Hamburg. Der Schweizer Innenverteidiger hatte beim HSV keine Chance mehr – doch die hat er genutzt. Es ist die Geschichte seines Lebens.

Léo Lacroixs Ostertage sind verplant. Am Ostersonntag kommt die Familie seiner Frau aus der Schweiz, für die Kinder Isaac (1) und Isis (2) werden Eier versteckt, und am Abend gibt es ein Festmahl. Vielleicht schaut die Familie Lacroix noch bei Douglas Santos‘ Familie vorbei – und auch ein Besuch in der Kirche ist eine Möglichkeit. „Ostern ist ja eines der wichtigsten Kirchenfeste“, sagt der gläubige Christ, der zuvor am Ostersonnabend noch ein sehr weltliches Fest feiern will: einen Heimsieg gegen den FC Erzgebirge Aue (13 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de).

Der Tabellen-14. der Zweiten Liga sei ein Gegner, den man nicht unterschätzen dürfe, warnt Lacroix. Besonders nach Hamburgs starkem 1:1 in Köln, wo er Toptorjäger Simon Terodde, der bereits 28 Tore erzielt hatte, komplett abmelden konnte. „Das Wetter ist gut, das Training war gut, der Familie geht’s gut. Im Moment ist irgendwie alles gut“, sagt Terodde-Bezwinger Lacroix, der für ein „sehr gut“ aber noch drei Punkte an diesem Ostersonnabend einfordert: „Jetzt müssen wir alles dafür tun, dass auch das Spiel gegen Aue gut wird.“

Im Winter war sogar ein Vereinswechsel im Gespräch

Der 1,97 Meter große Riese lässt seine viel zu langen Beine von der schwarzen Ledercouch im Besprechungszimmer in den Katakomben des Volksparkstadions baumeln. Ein paar Tage ist sein starker Auftritt gegen den 1. FC Köln nun schon her, nachdem er von Trainer Hannes Wolf („Léo hat es wirklich gut gemacht“) und Sportvorstand Ralf Becker („Er hat ein tolles Spiel gemacht“) nur so mit Lob überschüttet wurde. „Ich habe mich sehr über die ganzen Komplimente nach dem Köln-Spiel gefreut“, sagt der Innenverteidiger. „Für mich war es zwischendurch ja keine einfache Phase.“

Nicht einfach ist nicht übertrieben. Gerade einmal 33 Minuten durfte der Schweizer vor Köln bislang in der Rückrunde spielen. Und auch die Hinrunde lief nicht so wie erhofft. Im Winter war sogar ein Vereinswechsel im Gespräch. „Im Januar gab es Gedankenspiele, den HSV wieder zu verlassen. Aber dann blieb ich – auch, weil ich unbedingt helfen und dabei sein will, wenn dieser große Club in die Bundesliga zurückkehrt“, sagt Lacroix, der die schwierigen Phasen nicht verschweigen will. „Natürlich war es nicht einfach, nur so wenig Spielzeit zu bekommen. Aber man darf eben nicht aufgeben, muss sich weiter anbieten.“

Lacroix zu seiner bisherigen Saison: „Kompliziert“

Seine bisherige Saison mit den wenigen Aufs und den vielen Abs kann man in einem Wort kaum zusammenfassen. Lacroix überlegt lange. „Kompliziert“, sagt er schließlich, überlegt noch ein paar Sekunden weiter und korrigiert: „Oder vielleicht besser: glauben. Also: Immer weiter daran glauben. Das ist zwar mehr als nur ein Wort, aber es passt.“

Es passt zu Lacroixs atypischer Saison. Und es passt zu Lacroixs atypischer Karriere. „So war das bei mir schon immer, seit ich angefangen habe, Fußball zu spielen. Man arbeitet, wird belohnt, hat einen Rückschlag, liegt am Boden und muss wieder aufstehen. Das ist ein ständiger Kreislauf“, sagt der 27-Jährige und legt das vibrierende Handy zur Seite.

Quer über seine Brust hat sich Lacroix vor sechs Jahren sein Lebensmotto auf Portugiesisch tätowieren lassen. „Só vence aquele que não desiste.“ Auf Deutsch: Nur wer nicht aufgibt, der gewinnt.“ Damals hatte er sich das Kreuzband gerissen, das Knie infizierte sich, musste zweimal operiert werden. „Ein brasilianischer Freund sagte mir, dass ich tapfer sein muss, ein Krieger. Denn: Nur wer nicht aufgibt, der gewinnt.“

Sein Arm mit dem Text eines brasilianischen Lieds verziert

Lacroix liebt diesen Pathos, der ihm Halt gibt. „Dieser Satz steht für meine ganze Karriere“, sagt er. Auch sein Arm ist mit dem Text eines brasilianischen Lieds verziert: „Ein Krieger scheut keinen Kampf. Und niemand kann einen Menschen stoppen, der für den Sieg gemacht ist.“ Noch seien ja ein paar freie Stellen an seinem großflächig tätowierten Körper übrig, sagt Lacroix – und gibt gleich die nächste Weisheit zum Besten: „Man kann eine Person nicht grundlegend ändern, aber man kann als Person wachsen und sich weiterentwickeln.“

Lacroixs atypisches Fußballerleben mit ein paar Kalendersprüchen zusammenzufassen ist in etwa so schwierig, wie seine Saison in nur einem Wort zusammenzufassen. Die kurze Antwort auch hier: kompliziert. Doch natürlich gibt es auch eine etwas längere Version.

Er jobbte in Papas Restaurant „Chez Lacroix“

Aufgewachsen ist Lacroix in Aigle, an der Grenze zwischen den Kantonen Waadt und Wallis. Als der Lange noch ein Lütter war, haben sich seine Eltern scheiden lassen. Drei Jahre war der kleine Léo damals alt – und sein Vagabundenleben sollte dann erst richtig losgehen. Mit seiner Mutter und seinen Schwestern zog Lacroix für drei Jahre nach Italien, dann wieder zurück in die Schweiz. In Lausanne ging er auf eine Hotelfachschule, brach die Ausbildung aber ohne Abschluss ab. Er jobbte in Papas Restaurant „Chez Lacroix“ im Skiresort Les Diablerets – und spielte ganz nebenbei ja auch noch Fußball. Doch sein Versuch, sich beim FC Sion über ein Probetraining für eine Profikarriere zu empfehlen, ging genau so schief wie seine Ausbildung an der École hôtelière.

Doch nur wer nicht aufgibt, der gewinnt. Lacroix ging mit seiner Mutter nach Brasilien, suchte über das Internet Clubs und fasste schließlich in Rio de Janeiro beim kleinen Vorortclub São Cristóvao de Futebul e Regatas Fuß. Zwar nur ein Verein der zweiten Stadtliga, aber immerhin der erste Club des früheren Topstürmers Ronaldo.

Zurück in Europa ging die Odyssee weiter: Sion, AS Saint-Étienne in Frankreich, der FC Basel und nun der HSV. Verliehen von Saint-Étienne bis zum Sommer. Und dann? Wie geht’s dann weiter? „Keine Ahnung“, sagt Lacroix und rutscht auf dem Ledersofa hin und her. Der Sommer sei doch schließlich noch so lange hin. „Es sind noch einige Wochen – und das ist im Fußball eine halbe Ewigkeit.“

Lacroix weiß noch nicht, wo es ihn im Sommer hinzieht

Im Hier und Jetzt sei ohnehin nur Aue wichtig. „Wir haben noch fünf Ligaspiele und ein oder besser zwei Pokalspiele – und nur diese Partien zählen. Das steht über allem. Dann kommt der Sommer – und dann sehen wir weiter.“

So reden Fußballer, wenn sie offiziell gefragt werden. Doch wie ist das für die Familie, wenn man nicht weiß, bei welchem Club man in der nächsten Saison spielt, in welcher Stadt man im nächsten Jahr lebt? „Klar ist das nicht einfach. Meine Frau liebt Hamburg und fühlt sich sehr wohl. Natürlich würde sie gerne wissen, ob wir mit den Kindern bleiben, gehen und wohin wir dann gehen“, sagt Lacroix. „Aber so ist nun mal das Fußballerleben. Das weiß sie auch.“

Am Ende sei doch ohnehin nur eines entscheidend: „Ich kann ja nichts anderes machen, als hart zu arbeiten – und dann weiterzuschauen.“ Nur wer nicht aufgibt, der gewinnt.

HSV ohne Papadopoulos und Zwischenstände gegen Aue

Bernd Hoffmann hörte im ersten Stock des Volksparkstadions ganz genau hin, als Hannes Wolf am Karfreitag noch einmal zur Lage der HSV-Nation befragt wurde. Und der Vorstandsvorsitzende staunte nicht schlecht, als sein Coach kurzerhand ankündigte, dass beim Spiel an diesem Sonnabend gegen Aue auf den Anzeigetafeln bitteschön keine Zwischenstände der Konkurrenz angezeigt werden sollen. „Wir brauchen jetzt keine Ablenkung mehr“, erklärte Wolf. Die Frage, ob der Verzicht auf Zwischenstände aufgrund von Verpflichtungen mit Werbepartnern überhaupt möglich sei, konnte der überrumpelte Hoffmann zunächst nicht beantworten. Aber: Ja, er ist möglich. Und: Ja, der HSV will Wolfs Wunsch erfüllen.

Ebenfalls in Erfüllung geht der Wunsch des Trainers, auf die zuletzt verletzten Aaron Hunt, Hee-chan Hwang und Pierre-Michel Lasogga zurückgreifen zu können. Offen scheint noch das Duell im Sturmzentrum zwischen Platzhirsch Lasogga und Herausforderer Manuel Wintzheimer zu sein. Entschieden ist dagegen, dass Wolf zwar 19 Mann für den Kader nominiert, aber auf Kyriakos Papadopoulos verzichtet. Ebenfalls nur auf der Tribüne: Fiete Arp.

Hamburger SV: Pollersbeck – Sakai, Lacroix, van Drongelen, Santos – Janjicic, Mangala – Narey, Özcan, Jatta – Lasogga.

FC Erzgebirge Aue: Männel – Samson, Wydra, Breitkreuz, Kral – Rizzuto, Fandrich, Riese, Hochscheidt – Testroet, Iyoha.