Hamburg. Der beurlaubte HSV-Trainer Christian Titz spricht offen darüber, wie man dem Nachwuchs schonend beibringt, dass man entlassen ist.

Es dauert nicht lange, bis Christian Titz an diesem Mittag erkannt wird. „Hallo, Herr Titz“, wird der frühere HSV-Trainer vom Kellner im Mangold-Restaurant des Gastwerk-Hotels freundlich begrüßt. „Wie geht es Ihnen? Und was darf es heute sein?“ 42 Tage ist es her, dass Titz als Cheftrainer des HSV beurlaubt wurde. Nach vier Spielen in Folge ohne Niederlage. Nach einem 0:0 gegen den VfL Bochum. Und mit zwei Punkten Rückstand auf Platz eins. Und trotzdem sagt der beurlaubte Coach gleich zu Beginn lächelnd: „So ist nun mal das Geschäft.“

Es ist Dienstagmittag, auf den Tag sieben Wochen nach der Freistellung. Titz, dunkelblaues Sakko, weinrotes Longsleeve, Bluejeans, bestellt ein Wasser und ein Quick Lunch. Steak, Bratkartoffeln und Brechbohnen. Doch ganz so quick wird dieses Mittagessen nicht. Titz isst langsam, redet selbstbewusst und reflektiert. Nur über den HSV will er nicht allzu viel sagen. Ganz bestimmt jedenfalls nichts Schlechtes. „Der Club hat mir die Chance gegeben, im Profibereich zu arbeiten. Und diese Chance habe ich sehr zu schätzen gewusst.“

Sieben Monate hat Titz als Cheftrainer beim HSV gearbeitet. Mit 46 Jahren saß er erstmals in einem Profispiel auf der Bank. Gegen Hertha BSC (1:2). Er war Hoffnungsträger, Abstiegstrainer, Sympathieträger und Aufstiegsgefährder zugleich. „Ich liebe meinen Job“, sagt Titz, der trotz des Abstiegs wie kaum ein Trainer vor ihm für den Stimmungsumschwung beim HSV gefeiert wurde. „Ich liebe es, täglich mit den Jungs auf dem Platz zu arbeiten, mit ihnen Gespräche in der Kabine zu führen. Das fehlt mir jetzt.“

Den Stecker gezogen

Doch was geht in jemanden vor, der für seinen Job brennt – plötzlich aber keinen Job mehr hat? Der erstmals in seinem Leben entlassen wird? „Es war in gewisser Weise so, als ob Dir einer den Stecker rauszieht“, sagt Titz. „Man ist plötzlich im Standby-Modus, obwohl man eigentlich den Energieakku noch voll hat. Und mit dieser ganzen Energie muss man dann irgendwo hin.“ Für Titz war schnell klar, wo diese Energie keinen Platz hatte: auf der Couch im eigenen Wohnzimmer. Er sei keiner, der sich zurückzieht und grübelt. Ganz im Gegenteil. „Ich musste ja irgendwo hin mit meiner Energie.“

Der gebürtige Mannheimer stürzte sich in die Arbeit. „Ich kann einfach nicht alle Fünfe gerade lassen.“ Titz hat seine eigene Firma (Coaching Zone), ist Schirmherr beim Verein RheumaKinder e. V. und gibt Vorträge. Er war im Hamburger Businessclub, bei den Entrepreneuren, im Rotary Club. „Mein großer Vorteil war, dass ich gar keine Zeit hatte, um mir unnötig den Kopf zu zerbrechen“, sagt er. Einerseits. Andererseits sind Vorträge vor Anzugsträgern auch nicht das Gleiche wie die Ansprache im Trainingsanzug in der Kabine. Titz nimmt einen Schluck Wasser. „Das klingt vielleicht merkwürdig. Aber mir hat der Druck am Spieltag gefallen. Man will gemeinsam mit der Mannschaft alles für den Sieg geben. Und genau dieses Gefühl fehlt mir jetzt.“

Doch der passionierte Fußballlehrer ist nicht der Einzige, dem etwas fehlt. Als Titz am Tag der Beurlaubung in den Volkspark bestellt wurde, wusste der Familienvater, was er zu tun hatte. „Als Eltern muss man ja vorbereitet sein.“ Auf keinen Fall wollte Titz, dass seine Kinder von der Nachricht überrascht werden. Dabei war ihm klar, dass die Nachricht nicht mehr zu stoppen ist, sobald die Pressemitteilung erst einmal verschickt ist. Dann gibt es kein Halten mehr. Auch nicht vor Schulhöfen, wo doch längst jedes Kind ein eigenes Smartphone hat. „Mir war wichtig, dass meine Frau zu Hause ist, wenn meine Kinder aus der Schule kommen.“

Ingolstadt hat zweimal den Coach getauscht

In den eigenen vier Wänden hat Titz seiner Familie die Geschehnisse des Tages in Ruhe erklärt. „Natürlich habe ich gesagt, dass das ein Vorgang ist, der nicht ungewöhnlich in dieser Branche ist.“ Sein Sohn ist 14, die Tochter neun Jahre alt. „Ich musste erklären, dass das normal ist und dass so eine Beurlaubung zum Geschäft gehört. Der Papa ist jetzt freigestellt – aber das ändert nichts an unserem Familienleben.“

In dieser Saison haben sechs Zweitligaclubs ihren Trainer gewechselt. Ingolstadt hat sogar zweimal den Coach getauscht. Fast jede Woche wird von möglichen Endspielen berichtet, von Schicksalsspielen. All das gehört zum Fußball dazu wie Tore, Dribblings und Patzer. Und wenn nach einer Niederlagenserie wieder einmal ein Übungsleiter gehen muss, heißt es schnell: Der verdient ja auch gutes Schmerzensgeld.

Worüber sich im Zirkus Profifußball aber kaum einer Gedanken macht, ist, was abseits des Scheinwerferlichts passiert, wenn dieses von heute auf morgen ausgeknipst wird. In einer Mannschaft muss der Trainer vorangehen. In der Familie sind es die Eltern. „Der offene Umgang und der starke Bund innerhalb der Familie hat diese Phase schnell überbrückt“, sagt Titz, der seinen Teller zu zwei Dritteln leer gegessen hat. Trotzdem signalisiert er dem Kellner, dass er fertig sei. Je länger man mit Christian Titz spricht, desto mehr wird klar, dass er mit sich selbst im Reinen ist. Ein Ende ist auch immer ein Anfang. Ein Spruch, der bei keinem Küchenkalender fehlen darf. Der aber trotzdem nicht falsch ist.

Kein einziges HSV-Spiel im TV mehr gesehen

Das Ende vom Quicklunch ist der Anfang vom Cappuccino danach. Titz redet noch über die zahlreichen Nachrichten, die er direkt nach seinem Aus erhalten habe und darüber, dass er seit seiner Beurlaubung kein einiges HSV-Spiel oder Tor mehr im Fernsehen gesehen habe. Nicht bei Sky, nicht in der Sportschau und auch nicht im Sportstudio. „Wenn man eine Mannschaft trainiert hat, dann kann man die nach seiner Beurlaubung nicht so einfach beiseitelegen“, sagt er, und leert seinen Cappuccino. „Aber ich freue mich für das Team über deren Erfolg.“

Deswegen war es für Titz auch völlig klar, dass er seinen Co-Trainern raten würde, das überraschende Angebot des Clubs anzunehmen und unter Nachfolger Hannes Wolf weiterzumachen. „Mir war wichtig, dass Maik und André weiterhin an Bord bleiben. Das habe ich den beiden auch bei der Einstellung gesagt.“ Den Kontakt mit den Freunden hat er aber bewusst in den vergangenen Wochen ein wenig runtergefahren. „Ich möchte ja, dass sie sich ganz unbefangen auf den neuen Kollegen einlassen.“

Titz will keiner dieser Ex sein, die im Hintergrund werkeln. Die Politik machen. Und die Zeitungen nach der nächsten Niederlage anrufen – und nach ihrer Meinung fragen. So sehr er die Arbeit beim HSV geschätzt hat, so sehr sei dieses Kapitel mittlerweile abgeschlossen. Das Leben sei nun mal eine Reise – und die Etappe HSV sei jetzt mit der Entscheidung abgeschlossen.

Für die nächste Etappe sei er aber bereit. „Ich habe mich längst entschieden: Ich will unbedingt als Trainer wieder arbeiten. Bei welchem Club oder in welcher Liga weiß ich noch nicht.“ 90 Minuten plus Nachspielzeit sind um. Der Kellner kommt und bringt die Rechnung. „Hat es geschmeckt?“, fragt er. Titz lächelt. „Wie immer. Sehr.“ Dann steht er auf, gibt die Hand und verabschiedet sich. „Bis bald mal wieder“, sagt er. „Auf Wiedersehen.“