Hamburg. Nach der Auflösung der Ultragruppe „Poptown“ muss sich die Fanszene neu organisieren. Noch weiß niemand, ob der Prozess gelingt.

Vom Fanrestaurant „Die Raute“ im Volksparkstadion blickt man direkt auf die Nordtribüne. „Es gibt viel zu tun“, sagt Cornelius Göbel gleich zu Beginn, als er sich hier am Dienstagmittag mit dem Abendblatt trifft. Der Leiter der Fanbetreuung beim HSV guckt auf die leeren Ränge. Was hier wohl in einer Woche zum Heimspielauftakt 2019 gegen den SV Sandhausen los sein wird?

Göbel ist unsicher und gespannt zugleich. Das hat einen Grund. Zwei Tage ist es her, dass die wichtigste Fangruppierung des HSV ihre Auflösung bekannt gegeben hat. Die Ultras von „Poptown“ hören auf. „Seit 1998 beständig und beschwipst unserer Begierde hinterher – nicht weniger chaotisch, aber immer noch anders als ihr. Das sind unsere Abenteuer ... die mit dem heutigen Tag ein Ende finden und somit in die Geschichte eingehen“, teilte die Gruppe auf ihrer Homepage mit.

Es war eine Nachricht, die für Aufsehen gesorgt hat innerhalb der Fanszene des Vereins. Wenngleich sie für viele nicht mehr überraschend kam. Auch nicht für Cornelius Göbel. „Wir haben natürlich mitbekommen, dass es Bewegung in der Gruppe gibt und sich die Dynamik verändert. Dass es zu dieser Endgültigkeit kommt, war jedoch nicht absehbar“, sagt Göbel.

Generationenkonflikt bei Poptown

Gerade einmal zehn Wochen ist es her, dass Poptown beim Auswärtsspiel in Aue sein 20-jähriges Bestehen feierte. Doch nur sechs Wochen später fehlte beim Spiel in Kiel die bekannte Flagge im HSV-Fanblock. Weitere vier Wochen später ist der Abschied der Ultras amtlich. Es heißt, die Gruppe habe sich nach so vielen Jahren in einem Generationenkonflikt zerrieben. Einige Mitglieder seien der Jugend- und Subkultur der Ultras entwachsen.

Der Abschied wirft vor allem eine Frage auf: Wer macht beim HSV jetzt die Stimmung? Es ist eine Situation, die an das Jahr 2014 und den Rückzug der „Chosen Few“ aus dem Stimmungsblock 22C erinnert. Die zu diesem Zeitpunkt wichtigste Ultragruppe hatte sich nach der Ausgliederung der HSV Fußball AG vom Club abgewendet. Seitdem hatte Poptown im Block 25A direkt hinter dem Tor die Macht über die Stimmung übernommen.

In den vergangen Jahren kamen mit den „Castaways“ und der „Clique du Nord“ zwei neue Ultragruppen hinzu. In der Hierarchie blieb Poptown aber die Nummer eins. Ihre Auflösung reißt eine große Lücke in die Fanszene. „Poptown hat den HSV in den vergangenen 20 Jahren mitgeprägt. Der Support war für den Verein unheimlich wichtig“, sagt Göbel.

Stellt Castaways jetzt den Vorsänger?

Der Fanbetreuer, 35 Jahre alt, studierter Sozialpädagoge, ist beim HSV verantwortlich für die Kommunikation mit den Anhängern, insbesondere mit den Ultras. Eine nicht immer einfache Aufgabe. Trotzdem weiß er um die Bedeutung, die Poptown sich in der Kurve erarbeitet hatte. „Poptown hatte immer klare Vorstellungen, wie die Gruppe innerhalb der Kurve agieren will. Sie hatte einen klaren antirassistischen Ansatz und war in diesem Bereich außergewöhnlich präsent und engagiert.“

Cornelius Göbel, Leiter der Fanbetreuung beim HSV
Cornelius Göbel, Leiter der Fanbetreuung beim HSV © Privat

Spannend wird die Frage, wie sich die Fanszene auf der Nordtribüne neu sortiert. Poptown stellte den wichtigsten Capo, den Vorsänger in der Fankurve. Zwar haben auch die Castaways mittlerweile einen eigenen Capo. Doch dieser muss sich erst noch die Akzeptanz erarbeiten, die Poptown-Capo Henrik Köncke innehatte.

Der 28-Jährige hatte sich in den vergangenen Jahren zum anerkanntesten Vorsänger seit Johannes Liebnau von den Chosen Few entwickelt. Wer seinen Platz auf dem Podest direkt hinter dem Tor einnimmt, ist noch offen. Die verbliebenen Ultragruppen müssen jetzt eine neue Hierarchie entwickeln.

HSV rechnet mit schlechterer Stimmung

Ein Prozess, der dauern wird. Und der sich in den kommenden Wochen zunächst negativ auf die Stimmung im Stadion auswirken könnte. „Wenn eine Gruppe wegbricht, die nach dem Wegfall der CFHH den Support gesteuert hat, dann wird man das spüren“, sagt Fanbetreuer Göbel. „Es ist eine Herausforderung, eine ganze Kurve in den Takt zu bekommen. Dafür braucht man Ausstrahlung und eine gewisse Ansprache. Die Stimmung wird sich verändern, und es wird eine Zeit dauern, bis sich alles wieder zurechtgeruckelt hat.“

Erschwerend kommt hinzu, dass zum Heimspielstart ein Gegner kommt, der die Fans nur geringfügig bis gar nicht elektrisiert: Sandhausen. Während die Auswärtstickets für das Derby beim FC St. Pauli (10. März) am Dienstag innerhalb kurzer Zeit vergriffen waren, sind für das Spiel am kommenden Mittwoch erst 32.000 Karten verkauft. Es droht die Saisonminuskulisse. „Es wird spannend, wie sich die Szene neu organisiert und wie neben dem sportlichen Start der Neustart der Ultras aussehen wird“, sagt Göbel.

Der Fanbetreuer weiß, wie schwer es ist, die junge Generation für den HSV zu motivieren. Seine drei Söhne – 8, 6 und 4 Jahre alt – konnte er aufgrund des sportlichen Misserfolgs in den vergangenen Jahren nur mit Mühe für seinen Verein begeistern. Doch die Rückrunde verspricht auch eine Chance, glaubt Göbel. Ein möglicher Aufstieg könnte eine Wende herbeiführen. Sportlich, aber auch auf der Nordtribüne.

Zunächst aber kommt Sandhausen. „Mit einem Heimspiel gegen Sandhausen zu starten, ist natürlich für die Gruppen eine große Herausforderung“, sagt Göbel. „Sie werden aber wie immer lautstark hinter der Mannschaft stehen.“