Hamburg. Der Investor, der erstmals Sportchef Becker traf, droht erneut, seine Clubanteile zu verkaufen. Blöd nur, dass er das gar nicht kann.
Es dauerte am Sonntagmorgen nicht lang, ehe auch HSV-Chef Bernd Hoffmann über Klaus-Michael Kühnes neuesten Ausführungen auf dem Laufenden war. Der „Welt am Sonntag“ hatte der streitbare Milliardär einen wirtschaftspolitischen Rundumschlag über die FDP („Mit der FDP bin ich durch“), Kanzlerin Angela Merkel („Mir fehlen in der Bundesregierung bei Grundsatzfragen Führung und Klarheit“) und die USA („Es ist gut, dass die Europäer nicht zu Kreuze kriechen“) präsentiert.
Und obwohl Hoffmann kein Abonnent der „WamS“ ist, hatte er Kühnes Thesen bereits vor dem familiären Sonntagsfrühstück verschlungen. Denn natürlich fehlte bei der unterhaltsamen FDP-Merkel-USA-Abrechnung auch Kühnes Lieblingsprellball nicht: der HSV.
„Es ist ein Drama, wie der Verein in sich zusammengefallen ist“, wird der vermögende „Edel-Fan“ zum Ende des Gesprächs zitiert. „Ich sehe im Moment kein Konzept, für das es sich lohnt, weiterhin Geld zu investieren.“ Die FDP, Merkel, die USA und der HSV: Für Kühne alle irgendwie doof. Doch wirklich interessant wurde es für Zeitungsleser Hoffmann erst zum Schluss des Interviews, als der HSV-Investor verrät: „Ich muss mich jetzt selbst disziplinieren. Deshalb will ich meine Anteile loswerden. Einen Käufer habe ich noch nicht gefunden.“
Kühne kann Anteile nur an den HSV verkaufen
Kühnes Quintessenz verblüfft gleich doppelt. Denn was der Unternehmer zum einen wissen sollte: Der Anteilseigner, der 20,57 Prozent der Clubanteile hält und größter Einzelinvestor der HSV-Fußball-AG ist, kann seine Anteile gar nicht verkaufen. Sämtliche Anteile sind vinkulierte Namensaktien, was nichts anderes bedeutet, als dass es nur einen einzigen möglichen Käufer geben kann: den HSV. „Wir haben alle Zügel in der Hand“, bestätigt Hoffmann.
Zum anderen überrascht Kühnes Wort zum Sonntag („Der Verein muss jetzt erst einmal kleinere Brötchen backen“) auch deswegen, weil sich der Wahl-Schweizer und der HSV nach wochenlangem Clinch gerade erst wieder ein wenig angenähert hatten. Sportvorstand Ralf Becker hatte sich nach Abendblatt-Informationen vor anderthalb Wochen erstmals mit Kühne getroffen und anschließend über einen „angenehmen und konstruktiven Gedankenaustausch“ berichtet.
Bereits vor dem in der Theorie „angenehmen Gedankenaustausch“ mussten Becker und Hoffmann ganz praktisch beweisen, dass der HSV auch ohne Kühne kann. Denn anders als in den Vorjahren, als Kühne immer wieder mit Geld (und Forderungen) eingesprungen ist, musste Becker in seiner ersten Transferperiode als neuer HSV-Sportchef auf Unterstützung des exzentrischen Milliardärs verzichten.
Gehaltsetat liegt zwischen 26,6 und 29,2 Millionen
Der HSV verpflichtete insgesamt acht Spieler, gab aber lediglich für einen (Khaled Narey/1,7 Millionen Euro) eine Ablöse aus. „Für uns ging es nach dem Abstieg zum einen darum, eine Mannschaft zusammenzustellen, die sportlich erfolgreich sein kann. Und zum anderen war mindestens genauso wichtig, dass wir die wirtschaftliche Schieflage bereinigen“, sagt Becker, der in bester Kühne-Manier Klartext spricht: „Für uns war das eine existenzielle Aufgabe. Das muss man auch mal so deutlich sagen.“
Ob die sportlichen Ziele auch ohne Kühne erreicht werden, wird man wohl erst am Ende der Saison sagen können. Die wirtschaftlichen Ziele dieser Saison (Gehaltsetat von 28 Millionen Euro) scheint Becker aber bereits jetzt nahezu erreicht zu haben. Nach Abendblatt-Informationen hat der Sportchef die Kaderkosten auf 26,6 Millionen Euro (im Falle von 55 Punkten zum Saisonende) oder 29,2 Millionen Euro (bei 65 Punkten) senken können.
Seit Kühnes Engagement beim HSV 2010 dürfte Becker damit einer der ersten HSV-Verantwortlichen sein, der den Gehaltsetat nicht gnadenlos überzieht.
Magath kritisiert den HSV wegen Kühne
Wie es vor Becker mit Kühne so lief, können Interessierte auf 269 Seiten in dem gerade erst erschienenen HSV-Buch „Der Abstieg – wie Funktionäre einen Verein ruinieren“ nachlesen. Die Antwort in Kurzform: gar nicht. Etwas ausführlicher fällt die Antwort in dem Buch aus. Den Autoren Daniel Jovanov und Tobias Escher war die Gute-Zeiten-schlechte-Zeiten-Verbindung zwischen dem Wahl-Schweizer und dem HSV alleine 52 Seiten wert.
Neue Fakten oder Investigatives bietet das Buch zwar nicht, dafür aber eine chronologische und vor allem ziemlich ausführliche Nacherzählung des vergangenen HSV-Jahrzehnts, in dem Kühnes Quartalserregungen die einzige Konstante des chronischen Krisenclubs darstellten.
Der frühere Hamburger Felix Magath, ein anderer Protagonist des Buchs, reagierte am Sonntag überrascht auf den neuen Kühne-Zwist. „Der Club ist nicht auf dem richtigen Weg. Ich verstehe nicht, warum ein Verein wie der HSV nicht in der Lage ist, einen Investor wie Herrn Kühne bei der Stange zu halten“, sagte Magath bei Sky. „Aus meiner Sicht ist er ein Glücksfall.“
Aus Beckers Sicht ist Kühne zumindest kein Unglücksfall. „Natürlich muss man nicht automatisch Geld verschwenden, wenn man zusätzliches Geld von Herrn Kühne zur Verfügung gestellt bekommt“, sagt Becker, der keinen endgültigen Schlussstrich in der On-Off-Beziehung zwischen Club und Investor ziehen will. Genauso wenig wie Hoffmann („Eine Trennung von Herrn Kühne wird von uns keinesfalls angestrebt“) und Kühne selbst. Sein letzter Satz in dem Interview: „Ich schließe auch nicht aus, dass ich irgendwann einmal zurückkomme.“ Dazu müsste er zunächst aber erst einmal weg sein.