Hamburg. Sportchef Becker und Trainer Wolf wollen in der Länderspielpause erörtern, ob im Winter nachgebessert wird.
Wenn die Fußballer des HSV an diesem Dienstag um 11 Uhr die gewohnte Treppe Richtung Trainingsplatz hinabsteigen, wird sich den Zuschauern im Volkspark ein ziemlich ausgedünnter Kader präsentieren. Obwohl mit Pierre-Michel Lasogga, Aaron Hunt, Lewis Holtby, Gotoku Sakai, Douglas Santos oder Julian Pollersbeck prominente Spieler mit Nationalelf-Erfahrung dabei sind, fällt die Größe der Trainingsgruppe überschaubar aus. Weil am Sonntagabend auch noch Verteidiger Léo Lacroix für die Schweizer Nationalelf nachnominiert wurde, fehlen HSV-Trainer Hannes Wolf in dieser Woche insgesamt zehn Spieler, die auf Länderspielreise unterwegs sind.
Dass der Kader in kompletter Größe über die Qualität verfügt, um den Wiederaufstieg in die Bundesliga zu realisieren, hat Wolf in seinen ersten 18 Tagen als HSV-Trainer nachgewiesen. Nach vier Siegen in seinen vier Pflichtspielen hat Tabellenführer Hamburg vier Punkte Vorsprung auf Relegationsrang drei. Trotzdem will Wolf die Zeit in der Länderspielpause nutzen, um gemeinsam mit Sportvorstand Ralf Becker die Kaderstärke zu analysieren.
HSV-Kader stark genug für das große Ziel?
Dabei soll erörtert werden, ob Wolf den HSV-Kader auch tatsächlich ausreichend besetzt sieht, um das große Ziel zu erreichen. „Wir werden die Zeit in der Länderspielpause nutzen, um uns zusammenzusetzen und unsere Kaderzusammenstellung in Ruhe zu analysieren. Es geht perspektivisch vor allem darum, viele richtige Entscheidungen zu treffen“, sagte Ralf Becker am Montag dem Abendblatt. Geht es nach dem Sportchef, wären in der Wintertransferperiode Kaderkorrekturen nicht zwingend erforderlich. Die Analyse soll nun ergeben, ob Trainer Hannes Wolf die Einschätzung teilt.
Wenn Becker von „wichtigen“ Entscheidungen spricht, meint er insbesondere die Kaderzusammenstellung für die kommende Saison, die bereits anläuft. Die große Herausforderung für Becker ist dabei die Ungewissheit über die Ligazugehörigkeit. Die finanziellen Möglichkeiten würden im Falle des Nichtaufstiegs deutlich geringer ausfallen. Bei einem weiteren Jahr in der Zweiten Liga müsste der HSV den Gehaltsetat von derzeit rund 28 Millionen Euro noch einmal deutlich auf ein Zweitliganormalmaß herabsenken. Zum Vergleich: Der Tabellenvierte FC St. Pauli zahlt für seinen Kader in dieser Saison rund zwölf Millionen Euro.
Sieben Spielerverträge laufen aus
Sieben Spielerverträge laufen beim HSV nach dieser Saison aus. Neben den endenden Leihgeschäften von Orel Mangala (VfB Stuttgart), Hee-chan Hwang (Red Bull Salzburg) und Lacroix (AS Saint-Étienne) stehen auch Lewis Holtby, Pierre-Michel Lasogga, Jairo Samperio und Bakery Jatta nur noch bis Saisonende beim HSV unter Vertrag. Während der Spanier Jairo (Totalschaden im Knie) aufgrund seiner ungewissen sportlichen Zukunft durchaus Chancen auf einen Anschlussvertrag hat, will der HSV bei Jatta die weitere Entwicklung abwarten. Trotz seines ersten Profitores am Sonnabend beim 3:1-Sieg in Aue ruhen die Vertragsgespräche noch mindestens bis zur Winterpause. Zeiten, in denen Spieler nach wenigen guten Spielen einen neuen Vertrag bekamen, sollen unter Becker vorbei sein. Bestätigt der 20 Jahre junge Jatta allerdings seine Entwicklung der vergangenen Wochen, sollte einer HSV-Zukunft nichts im Wege stehen.
Anders sieht es bei Holtby und Lasogga aus. Ob die beiden beim HSV im Sommer noch eine Perspektive haben, hängt maßgeblich an der wirtschaftlichen Situation. Die Idee, Lasoggas auslaufenden Vertrag vorzeitig zu verlängern, um das hohe Gehaltsvolumen zu strecken, ist seit Saisonbeginn vom Tisch. Auch die Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung von Topspieler Douglas Santos (Vertrag bis 2021) sind vorerst verschoben. Stand jetzt ist das Kadergerüst für die Saison 2019/20 noch völlig offen. Zurückkehren werden zunächst die verliehenen Bobby Wood (Hannover 96) und Finn Porath (SpVgg Unterhaching).
Planungen für alle möglichen Szenarien
Die Planungen sollen nun allmählich vorangetrieben werden – für alle möglichen Szenarien. Unabhängig von der Ligazugehörigkeit in der kommenden Saison ist schon jetzt klar, dass der HSV auch bei einem Wiederaufstieg keine Fünf-Millionen-Transfers mehr stemmen kann. Becker sieht darin kein Problem. „Da muss man vielleicht auch mal einen Spieler ausleihen und ein bisschen kreativ auf dem Transfermarkt sein“, sagte der 48-Jährige am Sonntag bei NDR 90,3.
Als Blaupause für künftige Transfers gilt Khaled Narey. Der Flügelstürmer, der im Sommer für 1,7 Millionen Euro von Greuther Fürth kam, entwickelt sich zunehmend zum Schlüsselspieler. Seine Tore sicherten dem HSV zuletzt die Siege in Magdeburg und Aue. Beim HSV ist man überzeugt, im Kernmarkt Zweite Liga künftig noch mehr Nareys zu finden, die in einer vergleichbaren Preiskategorie liegen. Als Vorbilder für die Hamburger gelten dabei Hertha BSC oder Eintracht Frankfurt, die sich nach den Abstiegen mit einer klugen Transferpolitik in den vergangenen Jahren wieder kontinuierlich in die obere Hälfte der Bundesliga hochgearbeitet haben.
Bis der HSV dort aber wieder ankommt, muss er vor allem eines: ganz viele richtige Entscheidungen treffen.
Dem am Sonnabend in Aue vom Zaun gestürzten HSV-Fan Thorsten S. geht es deutlich besser. Er konnte das Krankenhaus verlassen, muss aber weiter ärztlich versorgt werden.