Hamburg. Hamburgs unumstrittener Mittelfeldchef fehlt erstmals in dieser Saison – und ist bald ganz weg. Die Probleme auf der Sechs wachsen.
Orel Mangala war fix und fertig. Er habe nur noch geheult, sagt der HSV-Mittelfeldmann, der am vergangenen Sonntag in Regensburg 20 Minuten vor Schluss vom Platz geflogen war. Der Seriosität wegen muss man an dieser Stelle aber wohl einschränken, dass das eine (geweint) mit dem anderen (geflogen) weder kausal noch temporal etwas zu tun hatte. Denn auch wenn manch einem nach Mangalas Platzverweis und dem auch dadurch 1:2 verlorenen Spiel beim Jahn tatsächlich zum Heulen zumute gewesen sein dürfte, liegen Mangalas Tränen in Wahrheit rund 15 Jahre zurück.
„Als ich mit meinem Papa zum ersten Training gefahren bin, habe ich nur geweint“, berichtet der HSV-Profi, als er im Abendblatt-Gespräch erzählt, wie der große RSC Anderlecht den kleinen Mangala bei seinem Brüsseler Stadtteilclub Etterbeek weggelockt hatte. „Ich wollte eigentlich nur mit meinen Kumpels kicken“, erinnert sich Mangala, dessen Vater den damaligen Dreikäsehoch dann aber doch überreden konnte: „Mein Vater hat mir gesagt, dass Anderlecht der größte Club Belgiens ist. Da war ich natürlich doch sehr gespannt.“
Der Rest der Geschichte im Zeitraffer: In Anderlecht reifte Mangala zu einem der talentiertesten Mittelfeldspieler Belgiens, wechselte über die BVB-Jugend und Stuttgart auf Leihbasis zum HSV, wo er in dieser Zweitligasaison im defensiven Mittelfeld herausragt – bis eben zum verhängnisvollen Sonntag.
Mehrere Optionen
Und schon sind wir im Hier und Jetzt, wo sich Trainer Hannes Wolf nun den Kopf darüber zerbrechen muss, wie er im so wichtigen Heimspiel gegen Fürth (Mo, 20.30 Uhr) den Unersetzlichen ersetzt. Kandidat Nummer eins wäre Vasilije Janjicic gewesen, der sich aber ausgerechnet am Sonntag zu sehr ein Beispiel an Mangala nahm – und ebenfalls vom Platz flog.
„Es ist natürlich ärgerlich, dass jetzt beide fehlen“, sagt Wolf, der seine Tränen über die missliche Situation allerdings zurückhalten kann. „Es ist immer noch genug Substanz in der Gruppe.“ Wolfs erstes Casting hat gleich drei mögliche Ersatzkandidaten für die zentrale Planstelle vor der Abwehr ergeben. Der Favorit: Gotoku Sakai, eigentlich Rechtsverteidiger. Die (angeschlagene) Alternative: Gideon Jung, eigentlich Innenverteidiger. Und Außenseiter Berkay Özcan, eigentlich Offensivallrounder.
„Mit Go haben wir einen, der das spielen kann und der das schon viel gespielt hat in seiner Karriere“, sagt Wolf, der Sakai im Hinrundenfinale in Duisburg bereits als Staubsauger hatte spielen lassen. Festlegen will sich Wolf aber nicht: „Wir haben mehrere Optionen, die das gut spielen können. Berkay könnte das auch, ist aber etwas positionsfremder als die beiden anderen.“
Nachfolgelösung muss her
Positionsfremd war allerdings auch Mangala, ehe Wolf ihn vom eher offensiven zum eher defensiven Mittelfeldchef umschulte. „Vor meinem Wechsel zum HSV hatte ich noch nie alleine auf der Sechs gespielt“, sagt er. „Wir waren immer zu zweit auf der Doppelsechs. Meistens habe ich sogar etwas offensiver gespielt. Erst beim HSV habe ich im 4-1-4-1 als alleiniger Sechser gespielt.“
Und an dieser Stelle folgt Problem Nummer drei auf der Position Nummer sechs: Denn mal abgesehen vom Sonntag hat Mangala seine neue Rolle als defensiver HSV-Mittelfeldchef bisher so gut ausgefüllt, dass es nach der Saison unmöglich sein wird, den aus Stuttgart nur geliehenen 20-Jährigen fest zu verpflichten. Weil der defensive Mittelfeldmann aber Wolfs wichtigster Mann in dessen präferiertem 4-1-4-1-System ist, muss nun eine Nachfolgelösung gefunden werden. Und die ist nicht in Sicht.
Bei der Suche nach einem Mangala-Nachfolger muss Sportvorstand Ralf Becker die zusätzliche Herkulesaufgabe lösen, dass mögliche Kandidaten erst Mitte Mai wissen, ob der HSV in der kommenden Saison in der Bundesliga oder doch weiter in der Zweiten Liga spielt. „Grundsätzlich suchen wir Spieler, die beide Wege mitgehen“, sagt Becker. „Spieler, deren Verträge auslaufen, sind immer interessant. Leihen werden auch wieder ein Thema sein.“
Gute Nachricht zum Schluss
Er selbst hatte zuletzt die Zweitliga-Mittelfeldmänner David Kinsombi (Kiel/23) und Philipp Klement (Paderborn/26) im Fokus. Der zum 1. April verpflichtete Sportdirektor Michael Mutzel soll jetzt zudem seine internationalen Kontakte spielen lassen, um nach möglichen Toptalenten zu suchen, die sich bei englischen oder französischen Erst- und Zweitligisten nicht auf Anhieb durchsetzen können. Es wäre das internationale Modell Mangala.
HSV verliert auch das Rückspiel gegen Regensburg:
HSV verliert auch das Rückspiel gegen Regensburg
Immer wieder Mangala. Tatsächlich ist der Belgier der beste Beleg dafür, wie sehr auch der Faktor Glück eine tragende Rolle bei einer gelungenen Kaderplanung spielt. Denn Wolf-Vorgänger Christian Titz sah seine Mannschaft im vergangenen Sommer mit Amateur Matti Steinmann (mittlerweile Vendsyssel FF) und dem ewigen Talent Janjicic noch bestens im defensiven Mittelfeld aufgestellt. Erst durch das bittere 0:3 zum Saisonstart gegen Holstein Kiel und die plötzliche Möglichkeit, Mangala aus Stuttgart zu leihen, entschied Becker – im Nachhinein zum Glück – anders.
Gegen Fürth wird der HSV nun erstmals seit dem Transfer ohne den 1,78 Meter kleinen Mittelfeldriesen auflaufen. Die gute Nachricht zum Schluss: Immerhin ist Mangala, der vor der Partie in Regensburg mit vier Gelben Karten vorbelastet war, durch den Platzverweis nicht in Gefahr, das Derby gegen St. Pauli zu verpassen. Die schlechte Nachricht: Die vier Gelben Karten bleiben trotz der Gelb-Roten Karte in Regensburg stehen, eine weitere Ein-Spiel-Sperre droht also schon bald. Oder anders formuliert: Es ist zum Heulen, zumindest ein bisschen.