Hamburg. Aufsichtsratschef Max-Arnold Köttgen in seinem ersten Interview über HSV-Finanzen, Marcell Jansen und das Horrorszenario Insolvenz.

Mit Max-Arnold Köttgen ist nicht zu spaßen. Oder besser: war nicht zu spaßen. Zumindest nicht auf dem Fußballfeld. Dort habe er als kompromissloser Vorstopper bei Arminia Hamm fehlendes Talent durch Härte wettgemacht. Sagt Köttgen selbst.

Seine Zeiten als Arminias Abwehrbollwerk sind natürlich schon ein paar Jahre her. Als Vorsitzender des AG-Aufsichtsrats des HSV ist Köttgen mittlerweile durchaus kompromissbereit. Anders als die meisten seiner Vorgänger sucht der 60 Jahre alte Vorstandschef des Recyclingunternehmens Remondis aber nicht das Scheinwerferlicht, arbeitet lieber in Ruhe im Hintergrund.

Köttgens erstes Interview als HSV-Aufsichtsratschef

Für das Abendblatt machte der gebürtige Münsteraner in dieser Woche allerdings eine Ausnahme. Nach rund einem Jahr im AG-Aufsichtsrat stimmte Köttgen erstmals einem großen Interview über das Kontrollgremium, die Finanzlage im Allgemeinen und die neue HSV-Anleihe im Speziellen zu. Er sei keiner, der gerne ins Risiko geht, sagt Köttgen, der passenderweise als Kind großer Fan von Bayern Münchens Katsche Schwarzenbeck war.

Herr Köttgen, bitte stellen Sie sich einmal folgendes (tatsächliches) Szenario vor: Sohn, 22 Jahre alt, großer HSV-Fan, Dauerkartenbesitzer, hat 8000 Euro angespart und überlegt, ob er die neue HSV-Anleihe zeichnen soll. Was würden Sie ihm raten?

Max-Arnold Köttgen: Ich bin natürlich kein Finanzberater. Was ich aber sagen kann, ist, dass auch ich als Privatperson versuchen werde, die Anleihe zu zeichnen. Ich gehöre aber nicht zu den Alt-Zeichnern der Jubiläums-Anleihe, deswegen muss ich mich noch gedulden.

Ist Ihnen das Risiko nicht zu groß? Im Anleihekatalog wird explizit auf eine „Existenzgefährdung“ hingewiesen, die „im Ex­tremfall zur Insolvenz führen“ kann.

Einen Wertpapierprospekt kann man in Teilen mit dem Beipackzettel eines Medikaments vergleichen. Auch da muss auf alle Nebenwirkungen und Risiken hingewiesen werden. Das ist bei uns nicht anders als bei anderen Clubs und Unternehmen. Es sollte sich aber jeder ein eigenes Bild machen. Der Wertpapierprospekt ist unter www.hsv-anleihe.de kostenfrei abrufbar.

Ein Beipackzettel mit dem Risiko einer „Existenzgefährdung“ klingt ungesund …

Finanzvorstand Frank Wettstein hat die finanzielle Situation der HSV Fußball AG auf der Mitgliederversammlung sehr schlüssig dargestellt. Wir haben Eigenkapital in Höhe von etwa 50 Millionen Euro und damit eine sehr solide Eigenkapitalquote. Daran ändert sich auch nichts, wenn öffentlich Schreckensszenarien gezeichnet werden.

Präsidentschaftskandidat Jürgen Hunke hat im Wahlkampf also Quatsch geredet, als er immer wieder über das drohende Szenario der Insolvenz sprach?

Quatsch ist noch eine sehr freundliche Umschreibung. Ich bin da bei unserem Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann, der Herrn Hunkes Aussagen zurecht als „vereinsschädigend“ bezeichnet hat. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich keinerlei Verständnis für solche Äußerungen habe.

Sie sind seit dem vergangenen Jahr selbst auch Mitglied. Haben Sie auf der Mitgliederversammlung von Ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht?

Selbst wenn ich es gewollt hätte, wäre das nicht möglich gewesen, weil ich aufgrund eines Registrierungsfehlers in der Mitgliederverwaltung noch nicht stimmberechtigt war. Das war aber gar nicht schlimm. Als Aufsichtsratsvorsitzender hätte ich mich bei der Präsidentenwahl ohnehin zurückgehalten. Das gehört sich so, finde ich. Auch im Vorfeld habe ich mich sehr bewusst zurückgehalten. Aber jetzt kann ich sagen, dass ich der festen Überzeugung bin, dass wir mit Marcell Jansen einen Präsidenten gefunden haben, der genau richtig sein wird bei der Zusammenführung der unterschiedlichen Strömungen durch seine Erfahrungen als Spieler, die starke Einbindung in den Verein, aber auch die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat. Darüber hinaus halte ich derzeit alle Positionen bei uns im Club, insbesondere im Vorstand, für exzellent besetzt. Ich würde mich freuen, wenn wir mit diesem Vorstandsteam, das gute Einzelspieler hat, aber auch als Team gut funktioniert, die nächsten Jahre in dieser Konstellation gut angehen können. Das gilt übrigens auch für den Trainer.

Stichwort unterschiedliche Strömungen: Die hat es auch beim 24,9-Prozent-Artikel gegeben, der einen Stopp von weiteren Anteilsverkäufen regelt. Waren Sie auf der Versammlung noch anwesend, als über den Antrag abgestimmt wurde?

Nein, das war mir leider nicht möglich. Die Versammlung hat sehr viel länger gedauert, als ich es vermutet hatte. Und ich musste am späten Nachmittag bei einem anderen wichtigen Termin anwesend sein.

Hätten Sie für oder gegen den Antrag gestimmt, wenn Sie noch anwesend und stimmberechtigt gewesen wären?

Zunächst einmal möchte ich betonen, dass ich das Ansinnen vieler Mitglieder gerade emotional sehr gut nachvollziehen kann, die gerne selbst bestimmen wollen, ob und wann noch weitere Anteile verkauft werden sollen. Rein rational muss man aber auch verstehen, dass die theoretische Option, bis zu 33,3 Prozent der Anteile zu verkaufen, dem Vorstand zusätzlichen Spielraum verschafft hätte. Ein Spielraum, den der Vorstand nur als allerletzte Möglichkeit in Betracht ziehen würde. Insofern bin ich bei dieser Frage hin- und hergerissen.

Und wo hätten Sie Ihr Kreuzchen gemacht?

Als Aufsichtsrat hätte ich dafür votiert, den Antrag abzulehnen. Ich hätte den Vorstand nicht in seinen Gestaltungsmöglichkeiten einschränken wollen.

Fühlen Sie sich nun trotzdem an den angenommenen Antrag gebunden?

Die Frage müssen Sie eigentlich nicht dem AG-Aufsichtsrat, sondern dem e.V.-Präsidium stellen. Aber natürlich muss man konstatieren, dass es von einer überschaubaren noch im Saal verbliebenen Mitgliederanzahl eine Entscheidung gegeben hat. Ich gehe davon aus, dass diese Entscheidung dann auch jeder Verantwortliche im Verein und in der AG akzeptieren wird.

Stimmt es eigentlich, dass Sie vor einem Jahr von Investor Klaus-Michael Kühne als Aufsichtsrat vorgeschlagen wurden?

Zu dem Zeitpunkt, als ich von Jens Meier für den Aufsichtsrat nominiert wurde, hatte ich Herrn Kühne genau ein einziges Mal in meinem Leben getroffen. Und das war zehn Jahre her. Richtig ist allerdings, dass Herr Kühne meinen Namen aufgrund einer Empfehlung bei Jens Meier hinterlegt hat.

Mittlerweile dürften Sie sich öfters treffen ...

Sowohl Herr Hoffmann als auch Herr Wettstein und auch ich haben uns in den vergangenen Monaten immer wieder mit Herrn Kühne getroffen. Wie schon gesagt: Wir pflegen einen verlässlichen und vertraulichen Austausch mit unseren Gesellschaftern.

Können Sie nachvollziehen, dass er auf der Hauptversammlung deutlich gemacht hat, dass er gerne noch einen Vertrauensmann im AG-Aufsichtsrat hätte?

Ihre Spekulationen kommentiere ich natürlich nicht. Meine Meinung zur Nachbesetzung des AG-Aufsichtsrates ist darüber hinaus ziemlich irrelevant, weil es einen vorgeschriebenen Prozess gibt. Die Entscheidung liegt zunächst einmal beim Präsidium und beim Beirat.

Ziemlich relevant ist Ihre Meinung zum Aufsichtsratsvorsitz. Würden Sie nach Marcell Jansens Wahl zum Präsidenten gerne Vorsitzender bleiben?

Marcell Jansen hat sich nach seiner Wahl ja sehr klar geäußert. Er hat gesagt, dass er es gut fände, wenn ich weiterhin Vorsitzender bliebe. Ich muss gestehen, dass ich dieses Amt mit großem Interesse und großer Freude ausfülle. Und sollte es keine anderen Meinungen geben, stehe ich gern auch weiterhin zur Verfügung.

Gemäß der Satzung muss ein Aufsichtsrat vor allem kontrollieren. In Anbetracht der bekannten finanziellen Situation des HSV mal ganz direkt gefragt: Haben Ihre Vorgänger versagt?

Es ist nicht meine Aufgabe und auch nicht mein Ansinnen, die Arbeit meiner Vorgänger zu bewerten.

Ihre Vorgänger haben über acht Jahre ein Millionenminus mit zu verantworten, das neunte hat Herr Wettstein bereits angekündigt …

… und ich bin davon überzeugt, dass uns danach der Turnaround gelingt.

Das waren Ihre Vorgänger in den vergangenen Jahren auch …

Sie werden mir keine Schuldzuweisungen oder abwertenden Kommentare entlocken. Wir wollen nicht zurückblicken und die Zeit der Selbstzerfleischung abhaken. Wir schauen nach vorne. Und da ist es eigentlich ganz simpel. Man muss seine Ausgaben an seinen Einnahmen orientieren. Andere Clubs wie Eintracht Frankfurt haben das auch geschafft.

Genau das wurde 2014 bei der Ausgliederung versprochen. Hat der HSV in den vergangenen vier Jahren kolossal über seine Verhältnisse gelebt?

Man kann sicherlich festhalten, dass in den vergangenen Jahren sehr viel in den Kader investiert worden ist – der sportliche Erfolg allerdings ausblieb. Genau das haben die aktuell Verantwortlichen im vergangenen Sommer erkannt und seitdem einen veränderten Kurs eingeschlagen. Ich rechne unserem Sport-Vorstand Ralf Becker hoch an, dass er einen sehr schlagfertigen Kader zusammengestellt hat, ohne dabei viel Geld ausgegeben zu haben. Und auch ich stehe nicht für einen riskanten Kurs. Wir müssen Schritt für Schritt gesunden. Sollten wir tatsächlich aufsteigen, dann will ich auch nichts von Europacup-Träumen hören. Dann würde es zunächst einmal nur um den Klassenerhalt gehen. Doch bevor wir daran denken, müssen wir ja auch erst einmal aufsteigen. Bis dahin ist es noch ein langer und beschwerlicher Weg.