Hamburg. Vor dem heiß erwarteten Lokalderby zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV sind deutschlandweit die Rollen klar verteilt.

Hamburg elektrisiert sich so langsam. Derbyzeit. Am Sonntag (13.30 Uhr) stehen sie sich im Stadion am Millerntor gegenüber, der FC St. Pauli und der HSV. Spitzenspiel in der Zweiten Liga, kein Fußballfan in der Hansestadt kann davon unberührt bleiben. Braun-Weiß oder Schwarz-Weiß-Blau bestimmen die Stimmung in den Stadtgrenzen und im Speckgürtel. Aber wie ist es eigentlich darüber hinaus bei den Fußball-Interessierten in ganz Deutschland?

„Für uns hat das Spiel eine besondere Bedeutung. Wir erwarten hier wieder eine starke Reichweite“, sagt Dirk Böhm vom Pay-TV-Sender Sky, der die Partie live und exklusiv überträgt. „Solche Derbys haben in Emotionalität und Intensität einen besonderen Stellenwert.“ Im Hinspiel am 30. September (0:0) schalteten 360.000 Zuschauer die Partie als Einzelspiel ein, das war an einem Sonntagnachmittag die bislang stärkste Quote bei Sky in dieser Saison.

Dabei zieht insbesondere der HSV das Interesse an. Das hat auch Redaktionsleiter Tom Vaagt vom Internetanbieter "Sportbuzzer" festgestellt: „HSV-Artikel haben bei uns durchschnittlich eine fünfmal höhere Reichweite als Geschichten und Meldungen über den FC St. Pauli.“ Dabei klicken keinesfalls nur HSV-Sympathisanten auf diese Nachrichten, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit auch all diejenigen, die sich an den Pleiten, dem Pech und den Pannen des HSV aus den vergangenen Jahren delektieren. Ein weggeworfener Taktikzettel wie gegen Fürth am Montag schafft deshalb auch mehr Interesse und Schadenfreude als eigentlich angebracht.

Stadtmeister in Sachen Sympathie

Zwar kennen 99,25 Prozent der deutschen Fußballfans laut der Fußballstudie der Technischen Universität Braunschweig den HSV (St. Pauli 99,24 Prozent), leiden können ihn aber deutlich weniger. Oder anders ausgedrückt: Der Kiezclub ist eindeutiger Stadtmeister in Sachen Sympathie. Platz fünf belegt der FC St. Pauli in einer repräsentativen Umfrage unter rund 4000 Bundesbürgern zwischen 18 und 65 Jahren bei dieser Frage. Den HSV können weitaus weniger leiden, er ist auf Platz 32 von 36 Clubs abgerutscht. 45,83 von 100 Punkten lautet das Ergebnis. Letzter in diesem Ranking ist übrigens der FC Bayern München, aber das hat andere Gründe: Erfolg macht unbeliebt. Erfolg hat der HSV viele Jahre lang nicht gehabt.

Die Frage nach der Sympathie ist ein wichtiger Teilbereich bei dem Versuch, einen Imagewert für die deutschen Fußball-Bundesligisten zu ermitteln. Weitere Faktoren dafür sind die Bekanntheit, die Attraktivität des Vereins und der Glaube, ob dort gute Arbeit geleistet wird. Bei diesem sogenannten Markenwert insgesamt sind die Ergebnisse der beiden Hamburger Clubs eindeutig. Während sich der FC St. Pauli seit Beginn der Untersuchung 2012 immer unter den Top fünf befindet, ist der HSV mittlerweile von Platz sechs (2013) auf Rang 24 im Jahr 2018 abgestürzt. Dabei zahlte sich das positive Image nach dem Abstieg und dem Neuaufbau (auch mit Trainer Christian Titz) im Sommer offenbar aus. 2017 lag der Verein sogar nur auf Platz 28.

Negative Dinge beim HSV

„Wir wollen wissen, wie attraktiv die Bundesligavereine sind“, erklärt Professor David Woisetschläger von der TU Braunschweig, der die Studie jedes Jahr mit drei Kollegen verfasst, „Markenwerte speisen sich eben aus Bekanntheit und psychologisch vorgelagerten Werten wie Sympathie oder auch Antipathie.“

Dass der HSV dabei weit weniger gut abschneidet als der FC St. Pauli, ist für Karsten Petry wenig überraschend. Der 42-Jährige beobachtet als Managing Director von Octagon Germany, dem Deutschland-Ableger der weltweit führenden Agentur in Sachen Sport und Entertainment, den Sportmarkt sehr genau. „Der HSV ist in den Sympathiewerten dramatisch abgestiegen. Er wird inzwischen mit negativen Dingen wie Kühne, Trainerrauswürfen und nicht zurückgezahlten Fananleihen in Verbindung gebracht“, sagt Petry. „Der FC St. Pauli ist dagegen nahezu perfekt vermarktet und durchgestylt. Aber er erzählt immer noch eine gute Geschichte. Er hat das Image vom ,anderen Proficlub‘ mit seiner Botschaft und Vereinskultur synchronisiert. St. Pauli wirkt nachhaltiger und wird weniger kommerziell wahrgenommen als der HSV. Die Marketingführung ist aus einem Guss.“

HSV hat sich auf Dino-Thema konzentriert

Ganz anders als beim HSV. „Dort fällt es schwer, etwas Konstantes zu erkennen. Sie haben sich auf das Dino-Thema konzentriert. Aber was ist denn mit Dinos passiert? Ausgestorben“, kritisiert der Marketingexperte, der auch das Leitbild des HSV für völlig ungeeignet in der aktuellen Situation hält: „Für das, was da drinsteht, fehlt es an jeglicher Beweisführung. Da ist die Rede davon, dauerhaft Top fünf in Deutschland zu sein, internationalem Wettbewerb und dass man solide wirtschaftet.“

Sky wird seine Übertragungszeit auf insgesamt dreidreiviertel Stunden verlängern und erstmals zwei Co-Kommentatoren im Stadion haben: die Ex-Profis Sergej Barbarez (HSV) und Ivan Klasnic (St. Pauli). Das Derby ist ein besonderes Spiel – auch weil die Rollen zwischen Gut und Böse so klar verteilt scheinen.