Hamburg. Der Neuzugang vom VfL ist Ausdruck einer veränderten Transferstrategie des HSV. Interesse an Hinterseer offenbar nicht konkret.

Frank Heinemann kommt gerade vom Training des KFC Uerdingen, als ihn das Abendblatt auf dem Handy erreicht. „Bochumisierung?“, fragt Heinemann, als er mit dem Begriff konfrontiert wird. „Ich bin Bochumer durch und durch“, sagt der 54-Jährige. „Aber das Wort habe ich noch nicht gehört.“ Heinemann war zwischen 2011 und 2013 beim HSV als Co-Trainer tätig. Die meiste Zeit seines Fußballlebens hat er aber beim VfL Bochum verbracht, dem Gegner des HSV am Sonnabend (13 Uhr) im Vonovia-Ruhrstadion.

In das Wörterbuch der deutschen Sprache hat es der Begriff Bochumisierung noch nicht geschafft. Doch seit Jahren mehren sich Artikel, in denen in verschiedenen Zusammenhängen vor einer schleichenden Bochumisierung gewarnt wird. Zumeist dann, wenn sich in Städten ein wirtschaftliches Strukturproblem entwickelt und Unternehmen einen Standort verlassen. So wie in Bochum geschehen mit dem Großkonzern Nokia und der Schließung des Opel-Werks im Jahr 2014. Zutreffen würde der Begriff aber auch auf den VfL Bochum. Die einst Unabsteigbaren der Bundesliga, die 1997 und 2004 noch im Uefa-Cup spielten, sind nun schon seit neun Jahren durchgehend Zweitligist.

HSV will Bochumisierung vermeiden

An dieser Stelle spannt sich der Bogen zum HSV. Denn wenn ein Club in der Bundesligageschichte unabsteigbar war, dann der HSV. Ehe es im vergangenen Jahr dann doch passiert ist – der Abstieg, begleitet von einem schleichenden wirtschaftlichen Niedergang. Damit der Club nicht Gefahr läuft, in den kommenden neun Jahren in der Zweiten Liga zu bleiben und eine Art Bochumisierung zu erfahren, haben die Verantwortlichen ihre Ausrichtung auf dem Transfermarkt verändert.

„Aufstellen für Europa“ war gestern, Transferoffensiven wie im Sommer 2016 mithilfe eines Großinvestors soll es nicht mehr geben. Jung, entwicklungsfähig und am besten Fall noch zum Nulltarif – so lauten die Kriterien, nach denen Sportvorstand Ralf Becker den ersten Neuzugang für die kommende Saison bereits gefunden hat: Jan Gyamerah, 23 Jahre alt, kommt nach der Saison ablösefrei. Und zwar vom VfL Bochum.

Hinterseer-Interesse längst nicht so konkret

Spieler wie der am Sonnabend rotgesperrte Gyamerah oder auch Jeremy Dudziak (23), dessen ablösefreier Wechsel vom FC St. Pauli zum HSV laut „Sportbild“ feststehen soll, sind Transfers, die beim HSV aktuell mit der wirtschaftlichen Lage vereinbar sind. Dazu würde auch der ebenfalls im Sommer ablösefreie Lukas Hinteresser (27) passen, der ebenfalls für Bochum spielt. Doch das Interesse des HSV am VfL-Stürmer soll nicht so konkret sein, wie die „Bild“ es berichtet hatte. Gyamerah dagegen hat im Volkspark bereits unterschrieben.

Und an dieser Stelle kommt wieder Frank „Funny“ Heinemann ins Spiel. Kaum ein Trainer kennt den Abwehrspieler des VfL Bochum so gut wie er. Heinemann war in Funktion als Nachwuchskoordinator des VfL tätig, als der Verein sich 2011 auf der Geschäftsstelle mit Jan Gyamerah und dessen Eltern traf, um ihn von einem Wechsel von Arminia Bielefeld nach Bochum zu überzeugen. Mit Erfolg. „Gyambo“, wie sie in Bochum sagen, entwickelte sich an der Castroper Straße schnell zum Juniorennationalspieler, spielte etwa unter Horst Hrubesch in der deutschen U18 an der Seite von Niklas Süle oder Joshua Kimmich. „Gyambo ist ein toller Junge. Der HSV hat einen guten Griff gemacht“, sagt Heinemann dem Abendblatt.

Heinemann: Gyamerah kann HSV in 1. Liga helfen

Er war auch dabei, als Gyamerah im Dezember 2013 unter Peter Neururer sein Profidebüt feierte. „Er hat eine große Offensivpower und eine gute Technik, ist schnell und ruhig am Ball“, sagt sein damaliger Co-Trainer Heinemann heute über den Rechtsverteidiger. Dabei wäre Gyamerahs Karriere beinahe schon vorbei gewesen, ehe sie richtig in Schwung kam. Wegen einer hartnäckigen Schambeinverletzung fiel der Bochumer mehr als zwei Jahre aus. Doch die Leidenszeit ist vorbei. Seit drei Spielzeiten ist Gyamerah beschwerdefrei. Nun wagt er den Schritt nach Hamburg.

Heinemann ist sich sicher, dass er keine Anpassungsprobleme haben wird. „Gyambo ist sehr klar im Kopf und wird sich schnell an den Club und die Stadt gewöhnen.“ Heinemann drückt dem HSV die Daumen, dass der Wiederaufstieg gelingt und sein früherer Schützling Gyamerah ab Sommer in der Bundesliga spielt. „Er kann dem HSV auch in der ersten Liga helfen.“

Und die Bochumisierung? Von dem Begriff hält Heinemann ohnehin nichts, nachdem er ihn erläutert bekommt. „Die Menschen haben den Wandel hier immer angenommen. Sie waren immer bereit, den Weg der Stadt und der Region mitzugehen. Ich sehe die Zukunft von Bochum und dem VfL sehr positiv.“ Der HSV wäre sicher froh, wenn er diese Form der Bochumisierung selbst erlebt.