Hamburg. Der neue HSV-Offensive hatte mehrere Optionen. Doch Berkay Özcan drückte seinen Willen durch – wie schon in seiner Jugend einmal.

Kurz bevor Berkay Özcan am Freitagmittag individuelle Übungen am Ball mit Co-Trainer An­dré Kilian absolvierte, griff er zu seinem Handy, um seinen Freund und künftigen Mitspieler Orel Mangala zu kontaktieren. „Ich habe ihm geschrieben, dass ich hier bin. Er hat sich riesig gefreut“, sagt Neuzugang Özcan, der den einen Monat jüngeren Mangala noch aus gemeinsamen Stuttgarter Tagen kennt. „Wir hatten immer eine sehr gute Verbindung miteinander.“

Damals Gegner, heute vereint: Berkay Özcan beim Gastspiel in Hamburg im Duell mit Aaron Hunt.
Damals Gegner, heute vereint: Berkay Özcan beim Gastspiel in Hamburg im Duell mit Aaron Hunt. © Witters

Während der 20 Jahre alte Mittelfeldspieler geduldig die Fragen der Medienvertreter beantwortete, liefen ihm die Schweißperlen über die Stirn. „Es ist ganz schön heiß hier“, sagte Özcan, der sich an das grelle Schweinwerferlicht im Bauch des Volksparkstadions erst noch gewöhnen muss. An seinen bislang einzigen Auftritt in der Hamburger Arena denkt Özcan nur ungern zurück. Am 4. November 2017 verlor er mit Stuttgart gegen den von Markus Gisdol trainierten HSV. Nach 66 durchwachsenen Minuten nahm ihn der damalige VfB-Coach Hannes Wolf vom Feld und brachte Mangala.

Auch "Unglücksclub" Cardiff wollte Özcan

In besonderer Erinnerung ist Özcan vor allem die Wucht der HSV-Fans geblieben. „Ich freue mich schon auf diese riesige Kulisse.“ Wie es der Spielplan der Deutschen Fußball Liga so will, kann Özcan den Hamburger Zuschauern in nur fünf Tagen gegen Sandhausen (20.30 Uhr) zeigen, dass er besser Fußball spielen kann als an jenem kalten Novembertag. Auch diesmal wird Mangala sein Mitspieler und Wolf sein Trainer sein.

Dass beide Jungprofis und ihr Förderer in Hamburg wieder vereint sind, ist kein Zufall. „Der Trainer hat eine sehr große Rolle für meinen Wechsel gespielt“, sagt Özcan, dem auch mehrere Angebote von türkischen Renommierclubs vorlagen. Auch Cardiff City, der englische Premier-League-Club, der momentan wegen des mutmaßlichen Flugzeugunglücks des argentinischen Spielers Emiliano Sala im Fokus steht, wollte Özcan verpflichten. Doch der talentierte Mittelfeldspieler wollte unbedingt zum HSV, um wieder mit Wolf zusammenzuarbeiten. Wegen seiner Akribie sei der 37-Jährige ein Vorbild für die Spieler. „Mit ihm kann man etwas Großes schaffen“, sagt Özcan, der kurz zögert, um dann ins Detail zu gehen: „Damit meine ich den Aufstieg“.

"Meine Mitspieler haben es auch nicht verstanden"

Vor eineinhalb Jahren sind Wolf und Özcan schon einmal gemeinsam als Zweitligameister mit Stuttgart aufgestiegen. „Ich hoffe, das hier auch zu schaffen“, sagt ein selbstbewusster Özcan, der beim HSV eine entscheidende Rolle einnehmen will. Anders als zuletzt in Stuttgart. Beim Bundesligisten geriet die Entwicklung des technisch versierten Spielmachers seit Wolfs Entlassung vor einem Jahr ins Stocken. „Das Problem war, dass mir kein Grund genannt wurde, warum ich nicht gespielt habe“, sagt Özcan rückblickend über seine schwere Zeit beim VfB. „Meine Mitspieler haben es auch nicht verstanden.“

Dabei schob Özcan sogar Extraschichten. Durch privates Boxtraining arbeitete er im mentalen Bereich und an seiner Handlungsschnelligkeit. Im Training soll er zu den fleißigsten VfB-Profis gezählt haben. Gespielt hat er trotzdem kaum. „Klar, leidet man in so einer Phase. Der Frust war da“, sagt Özcan, der nun an bessere Zeiten in Hamburg glaubt. Seine beiden favorisierten Positionen auf der Zehn und auf der Acht scheinen auf den ersten Blick allerdings durch die Routiniers Aaron Hunt und Lewis Holtby vergeben. „Ich bin ein junger Spieler, es gehört auch mal dazu, auf der Bank zu sitzen oder nicht im Kader zu sein“, sagt Özcan pflichtbewusst. „Ich hoffe, wir werden uns alle gegenseitig verbessern. Vielleicht kann ich dank ihrer Erfahrung von ihnen lernen.“

Özcan drückte seine Umschulung durch

Özcan, der momentan im HSV-Mannschaftshotel Grand Elysée untergekommen ist und eine Wohnung in Alsternähe sucht, spielt erst seit sechs Jahren im offensiven Mittelfeld. In der Karlsruher U 15 wurde er von Tim Walter, dem heutigen Kiel-Trainer, noch als Innenverteidiger eingesetzt. „Ich habe ihm gesagt, dass ich offensiver spielen will, weil es mir hinten nicht so gut gefällt“, sagt Özcan.

Fortan begann seine Karriere als Zehner. Eine Position, auf der er sich mittelfristig einen Stammplatz beim HSV erkämpfen will, um sich möglicherweise in drei Jahren seinen Traum von der Premier League zu erfüllen. Geht es nach Özcan, spielt er bis dahin beim HSV an der Seite des ausgeliehenen Mangala, der nach Saisonende nach Stuttgart zurück muss. „Ich hoffe, dass es im Sommer weitergeht“, sagt Özcan über seinen Kumpel.