Hamburg. Beim HSV steckt der Innenverteidiger in der Sackgasse. In der ersten Mannschaft ist er außen vor. Wechsel im Winter möglich.

Der HSV empfängt Paris Saint-Germain im Volksparkstadion. Superstar Neymar läuft in den Strafraum. Der Brasilianer will schießen, doch Stephan Ambrosius ist zur Stelle und klärt. Im Gegenzug ist der HSV-Verteidiger schon wieder vorn, flankt präzise auf den Kopf von Pierre-Michel Lasogga: Tor für den HSV. Ambrosius sackt in sein Sofa, nimmt einen Schluck Wasser. Pause an der Playstation. Am­brosius, grauer Jogginganzug, blaue Badelatschen, lächelt. „Ich spiele ,Fifa‘, seit ich klein bin. Es war mein Kindheitstraum, mich mal selbst zu spielen.“

Der 19-Jährige sitzt im Wohnzimmer seiner Wohnung in der Altonaer Chaussee. Dort an der Grenze zwischen Lurup und Schenefeld, zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein, hat Am­brosius eine neue private Heimat gefunden. Damit er dichter an seiner sportlichen wohnt. Dem Volkspark. Vor einem halben Jahr hat Ambrosius beim HSV einen Lizenzspielervertrag unterschrieben. Das Abendblatt begleitet ihn jetzt in seiner ersten Profisaison.

"Ich bin noch nicht den nächsten Schritt gegangen"

Sechs Monate nach dem Start in die neue Spielzeit steckt Stephan Ambrosius in der sportlichen Sackgasse. Seinen Traum vom Profifußball lebt der Abwehrspieler aktuell nur in der virtuellen Welt. An der Playstation. In der echten Fußballwelt läuft es für ihn alles andere als rund. In der Mannschaft des Zweitligisten ist für ihn derzeit kein Platz. Chefcoach Hannes Wolf will die Trainingsgruppe verkleinern. Am Dienstag durfte Ambrosius mal wieder zu den Profis. Zuvor war er eine Woche bei der U 21. Die jungen Spieler, die unter Wolfs Vorgänger Christian Titz immer oben mit dabei waren, sollen sich ihre Einsatzchancen erst einmal erarbeiten.

"Ich fühle mich derzeit nicht so nah dran": Stephan Ambrosius will durch einen Transfer mehr Spielpraxis erhalten. © Witters

Ambrosius, der unter Titz im April beim 1:1 in Stuttgart überraschend sein Bundesligadebüt feierte und zu Saisonbeginn noch zum erweiterten Profikader gehörte, ist einer der Leidtragenden. Die Tür, die ihm vor wenigen Wochen weit offenstand, ist derzeit nur schwer zu öffnen. „Ich bin noch nicht den nächsten Schritt gegangen“, sagt Ambrosius, während er seinen BMW zum Volksparkstadion steuert. Das Tor zum Stadion geht auf, er parkt seinen Wagen auf dem Platz der Profis. Doch gefühlt ist er im Moment weit weg von der ersten Mannschaft.

In der Regionalliga ist Ambrosius unterfordert

„Ich bin nicht im Profi-Kader, fühle mich derzeit daher nicht so nah dran. Für mich ist im Moment wichtig, dass ich viel spiele.“ 14-mal lief Ambrosius in dieser Saison für die U 21 in der Regionalliga Nord auf. Nur einmal schaffte er es in den Profikader. Es war das 0:5 gegen Jahn Regensburg am sechsten Spieltag. Vor dem Spiel sah alles danach aus, dass Titz den Verteidiger erstmals in der Zweiten Liga von Beginn an aufstellen würde. Kurzfristig entschied sich der Trainer anders. Die hohe Niederlage war dessen Anfang vom Ende. Und auch für Ambrosius sollten sich die Perspektiven mit dem Trainerwechsel wenige Wochen später verschlechtern.

Das Problem: In der Regionalliga ist der Verteidiger unterfordert. Fast immer gehört er zu den Besten. Für die Zweite Liga reicht es beim HSV – Stand jetzt – aber nicht. Rick van Drongelen, David Bates und Léo Lacroix liegen im internen Ranking vor ihm. Zudem kommen bald Gideon Jung und Kyriakos Papadopoulos zurück. Ambrosius wäre Innenverteidiger Nummer sechs.

Deshalb denkt er an einen Wechsel im Winter. Ambrosius würde sich gern verleihen lassen. Dafür hat er kürzlich seinen Berater gewechselt. Von der Hamburger Agentur FTC, bei der auch seine Mitspieler Josha Vagnoman, Aaron Opoku und Jonas David unter Vertrag stehen, wechselte er zu 100&10 Percent aus Köln. "Wir haben uns privat sehr gut verstanden, aber ich hatte sportlich eine andere Sicht. Ich habe ihn immer noch gerne, er war immer für mich da“, sagt Ambrosius. Von seiner neuen Agentur, die auch Mitspieler Khaled Narey berät, erhofft er sich bessere Optionen für einen eventuellen Wechsel in der Winterpause.

Stephan Ambrosius: Rückschlag im "Projekt Profi"

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    Ambrosius möchte im Norden bleiben

    Neue Wohnung, neuer Trainer, neuer Berater – und bald auch ein neuer Club? Ambrosius will vor allem eines: spielen. Und das so hoch wie möglich. „Wer mich kennt, der weiß, dass ich immer alles für den HSV gebe – egal ob bei der U 21 oder den Profis.“ Im Volkspark hat Ambrosius im Mai einen Vertrag bis Mitte 2021 unterschrieben. Am liebsten würde er sich beim HSV durchsetzen. Daher wäre ein Wechsel nur die B-Lösung. „Ich bin ein Hamburger Junge. In Hamburg fühle ich mich am wohlsten. Aber es kommt auch darauf an, was der HSV mit mir plant. Wenn eine Leihe für mich sinnvoll ist, würde ich das nicht von vornherein ausschließen.“

    Vor seiner Unterschrift beim HSV waren auch die Zweitligisten Holstein Kiel und FC St. Pauli, sein früherer Jugendverein, an ihm interessiert. Am liebsten würde Ambrosius im Norden bleiben. Schließlich hat er sich gerade erst in der neuen Wohnung eingerichtet. Hier lebt er jetzt mit seiner ghanaischen Mutter und seinem zwei Jahre älteren Bruder Michael, der beim Lüneburger SK in der Regionalliga spielt. Die Brüder wohnen im unteren Geschoss Zimmer an Zimmer, ihre Mutter ein Stockwerk höher.

    Die Finanzierung der Eigentumswohnung hat Ambrosius mit seinem ersten Profigehalt eingeleitet. Ein Finanzberater hilft ihm. „Bei vielen jungen Spielern besteht die Gefahr, dass sie ihr Geld schon früh aus dem Fenster werfen. Ich habe jetzt in die Wohnung investiert, damit ich meine Einkünfte sinnvoll anlege und somit ein bisschen Geld beiseitepacken kann“, sagt er.

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      Sonntags trifft er seine Freunde in Wilhelmsburg

      Zurück in Lurup. Vor dem Fernseher im Wohnzimmer steht ein kleiner goldener Pokal mit schwarzer Gravur. „Hallenturnier 2006. F-Junioren. Bester Spieler. ESV Einigkeit.“ Es ist eine Erinnerung aus seiner Wilhelmsburger Zeit. Hier wuchs er auf. Hier lernte er das Fußballspielen. Der Umzug in den Hamburger Westen ist ihm emotional nicht leichtgefallen. „Ich vermisse Wilhelmsburg natürlich, weil meine ganzen Freunde dort wohnen und wir uns jetzt seltener sehen.“ Fast jeden Sonntag traf er sich nach den Spielen mit seinen Kumpels.

      Wenn Ambrosius heute mit dem Auto in zehn Minuten zur Arbeit in den Volkspark fährt, dann weiß er, warum er umgezogen ist. „Der Weg aus Wilhelmsburg war manchmal verkehrstechnisch eine Katastrophe. Das ist jetzt viel besser“, sagt er. „Wir fühlen uns hier total wohl. Man hat alles, was man braucht, in einer ruhigen Umgebung.“

      Privat ist Ambrosius angekommen. Sportlich liegt ein weiter Weg vor ihm. „Ich muss geduldig bleiben“, sagt er, als er die Playstation ausmacht. Dann denkt er an den 18. August. Erste Runde im DFB-Pokal. Es war sein bislang einziges Pflichtspiel für die Profis in dieser Saison. Ein 5:3-Sieg. Mit einer präzisen Flanke auf den Kopf von Lasogga. Das Tor zum 3:2. So fühlt sich sein Profi­traum an. In der echten Fußballwelt.