der neben Köln den mit Abstand teuersten Kader der Liga unterhält, in der bisherigen Rückrundentabelle auf Platz 14, ist seit dem Derbyerfolg gegen St. Pauli sieglos und ist nun erstmals unter Trainer Wolf aus den Top drei der Liga gerutscht. Auf die Frage, was ihn drei Spieltage vor Schluss überhaupt noch positiv stimme, hatte Wolf nur bedingt eine Antwort parat. „Zunächst einmal spielen wir ja noch gegen unseren direkten Konkurrenten Paderborn“, antwortete der Coach schließlich und floskelte dann: „Und außerdem kann es im Fußball ja schnell gehen.“

Ständige Systemumstellung das Problem?

Doch genau diese Schnelligkeit fehlte in den 90 Minuten zuvor komplett. Dabei kann man Wolf nicht vorwerfen, nicht alles versucht zu haben. Der Trainer setzte zu Beginn des Spiels auf eine 3-4-2-1-Formation ohne gelernten Stürmer, wechselte später auf ein 4-1-4-1-System und wagte zum Ende des Spiels noch eine Kraut-und-Rüben-Taktik mit drei eingewechselten Stürmern (Hwang, Lasogga, Wintzheimer). Ob diese ständigen Systemwechsel das Team verunsichert hätten, wurde van Drongelen gefragt. Der Niederländer überlegte lange, antwortete dann: „Schwer zu sagen.“ Und noch mal: „Schwer zu sagen.“

Deutlich leichter tat sich van Drongelen bei der Frage, was jetzt passieren muss, um doch noch Zweiter oder zumindest Dritter zu werden. „Es ist jetzt Alarm“, antwortete der Innenverteidiger. „Wir müssen die letzten drei Spiele gewinnen. Wir müssen.“

Restprogramm Köln (59 Punkte): Fürth (A), Regensburg (H), Magdeburg (A).

Paderborn (54): Arminia Bielefeld (A), HSV (H), Dynamo Dresden (A).

Union Berlin (53): Darmstadt 98 (A), FC Magdeburg (H), VfL Bochum (A).

HSV (53): FC Ingolstadt (H), SC Paderborn (A), MSV Duisburg (H).

Die Einzelkritik

Pollersbeck: Hätte heute einen Unhaltbaren halten müssen, um positiv aufzufallen. Hat er aber nicht.

Jung (bis 57.): Nach seinem Ausflug ins offensive Mittelfeld gegen Leipzig durfte sich der Allrounder diesmal rechts in der defensiven Dreierkette probieren. Der Versuch ging nicht nur beim 0:1 total schief. Seit Wochen neben der Spur.

Lasogga (ab 57.): Der Ex-Berliner konnte das Ruder auch nicht rumreißen. Lacroix: Übernahm als zentraler Mann in der Dreierkette lange Zeit die Rolle der Berliner Mauer. Einer der wenigen, die sich nichts vorwerfen lassen müssen.

Van Drongelen: Nur dabei sein ist nicht alles. Narey: Konnte seine Schnelligkeit viel zu selten ausspielen.

Santos: Schwach. Hatte Glück, für sein Nachtreten nicht vorzeitig vom Platz geschickt worden zu sein.

Janjicic: Der Schweizer versuchte sich als Antreiber im Mittelfeld, doch es fehlte ihm an Unterstützung, an Schnelligkeit – und vor dem 0:2 an Ballgefühl.

Vagnoman (bis 45.): Körperlich hält der Youngster gut dagegen, in offensiver Rolle jedoch wie auf verlorenem Posten.

Hwang (ab 46.): Schlecht. Kurz vor dem Spiel gab Salzburg bekannt, dass der Südkoreaner im Sommer definitiv zurück zu Red Bull muss. Konnte leider viel zu selten zeigen, was für ein guter Fußballer er eigentlich ist.

Hunt: Das war nichts! Wirkte wie einer, der viele Wochen verletzt war und gerade erst wieder reingekommen ist, was daran liegen könnte, dass der Regisseur lange verletzt war und gerade erst wieder reingekommen ist.

Özcan (bis 76.): Zuletzt musste der Rein-raus-rein-Mann zwischen Tribüne und Rasen hin- und herpendeln. Nach diesem Spiel gibt es zu wenige Argumente, daran etwas zu ändern.

Wintzheimer (ab 76.): Man kann nicht immer der Held sein. Jatta: Zeigte, dass Sturmspitze nicht wirklich seine Optimalposition ist. Rotierte nach der Pause wieder auf den Flügel, blieb aber auch da blass.