Hamburg. Fabian Boll und Mladen Petric trafen beim letzten Stadtderby 2010 am Millerntor. Gemeinsam erinnern sie sich an den besonderen Tag.

Das Spiel war schon eine Stunde vorbei, als sich Mladen Petric und Fabian Boll auf der Toilette trafen. Genauer gesagt auf dem Weg dorthin. Die beiden Torschützen des bislang letzten Stadtderbys zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV am Millerntor mussten zur Dopingprobe. Das Problem: Keiner musste. Fast neun Jahre ist dieser Moment her. Doch die beiden Protagonisten des 1:1 am 19. September 2010 erinnern sich, als wäre es gestern gewesen.

„Wir saßen da in dem kleinen Raum und haben uns schön einen reingebechert, bis wir auf Toilette gehen konnten. Es war auch Bier dabei“, erzählt Petric. Der frühere HSV-Stürmer (38) sitzt gerade beim Mittagessen in Athen, als ihn das Abendblatt auf dem Handy erreicht.

Gemeinsam zur Dopingprobe

Das Derby? Klar kann er sich daran erinnern. „Solche Spiele vergisst man nicht. Das sind die ganz besonderen Spiele, in denen man sich unsterblich machen kann. Da erinnert man sich noch an alles“, sagt Petric, der sich mit seinem späten Tor zum 1:1 zwei Minuten vor Schluss einen festen Platz in der Hamburger Derbygeschichte gesichert hat.

Ebenso wie Boll, der elf Minuten zuvor das 1:0 erzielt hatte und später mit Petric in der Dopingprobe saß. „Ich hing da zwei Stunden rum. Auf Kommando pinkeln ging irgendwie nicht. Heiko Westermann war auch dabei und sagte zu mir: ,Glückwunsch zum Punkt.‘ Ich meinte dann etwas irritiert: ,Danke gleichfalls.‘“

Boll hätte in der Ahnengalerie der Derbyhelden den womöglich wichtigsten Platz erhalten – wenn Petric nicht doch noch der perfekte Schuss gelungen wäre. „Eigentlich muss ich Mladen dankbar sein“, sagt Boll im Gespräch mit dem Abendblatt. „Wenn er nicht dieses Wahnsinnstor geschossen hätte, hätte ich nach dem Spiel eigentlich aufhören müssen. Mit 34 Jahren ein Siegtor im Derby zu schießen – mehr wäre nicht gegangen.“ Und so erlebte Boll auch noch das Rückspiel im Volkspark, als St. Pauli dank seiner Vorlage auf den Kopf von Gerald Asamoah mit 1:0 triumphierte.

Ganze Wut in den Schuss gelegt

Mindestens genauso gerne erinnert sich der 39-Jährige an das Hinspiel, als Asamoah ihm den Ball zum 1:0 vorlegte. „Eigentlich war es ein ziemliches Kröten-Spiel“, sagt Boll. „Aber immerhin gab es ein besonders wichtiges und ein besonders schönes Tor. Meines war besonders wichtig.

Dass die Bude von Mladen das deutlich schönere Tor war, steht außer Frage.“ Petric sieht seinen Schuss aus 20 Metern noch genau vor sich. „Volleyabnahmen mit links haben bei mir immer gut funktioniert. Es war schon spät. Ich dachte nur, jetzt muss ich es probieren. Dann habe ich meine ganze Wut in den Schuss gelegt und den Ball optimal getroffen.“ Wütend war Petric, weil Trainer Armin Veh ihn damals zunächst auf die Bank setzte. Ruud van Nistelrooy war als einzige Sturmspitze beim HSV gesetzt. „Ich war richtig sauer“, erzählt Petric, der erst in der 62. Minute eingewechselt wurde.

Vor dem Derby Umzugskartons geschleppt

Kurz vor Schluss landete der Ball plötzlich vor ihm. Annahme mit der Brust, dann der Volleyschuss ins lange Eck. Ein Traumtor. Und die Erlösung für den HSV. „Es war eine
Mischung aus Erleichterung und Genugtuung“, sagt Petric heute. „Ich habe gar nicht richtig gejubelt, sondern bin einfach nur zu den Fans gelaufen. Ich weiß noch, dass Maxim Choupo-Moting an mir herumgezerrt hat, bis alle anderen Spieler kamen. Ich habe nur in die Fankurve geschaut und mich feiern lassen.“

Es war das Ende des bislang einzigen Stadtderbys im Millerntor-Stadion. An einem außergewöhnlichen Wochenende, das für Boll schon ungewöhnlich begann. „Am Tag vor dem Derby bin ich noch umgezogen und habe 38 Umzugskisten in den dritten Stock geschleppt“, erzählt der heutige Trainer des Oberligisten SC Victoria. Aktivierungstraining würde man das in der modernen Sportlersprache wohl nennen. „Nach der letzten Kiste war ich dann im Derbymodus und habe einfach nur pure Vorfreude gespürt.“

Es war ein so schlechtes Spiel

Bei Petric begann das Derbyfieber schon ein paar Tage zuvor. Das Hamburg-Duell, damals noch in der Bundesliga, elektrisierte die HSV-Fans schon weit vor dem Spiel. „Es waren noch nie so viele Fans beim Training wie in der Woche davor. Die Stimmung war sehr, sehr speziell“, erinnert sich Petric.

Weniger speziell war dann das Spiel selbst. „Fabian Boll und ich haben noch bei der Dopingprobe darüber gesprochen, was für ein schlechtes Spiel das war. Keine Mannschaft wollte verlieren, das hat man gespürt“, sagt der frühere kroatische Nationalspieler, der heute wahlweise in Athen oder Zürich lebt.

Auch Boll hat weniger die Bilder von den 90 Minuten im Kopf, wenn er an das Spiel zurückdenkt. Die Bilder drum herum sind dafür umso präsenter. „Schon der Einlauf ins Stadion war einfach
nur überragend. Im Spielertunnel steht plötzlich ein Ruud van Nistelrooy neben mir, den ich sonst nur aus dem Fernsehen von Cham­pions-League-Spielen kannte. Und dann steht er da, nur mit den falschen Farben an. Das war ein skurriler Moment.“

Es war eine Gefühlseruption

An van Nistelrooy lief das Spiel allerdings vorbei. Boll dagegen lief umso mehr. „Stani (Trainer Holger Stanislawski, d. Red.) sagte mir nach dem Spiel, er hätte von mir noch nie eine solche Laufleistung gesehen.“ 16 Tore hat der Kriminaloberkommissar zwischen 2002 und 2016 für St. Pauli erzielt. An das Derbytor erinnert er sich am liebsten. „Ich habe das Millerntor noch nie so laut erlebt, wie in diesem Moment. Das war eine Gefühlseruption. Viele sagen ja, dass Frank Rost den hätte halten müssen, aber der hatte so viel Effet, der war unhaltbar. Das sieht man aber nur in einer bestimmten Zeitlupe“, scherzt Boll.

Boll: St. Pauli gewinnt 1:0

Das Spiel am Sonntag wird er sich live vor Ort im Stadion anschauen. St. Pauli hat alle Derbysieger von 2011 eingeladen. Boll glaubt an ein ähnliches Spiel wie vor neun Jahren. „Keiner wird großartig Risiko gehen. Die Stimmung wird noch mal eine andere sein als im Volkspark. Für viele Spieler wird es das lauteste Stadion sein, in dem sie bisher gespielt haben.“ Bolls Tipp: „Der Druck ist um ein Vielfaches höher beim HSV. Ich glaube, dass es St. Pauli wuppt und 1:0 gewinnt.“

Mladen Petric wird sich das Spiel in Zürich am Fernseher anschauen. Für wen er die Daumen drückt, ist klar. Sein Schlusswort: „Es wird hoffentlich ein besseres Spiel als die letzten Derbys. Mit einem Sieg für den HSV.“