Hamburg. Aufsichtsrat und Vorstand berieten über die Millionenverluste. Ein bereits terminiertes Treffen mit Investor Kühne wurde abgesagt.
Die Aufsichtsratssitzung der HSV Fußball AG, auf der am Dienstag die Vorstände Bericht erstatten mussten, hätte man wahrscheinlich kaum besser terminieren können. Die Tabellenführung, vier Siege in Serie und auch der zuletzt gebotene Fußball dürften jedenfalls kaum Anlass zur Kritik (oder gar Kontrolle) gegeben haben. Doch weil es beim Fußball im Allgemeinen und beim HSV im Speziellen auch (und vor allem) um das liebe Geld geht, gab es auf der gestrigen Sitzung der Kontrolleure dann doch Redebedarf. Oder besser gesagt: Nachfragebedarf.
„Wir haben eine dramatische wirtschaftliche Situation“, hatte Vorstandschef Bernd Hoffmann bereits vor einigen Wochen öffentlich verraten – und diese „dramatische wirtschaftliche Situation“ gemeinsam mit Finanzvorstand Frank Wettstein intern nun noch einmal spezifiziert. Demnach soll der Jahresfehlbetrag des Geschäftsjahrs 2017/18 rund sieben Millionen Euro betragen, das aktuell prognostizierte Millionenminus für die laufende Saison soll – Stand jetzt – bei mehr als 20 Millionen Euro liegen (das Abendblatt berichtete).
Kühne kritisiert „gezielte Indiskretionen“
Die zentrale Frage, die sich bei diesen erneuten Zahlen des Grauens aufdrängt, lautet ganz simpel: Wie konnte das passieren? Und genau diese Frage stellte das Abendblatt auch Finanzvorstand Wettstein, der noch vor einem Jahr einen ausgeglichenen Jahresabschluss für die Saison 2017/18 in Aussicht gestellt hatte. Seine aktuelle Antwort: keine Antwort. Erst wenn der HSV die Bilanz öffentlich bekannt gibt, sollen Nachfragen möglich sein.
Dabei dürfte das achte (!) Millionen-Minus in Folge relativ einfach zu erklären sein. Man könnte zum Beispiel sagen: „Wir haben einen umfangreichen Kaderumbruch mit deutlichen Investitionen betrieben, die zum einen zu höheren Abschreibungen, zum anderen zu erhöhten Personalaufwendungen führten. Die damit verbundene Erwartung im sportlichen Bereich mit Blick auf eine Verbesserung in der Bundesliga und somit einer Einnahmesteigerung in den folgenden Spielzeiten bei der Verteilung der Fernsehgelder wurde indes nicht erreicht.“ Genau diese Worte hatte Wettstein vor einem Jahr gebraucht, um das damalige Millionenminus von 13,4 Millionen Euro zu erklären. Weiter sagte er damals: „Dies, zusammen mit den Wechseln im Trainerstab und im Vorstand, hat dann zu einem gegenüber der Planung erhöhten Jahresfehlbetrag geführt.“
Treffen wurde abgesagt
Und täglich grüßt das Murmeltier. Im Geschäftsjahr 2017/18, der Abstiegssaison, wurde der Trainer gleich zweimal gewechselt, Vorstands- und Sportchef jeweils einmal. Zudem nahm sich Ex-Vorstandschef Heribert Bruchhagen offenbar bei Vorgänger Dietmar Beiersdorfer ein Beispiel und gab das nicht vorhandene Geld generös aus. Die Transferbilanz 17/18: minus 13,45 Millionen Euro. Und so sehr sich die Probleme des HSV murmeltiermäßig wiederholten, so sehr wiederholte sich auch der Lösungsansatz. Dieser hieß in der jüngeren HSV-Vergangenheit eigentlich immer: Kühne, Klaus-Michael.
Und auch im Hier und Jetzt sollte Kühne wieder eine tragende Rolle beim Sanierungskonzept spielen. Die Betonung liegt allerdings auf dem Wort „sollte“. Denn wie das Abendblatt erfuhr, wurde das bereits terminierte Treffen Kühnes, seiner rechten Hand Karl Gernandt und den HSV-Verantwortlichen, das am Montag stattfinden sollte, kurzerhand abgesagt. Dabei soll Kühne vor allem verärgert gewesen sein, dass seine Planspiele, die auslaufenden Namensrechte am Volksparkstadion zunächst nur um ein Jahr zu verlängern, öffentlich wurden. Dies sei „eine gezielte Indiskretion der HSV-Verantwortlichen, die auf diese Weise versuchen wollen, mich bezüglich weiterer Engagements zu forcieren“, schrieb Kühne auf Nachfrage in einer schriftlichen Antwort. Und weiter: „Je stärker das geschieht, desto geringer wird meine Neigung, noch etwas für den HSV zu tun.“
Stehen Investor noch 17 Millionen Euro zu?
Hinter den Kulissen soll Kühne nun erneut forcieren, einen Käufer für seine AG-Anteile (20,57 Prozent) zu finden. Dass er hierfür das Einverständnis des HSV bräuchte, ist das eine. Das andere ist, dass es gerade einmal ein paar Wochen her ist, dass der HSV intern über die umstrittene Möglichkeit sprach, Kühnes Anteile sogar auf 24,9 Prozent zu erhöhen. Zur Erinnerung: Auch Familie Burmeister (1,35 Prozent), Agrarunternehmer Bohnhorst (1,22) und die Erben von Weinhändler Margaritoff (0,67) haben noch AG-Anteile.
Die atmosphärischen Störungen zwischen Kühne und dem HSV kommen nun aber insofern zur Unzeit, als dass der Club und der Milliardär auch klären müssen, wie hoch seine Gesamtansprüche aus Spielerkäufen (Walace, Santos, Kostic) noch sind. Intern soll vom Worst Case von 17 Millionen Euro gesprochen worden sein, wobei der HSV diese Summe nicht bestätigen wollte.
Unstrittig ist dagegen, dass der HSV im Sommer die Fananleihe in Höhe von 17,5 Millionen Euro zurückzahlen muss. Dies dürfte ohne die Hilfe Kühnes allerdings schwierig werden, da auch die zweite Finanzanleihe in Höhe von 40 Millionen Euro, von denen ursprünglich ein Großteil zur Rückzahlung der Fananleihe benutzt werden sollte, nahezu komplett verplant ist. Die Rückzahlung der zweiten Anleihe ist 2026 fällig.
Es gibt auch noch Positives
Mit Spannung wird nun bei der Bilanz erwartet, wie hoch die Verbindlichkeiten der AG im Vergleich zum Vorjahr (105,5 Millionen Euro) beziffert werden und vor allem, wie sich die Finanzschulden (81 Millionen Euro) seit dem letzten Jahresabschluss entwickelt haben. All dies soll noch in diesem November öffentlich gemacht werden.
Immerhin: Man glaubt es zwar kaum, aber es gibt auch noch Positives rund um die HSV-Finanzen. So soll der Absteiger rund fünf Millionen Euro über den im Februar budgetierten Einnahmen aus Sponsoring und Hospitality liegen. Auch der beste Zuschauerschnitt aller europäischen Zweitligisten (50.979 pro Spiel) und das Pokalachtelfinale waren zuvor so nicht prognostiziert gewesen. Und sogar dem Ende des Sponsorendeals mit Hauptsponsor Emirates sieht man beim HSV gelassen entgegen. Zum einen soll noch im Winter über eine Verlängerung verhandelt werden. Zum anderen ist man sich intern sicher, selbst bei keiner Einigung einen Nachfolger zu finden, der mindestens das Gleiche wie Emirates zahlt.
Wird am Ende also vielleicht doch noch alles gut? Zumindest einer hat da so seine Zweifel. Er könne sich bei einem erneuten Millionendefizit von mehr als 20 Millionen und einer Verschuldung von weit über 100 Millionen Euro jedenfalls nicht vorstellen, schrieb Kühne, „dass ein – begrenzter – Beitrag von mir noch viel helfen würde“.
Ex-HSV-Trainer Michael Oenning wird künftig den Zweitligaclub 1. FC Magdeburg trainieren. Das berichtet die „Bild“-Zeitung. Der 53-Jährige war 2011 sechs Monate Cheftrainer des HSV.