Hamburg. Ralf Becker über Holtby: “Verhalten ist nicht zu tolerieren“. Sorgen um Mangala und Hunt. Wolf reagiert auf Fan-Kritik.
Die Stimmungslage ist erdrückend: Wo man auch hinhört und -sieht, kaum eine HSV-Fanseele scheint Trainer Hannes Wolf drei Runden vor Ende der Zweitligasaison noch den Aufstieg mit dem auf Rang vier abgestürzten Favoriten zuzutrauen.
Von mehr als 8000 Teilnehmern an einer entsprechenden Abendblatt-Umfrage sprachen Wolf bis Montagabend 84 Prozent das Misstrauen aus.
HSV ins Trainingslager nach Rotenburg
Der Verein zieht Konsequenzen aus der Bilanz der vergangenen Spiele und verordnet sich am Montag vor dem Spiel gegen Ingolstadt ein Kurztrainingslager. Am Abend war auch bereits klar, wohin es für den HSV geht: Rotenburg/Wümme bekam den Zuschlag.
Wolf wegen Aufstellung in der Kritik
Die Kommentare in den sozialen Netzwerk lassen ebenfalls auf eine massive Anti-Stimmung schließen. Nicht wenige Einlassungen münden in der Forderung nach der Trennung von Wolf.
Einer der Hauptkritikpunkte: Die häufig wechselnden Aufstellungen und Systeme des 38-Jährigen. Allein in den vergangenen fünf Ligaspielen brachte Wolf ("Als Trainer bucht man den Rauswurf mit") fünf verschiedene Startformationen auf den Platz.
Hunt über verwirrende Systemwechsel
"Hannes Wolf hat mehrfach gezeigt, dass er nicht in der Lage ist, ein Spiel zu lesen", schreibt ein Fan auf Twitter. "Funktioniert Plan A nicht, ist das Spiel gelaufen. So kannst du 10. werden. Steigst aber nie auf."
Als Aaron Hunt nach dem Spiel am Sonntag gefragt wurde, ob die Mannschaft sich durch ständige Systemwechsel verwirren ließe, antwortete der Kapitän: "Es ist eine Sache vom Trainer, wie er spielen will und aufstellt. Er hat sich heute dafür entschieden."
Am Montag reagierte Wolf dann selbst noch einmal auf die Taktik-Vorhaltungen. "Es war jetzt nicht so, dass wir wild jedes Spiel gewechselt haben, sondern wir haben immer versucht, aus einer guten Situation an Dingen festzuhalten", sagte er im Bauch des Volksparkstadions.
Wolf spricht über Gideon Jung
"Ich habe unterschiedlich versucht, auf die Dinge zurückzugreifen, die erfolgreich und gut waren." Dazu habe auch die Maßnahme gehört, Gideon Jung nach einem "guten Spiel" aus einer tieferen Position so auch im DFB-Pokal gegen Leipzig spielen zu lassen.
In Berlin agierte Jung dann allerdings wieder aus einer Dreier-Abwehrkette heraus – bereits die fünfte unterschiedliche taktische Marschroute für den Defensivmann in dieser Saison.
Das böse Wort vom "Laptop-Trainer"
Andere Fans erinnern derweil an Mehmet Scholls einst wenig schmeichelnde Einstufung Wolfs in die Kategorie "Laptop-Trainer" oder sein Ende beim vorigen Arbeitgeber VfB Stuttgart.
"Hannes Wolf ist, nur weil er jung ist, kein guter Trainer. Auch in Stuttgart hat er trotz Aufstieg keine Bäume ausgerissen", zwitschert ein Beobachter. Bei den Schwaben war Wolf 20 Spieltage nach der Zweitliga-Meisterschaft (Punkteschnitt von 2,04) entlassen worden.
Wohlgesinnte Analysen sind deutlich schwieriger zu finden. "Was würde ein Trainerwechsel bringen? Nichts!", schreibt einer: "Es würde nur Medienrummel geben und uns lächerlich machen. Hannes Wolf ist jung, seine Spieler sind jung, und es ist ein langer Prozess."
Becker lenkt den Blick auf die Profis
Den Forderungen nach einem Wechsel des Übungsleiters steht indes der – zumindest nach außen getragene – eiserne Wille des Sportchefs entgegen, an seinem Wunschtrainer festzuhalten.
"Es ist relativ einfach, wenn etwas nicht läuft – und die Rückrunde ist schlecht –, dem Trainer die Schuld zu geben", sagt Ralf Becker. "Ich sehe bei uns den Fehler in einer anderen Konstellation und jetzt geht es darum, aufzuarbeiten, auf wen wir uns verlassen können."
Becker über Holtby: "Dieses Verhalten ist nicht zu tolerieren"
Auch die Entscheidung, Lewis Holtby zu suspendieren, verteidigte Becker ausdrücklich. Mit seiner Weigerung habe Holtby selbst den Glauben daran zerstört, "dass er mit voller Überzeugung und vollem Herzen bis zum Ende bei unseren Zielen dabei ist". Man habe daraus Konsequenzen gezogen: "Dieses Verhalten ist nicht zu tolerieren."
An die verbliebene Mannschaft richtete der Sportchef einen eindeutigen Appell: "Wir erwarten Leute auf dem Platz und im Kader, die bis zum Ende alles für den Verein geben, alles andere unterordnen und persönliche Interessen hinten anstellen. Wir haben mit den beiden Heimspielen und dem Duell gegen Paderborn immer noch einige Möglichkeiten in der eigenen Hand. Jeder ist verpflichtet, egal ob jung oder alt, mit letzter Leidenschaft diese Aufgaben anzugehen."
Sportchef steht selbst unter Druck
Als großer Fürsprecher Wolfs und derjenige, der den jungen Trainer nach dem 10. Spieltag selbstbewusst als Nachfolger des populären Christian Titz installierte, steht Becker gleichwohl selbst unter enormem Druck.
Eine Freistellung "seines" Cheftrainers käme in der entscheidenden Aufstiegsphase einem Schuldeingeständnis gleich – dass Konkurrent Köln am Wochenende trotz Tabellenführung Markus Anfang entließ, dürfte für Becker ebenfalls keine Argumente liefern.
Nach Holtby weitere Aussortierungen?
"Ich bin nicht bereit, jemanden zu opfern, nur weil die Dinge nicht so laufen", sagt Becker, der mehr noch als Wolf die Spieler in der Pflicht sieht. Ob der Kader für den Endspurt möglicherweise noch einmal reduziert wird, werde "in Ruhe" besprochen.
Während sich Becker nach der Suspendierung von Lewis Holtby weitere personelle Konsequenzen offen lässt, hält sich einer nach dem Debakel von Berlin noch merklich zurück: Bernd Hoffmann. Zuletzt hatte der Clubchef Anfang Wolf das Vertrauen ausgesprochen.
Wolf mit schlechterem Schnitt als Titz
Ob die Jobgarantie auch über das kommende Heimspiel gegen Kellerkind Ingolstadt am Sonnabend (13 Uhr/im Liveticker auf abendblatt.de) hinaus seine Gültigkeit behält, wird sich weisen. Die Gäste brauchen als 17. auch im Volksparkstadion jeden Punkt.
Apropos Punkte: Dass Wolfs Schnitt von 1,67 durch die Serie von sechs sieglosen Spielen inzwischen auch unter den seines Vorgängers Titz (1,80) gefallen ist, dürfte die Position des aktuellen Chefs zumindest in der eigenen Anhängerschaft nicht gerade stärken.
HSV-Fans wenden sich an Magath
Aus dem Schatten des beliebten Ex konnte Wolf ohnehin nie richtig treten. Über dem gebürtigen Bochumer ziehen nun also dunkle Wolken auf – während vermeintliche Alternativen wie André Breitenreiter oder Alexander Zorniger medial bereits ausgeleuchtet werden.
Etliche HSV-Fans wenden sich unterdessen – wie so oft in der Not – bereits Hilfe suchend an Felix Magath. Auf seiner Facebookseite wurde der einstige Hamburger Held in den Stunden nach der Sonntagspleite mit Jobangeboten geradezu überschwemmt.
"Hamburg braucht Medizinbälle"
"Hamburg braucht Medizinbälle", lautete eine der Aufforderungen an Magath. Die "Quälix"-Methoden könnte beim HSV aber vorerst doch noch Wolf anwenden dürfen – beim Trainingslager in Rotenburg mit vermutlich abgespecktem Kader.
Bilder von der Niederlage in Berlin:
Der Untergang: HSV verliert bei Union Berlin
Sorgen um Mangala und Hunt
Auch über die Kaderstärke müsse noch entschieden werden. "Wir wollen es nicht zu groß halten", kündigte Wolf an, der sich personell zudem um Orel Mangala (Schmerzen im Zeh-Grundgelenk), Kyriakos Papadopoulos (Infekt) und Aaron Hunt sorgen muss. Der Kapitän ist gegen Union auf den Rücken gefallen. "Es kann alles sein", sagte Wolf zu einem möglichen erneuten Ausfall des Routiniers.
Wolf: Kämpfen können die anderen besser
Ungeachtet der Herberge für die kommenden Tage (Wolf: "Die Chance, ein paar Gespräche drumherum in anderer Atmosphäre zu führen") schwört Wolf seine Spieler schon jetzt auf die veränderten Vorzeichen im Aufstiegs-Showdown ein. "Das muss ja jetzt jeder vestehen, dass wir uns reinknallen müssen", sagte er.
"Wir müssen jetzt alle zusammen die Rolle des Jägers annehmen und hier am Samstag einen großen Kampf liefern", fügte Wolf an, ehe er mit einem Zusatz durchaus tief blicken ließ: "Der Kampf bringt bei uns nichts, wenn wir nicht Fußball spielen. Weil wenn wir nur kämpfen, das können die anderen halt besser. Deswegen müssen wir das zusammenkriegen."