Hamburg. Das Derby zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV kann weltweit im TV verfolgt werden. In vielen Ländern haben die Rivalen Fanclubs.
Am Sonntag um 19.30 Uhr wird im Restaurant „Die Stube“ der Fernseher eingeschaltet. 28 Fans des FC St. Pauli werden sich dann bei Kartoffelsalat, Nürnberger Rostbratwürstchen oder Königsberger Klopsen gemeinsam das Hamburger Zweitligaderby zwischen St. Pauli und dem HSV anschauen. Um Irritationen vorzubeugen: Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat die Anstoßzeit des Spiels nicht auf den Abend verlegt. „Die Stube“ ist seit 2004 das erste deutsche Restaurant in der indonesischen Hauptstadt Jakarta. Und die 28 Fans sind die Mitglieder des Jakarta Fan Clubs St. Pauli. 41 offizielle Fanclubs des Kiezclubs sind im Ausland registriert – und einer von ihnen in Indonesien.
Thomas Michelsen (55) hat den Fanclub vor zwei Jahren gemeinsam mit Jan Gramm (51) aus Dänemark gegründet. Seit 24 Jahren lebt Michelsen in Jakarta und leitet dort ein eigenes Unternehmen, das sich um Arbeitsvermittlung im Ausland kümmert. Sein großes Hobby aber ist der FC St. Pauli. Und das schon seit 40 Jahren. „Es ist einfach ein besonderer Verein mit einem besonderen Stadion und besonderen Fans.“ Einen eigenen Fanclub zu gründen war vor zwei Jahren sein logischer Schritt.
Fanclub in Jakarta ist einer von 65 OFCs im Ausland
Was Michelsen bislang nicht wusste: Im vom Millerntor 11.000 Kilometer Luftlinie entfernten Jakarta gibt es einen weiteren Hamburger Fanclub. Allerdings nicht vom FC St. Pauli, sondern vom HSV. Ivan Aprianto lebt nur wenige Kilometer von Michelsen entfernt. Und im Gegensatz zu den St.-Pauli-Fans hat er mitbekommen, dass in seiner Stadt auch Fans des Hamburger Stadtrivalen leben.
Die Geschichte, wie der 23-Jährige Anhänger des HSV wurde, ist jedoch eine völlig andere. Aprianto war zwölf Jahre alt, als er auf der Playstation „Fifa“ spielte. Als Mannschaft wählte er immer mal wieder den HSV aus. Es war die Zeit, als die Hamburger noch zu den besten 20 Clubs in Europa gehörten und im Halbfinale der Europa League gegen den FC Fulham spielten. Der Junge aus Indonesien begann sich immer mehr für den HSV zu interessieren, ehe er zum richtigen Fan wurde und den Hamburger SV Indonesia Supporter Club gründete.
Heute ist Apriantos Fanclub einer von 65 OFCs im Ausland. So nennt der HSV seine offiziellen Fanclubs. Die weltweite Spannbreite reicht von Sri Lanka über Namibia und Paraguay bis nach Kanada. In Indonesien ist Aprianto bislang Gründer des einzigen Fanclubs, obwohl der HSV vor ein paar Jahren sogar eine eigene Marketingreise in den größten Inselstaat der Welt startete. In der Winterpause der Saison 2014/15 quälte sich das Team des damaligen Trainers Bert van Marwijk durch einen 44-stündigen Indonesien-Trip und ließ sich von der Auslandsvermarktung der DFL dafür 250.000 Euro bezahlen.
Das Spiel wird live in 60 Länder übertragen
Das Interesse am HSV blieb in Indonesien jedoch überschaubar. Ivan Aprianto wurde schon vor dieser Reise durch den Playstation-Zufall zum Fan. Rund 40 bis 80 HSV-Anhänger würden heute in Indonesien leben, sagt Aprianto. Durch den Abstieg in die Zweite Liga sei die Zahl zurückgegangen. Was auch damit zu tun hat, dass der HSV in dieser Saison nicht gegen Bayern München und Borussia Dortmund spiele, sondern gegen Sandhausen und Heidenheim. „Die großen Spiele wurden hier immer übertragen. Nun ist es schon eine große Anstrengung, bis ich im Internet einen Livestream gefunden habe“, sagt Aprianto.
Das Derby zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV kann am Sonntag dagegen weltweit im TV verfolgt werden. Wie die DFL auf Abendblatt-Nachfrage mitteilte, wird das Spiel in 60 Länder übertragen. Ein für deutsche Zweitligaverhältnisse überdurchschnittliches Interesse, heißt es bei der Deutschen Fußball Liga. Sehr zur Freude der vielen Fanclubs auf allen Kontinenten. Der Bedeutung des Spiels ist sich auch der junge Fan aus Indonesien bewusst. „Der Abstieg hat mich sehr traurig gemacht. Aber das Wichtigste ist jetzt das Derby. Es ist das Spiel, das du nicht verlieren darfst. Der HSV muss gewinnen“, sagt Aprianto, der darauf hofft, am Sonntag einen funktionierenden Livestream zu finden.
Zu Empanadas und Matetee gibt es auf dem Laptop HSV
Luciano Altman kennt dies Problem. Der 35-Jährige wohnt 15.200 Kilometer Luftlinie von Jakarta entfernt in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires. Wie sein Fußballseelenverwandter aus Indonesien verliebte sich Altman über die Playstation in die Raute des HSV. Zudem war der frühere HSV-Stürmer Bernardo Romeo sein Lieblingsspieler. Seit 2013 verpasst Altman kaum ein HSV-Spiel. Wenn die Partien wie am Sonntag zur Mittagszeit angestoßen werden, sitzt der Argentinier in der Heimat meist noch am Frühstückstisch. Dann gibt es zu Empanadas und Matetee auf dem Laptop HSV. Auch seine Kinder Mathilda und Manuel gucken gerne mal mit.
Altman wird in Argentinien nicht der Einzige sein, der das Derby verfolgt. Auch der FC St. Pauli hat in der Hafenstadt Buenos Aires einen offiziellen Fanclub. Während Altman das erste und einzige Mitglied seiner Gruppe ist, bestehen die „Piratas del Sur“ mittlerweile schon aus 20 Personen. Es war 2003, als Hernan Garcia zusammen mit seinen Freunden vom argentinischen Club Atlético Platense einen Verein suchte, dessen Farben ebenfalls aus Braun und Weiß bestehen. So fanden sie den FC St. Pauli.
Das Hamburger Stadtderby zieht international große Aufmerksamkeit auf sich
Doch erst als sie 2005 in Buenos Aires Fans aus Deutschland trafen, lernten sie die ganze politische Bedeutung des Hamburger Vereins kennen. „Die politische Idee des FC St. Pauli hat uns total überzeugt“, sagt Garcia, der in seiner Jugend in einer Punk-Gegend groß wurde und sich in verschiedenen sozialen Bewegungen engagierte. Er hätte keinen passenderen Zweitverein finden können als den FC St. Pauli.
Garcia, heute 38 Jahre alt, wurde damals schnell vermittelt, dass man als St.-Pauli-Fan nicht gerade eine besondere Vorliebe für den HSV entwickeln sollte. „Am Anfang richtete sich unsere Abneigung gegen Hansa Rostock. Doch als Hansa abstieg, zielte unsere Antipathie auf den HSV. Als Fan von St. Pauli ist man logischerweise gegen den ,großen Club‘ der Stadt“, sagt Garcia und nennt noch einen weiteren Grund: „Der Stolz auf eine Uhr, die die Bundesligazugehörigkeit anzeigt, haben wir als Arroganz empfunden und den Abstieg entsprechend als Gerechtigkeit gefeiert.“
das Hamburger Stadtderby zieht international eine große Aufmerksamkeit
In Nordamerika führt die Rivalität zwischen St. Pauli und dem HSV bis nach Kanada
Eine Haltung, die bei Luciano Altman für Unverständnis sorgt. Der HSV-Fan aus Buenos Aires kennt die Jungs von den „Piratas del Sur“. Nicht persönlich. Über Twitter oder Facebook haben die beiden Fanclubs aber immer mal wieder Kontakt. „Wir respektieren und schätzen uns“, sagt Altman, „aber ich verstehe nicht, warum der Hass auf den HSV so groß ist.“ Dabei kennt sich der Argentinier mit verfeindeten Fangruppen eigentlich gut aus. Altman lebt in der fußballverrücktesten Stadt der Welt – Buenos Aires. Das Duell zwischen River Plate und den Boca Juniors wird hier als Superclásico bezeichnet, als Superderby. Neben dem Glasgower Stadtderby Old Firm ist es das wohl bekannteste Derby der Sportwelt.
Aber auch das Hamburger Stadtderby zieht international eine große Aufmerksamkeit auf sich. Sky Sports aus England berichtet an diesem Donnerstag über den FC St. Pauli und den HSV. Der Club aus dem Volkspark hat in Großbritannien sechs offizielle Fanclubs, St. Pauli sogar sieben. Demnächst wird das Hamburg-Derby auch Teil eines Buches in Spanien. Redakteure des Fußball-Magazins „Panenka“ reisen in dieser Woche durch Hamburg und sammeln Informationen für ein Buch über Derbys.
Wenn das Spiel angepfiffen wird, ist es in Toronto 7.30 Uhr morgens
In Nordamerika führt die Rivalität zwischen St. Pauli und dem HSV bis nach Kanada. „St. Pauli ist mehr als Fußball“, lautet das Motto der „FC St. Pauli Toronto Fans“. In der größten Stadt Kanadas hat sich der Fanclub gebildet, um sich gegen Sexismus, Rassismus und Homophobie auszusprechen. Der Fußball spielt hier zwar auch eine große Rolle, wichtiger sind den Mitgliedern aber die politischen Botschaften. „Wir wollen Spiele gewinnen, so wie alle anderen Fans auch. Aber wir wollen auch die Welt verändern. St. Pauli gibt uns diese Möglichkeit“, schreibt die Gruppe.
Möglicherweise werden sich die Mitglieder des Fanclubs am Sonntag in einem Pub zum „Frühshoppen“ treffen. Wenn das Spiel angepfiffen wird, ist es in Toronto 7.30 Uhr morgens. Trotzdem zeigt eine Kneipe im Etobicoke, dem westlichsten Bezirk von Toronto, die deutschen Zweitligaspiele. Auch Kai Grafe könnte dann dabei sein. Der 39 Jahre alte Hamburger wohnt seit drei Jahren in Mississauga, einer Großstadt direkt an der westlichen Grenze von Toronto. Doch die Bar wird Grafe meiden. „Die sympathisieren dort mit den Bayern und Pauli. Mit Leuten, die wenig Ahnung haben von Fußball, gucke ich echt ungern. Das wäre wie angeln gehen mit Leuten, die mit einer Dose Matjes ankommen und erzählen, sie essen gerne Fisch.“
Auch in Schweden hat der FC St. Pauli einen Fanclub
Grafe, seit 1996 HSV-Fan und von 1998 bis zur Ausgliederung 2014 Dauerkartenbesitzer im Volkspark, arbeitet heute als Manager bei einer norddeutschen Firma in Kanada. Eigentlich hatte er sich nach der Ausgliederung emotional schon vom HSV verabschiedet, doch das klappte nicht. Nach dem Abstieg im vergangenen Jahr gründete er in Mississauga einen neuen Fanclub, der heute sechs Mitglieder hat. „Ich hänge einfach emotional am HSV und an der Stadt Hamburg“, sagt Grafe.
Damit hat er viel gemeinsam mit Håkan Jansson. Der 55 Jahre alte Schwede lebt in Stockholm und kann sich vom HSV nicht mehr lösen, seit er als Junge Fan von Kevin Keegan wurde. Es war die Zeit Ende der 70er-Jahre, als Jansson noch selbst Fußball spielte und der HSV mit Keegan 1979 deutscher Meister wurde. Seitdem begleitet Jansson seinen Lieblingsverein. Am Wochenende sogar bis nach Hamburg. Jansson ist nicht nur Gründer des Fanclubs HSV Sverige, sondern auch Mitglied des Vereins. So hatte er das Glück, als einer der wenigen eine Karte für das Spiel zu bekommen. Am Sonnabend reist Jansson nach Hamburg, Montag geht es zurück nach Stockholm. „Es ist das erste Mal, dass ich das Derby sehen werde. Das Spiel und das Drumherum werden ein großer Spaß.“
Jansson freut sich auf die Rivalität, die es sogar in Schweden gibt. Denn auch der FC St. Pauli hat dort einen Fanclub. In Göteborg gibt es seit 2010 den Fanclub St. Pauli D-Beat Diehards Göteborg. Eine Gruppe von Punks, die drei- bis viermal pro Saison zum Spiel nach Hamburg fährt. „Wir wollen Gleichgesinnte treffen und die Magie des Millerntors erleben“, schreibt Elvis (47), eines der 43 Mitglieder. Das Derby gucken sie am Sonntag in ihrem Clubhaus. „Wir rocken die Kutte“, schreibt der Schwede. Und zum Schluss: „Es lebe das Derby“.
Am Sonntag auf der ganzen Welt.