Siegen. Vier Jahre, nachdem Lasogga den HSV vor der Zweiten Liga bewahrte, verhindert er nun eine Pokalblamage des Nun-doch-Zweitligisten.

Es war kurz nach 3 Uhr in aller Herrgottsfrühe, als das blaue HSV-Gefährt in der Nacht zum Sonntag auf den Parkplatz vor dem Volksparkstadion rollte. Müde schlichen die Hamburger aus dem Bus, verabschiedeten sich und fuhren mit ihren Autos davon. Ihr einziger Arbeitsauftrag für den Tag nach dem schwachen 5:3 in der ersten DFB-Pokalrunde gegen den TuS Erndtebrück: ausruhen und regenerieren.

Dass Trainer Christian Titz keine magathsche Strafeinheit mit publikumswirksamen Medizinball-Zirkeltraining oder hollerbachschen Steigerungsläufen am Sonntagvormittag ansetzen musste, hatten die Profis des HSV vor allem einem Kollegen zu verdanken, der selbst kein großer Freund von Magath-Hollerbach-Medizinballtraining sein soll: Pierre-Michel Lasogga.

„Lasso ist ein Vollblutstürmer. Wenn der auf den Platz kommt, dann gibt er immer hundert Prozent“, schwärmte Torhüter Tom Mickel am späten Sonnabend, als in Siegens Leimbachstadion gerade „Bella Ciao“ aus den Boxen dröhnte. „Wir sind froh, dass wir ihn haben. Er bringt noch mal eine andere Stürmerqualität auf den Platz. Man hat sofort gesehen: Ein geiler Spieler.“

Lasogga: Ich bin immer heiß

Dieser „geile Spieler“ war es dann auch, der beim ewigen DFB-Pokal-Kampf zwischen David (Oberligist Erndtebrück) und Goliath (Zweitligist HSV) nur etwas mehr als 200 Sekunden auf dem Platz brauchte, um eine Blamage von historischem Ausmaß abzuwenden und seinem Ruf als „Vollblutstürmer“ umfänglich gerecht zu werden.

62. Minute rein, 64. Minute das 3:2, 66. Minute das 4:2. „Pierre kam rein und hat nach seiner Einwechslung direkt gezündet. Er hat mit seiner Art noch mal für einen Schub gesorgt“, lobte Sportvorstand Ralf Becker. „Das war sicherlich eine sehr gute Einwechslung.“

Der HSV mogelt sich gegen Erndtebrück weiter

Erleichterung pur: Orel Mangala machte mit seinem ersten Pflichtspieltreffer für den HSV den Sieg in Erndtebrück perfekt
Erleichterung pur: Orel Mangala machte mit seinem ersten Pflichtspieltreffer für den HSV den Sieg in Erndtebrück perfekt © dpa | Marius Becker
Technisch ansprechend: Orel Mangala verzückte die mitgereisten Fans mit einem Schuss aus 18 Metern
Technisch ansprechend: Orel Mangala verzückte die mitgereisten Fans mit einem Schuss aus 18 Metern © imago/Rene Traut | Rene Traut
Teamplayer: Stammkeeper Julian Pollersbeck, der gegen Erndtebrück zuschauen musste, freute sich über den Erfolg seiner Kollegen
Teamplayer: Stammkeeper Julian Pollersbeck, der gegen Erndtebrück zuschauen musste, freute sich über den Erfolg seiner Kollegen © imago/Team 2 | TEAM2
Der Joker sticht: Pierre-Michel Lasogga avancierte mit zwei Treffern zum Matchwinner. Es waren die ersten beiden Saisontore für den teuersten Spieler der Zweiten Liga
Der Joker sticht: Pierre-Michel Lasogga avancierte mit zwei Treffern zum Matchwinner. Es waren die ersten beiden Saisontore für den teuersten Spieler der Zweiten Liga © WITTERS | ThorstenWagner
Torjäger bei der Arbeit: Pierre-Michel Lasogga setzte sich beim Treffer zum 4:2 hervorragend durch und betrieb bei Trainer Titz Werbung in eigener Sache
Torjäger bei der Arbeit: Pierre-Michel Lasogga setzte sich beim Treffer zum 4:2 hervorragend durch und betrieb bei Trainer Titz Werbung in eigener Sache © imago/Team 2 | TEAM2
Was macht ihr nur mit mir? Trainer Christian Titz konnte mit dem bisweilen selbstgefälligen Auftritt seiner Spieler nicht zufrieden sein
Was macht ihr nur mit mir? Trainer Christian Titz konnte mit dem bisweilen selbstgefälligen Auftritt seiner Spieler nicht zufrieden sein © WITTERS | ThorstenWagner
Abwehrarbeit wird überbewertet: Tatsuya Yamazaki (r.) kann ungehindert einschieben. Torhüter Tom Mickel ist ohne Chance
Abwehrarbeit wird überbewertet: Tatsuya Yamazaki (r.) kann ungehindert einschieben. Torhüter Tom Mickel ist ohne Chance © imago/Jan Huebner | Jan Huebner/Blatterspiel
Schwerstarbeit beim Fünftligisten: Rick van Drongelen (r.) hatte über 90 Minuten große Mühe, die Abwehr zu organisieren
Schwerstarbeit beim Fünftligisten: Rick van Drongelen (r.) hatte über 90 Minuten große Mühe, die Abwehr zu organisieren © Bongarts/Getty Images | Christof Koepsel
Durchblick behalten: Stephan Ambrosius feierte ein ordentliches Saisondebüt in der Innenverteidigung. Selbst der Nebel der Pyro-Fackeln im HSV-Fanblock störten ihn nicht
Durchblick behalten: Stephan Ambrosius feierte ein ordentliches Saisondebüt in der Innenverteidigung. Selbst der Nebel der Pyro-Fackeln im HSV-Fanblock störten ihn nicht © WITTERS | ThorstenWagner
Balsam für die Seele: Fiete Arp durfte erstmals in dieser Saison in der Startelf ran und traf prompt zum 2:0. Khaled Narey legte das Tor auf und freute sich mit dem 18-Jährigen
Balsam für die Seele: Fiete Arp durfte erstmals in dieser Saison in der Startelf ran und traf prompt zum 2:0. Khaled Narey legte das Tor auf und freute sich mit dem 18-Jährigen © imago/Jan Huebner | Jan Huebner/Blatterspiel
Guter Anfang: Lewis Holtby traf bereits in der siebten Minute per Foulelfmeter. Sicherheit brachte dieser Treffer dem Team aber nicht
Guter Anfang: Lewis Holtby traf bereits in der siebten Minute per Foulelfmeter. Sicherheit brachte dieser Treffer dem Team aber nicht © WITTERS | ThorstenWagner
Auf ein gutes Spiel: Erndtebrücks Trainer Ivan Markow und HSV-Coach Christian TItz begrüßten sich vor dem Spiel sportlich fair
Auf ein gutes Spiel: Erndtebrücks Trainer Ivan Markow und HSV-Coach Christian TItz begrüßten sich vor dem Spiel sportlich fair © WITTERS | ThorstenWagner
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Wenig später stand auch der viel Gelobte mit nacktem Oberkörper auf der Tartanbahn, in der rechten Hand die Trophäe zum „Man of the Match“, und versuchte das eben Geschehene noch einmal in Worte zu fassen. „Ich bin immer heiß, wenn ich spiele“, sagte Lasogga, der so redet, wie er Fußball spielt: Geradeaus, direkt, keine Schnörkel. „Heute war das wie ein Dosenöffner für mich – so etwas tut immer gut.“

Lasoggas Ups and Downs beim HSV

Einen Öffner brauchte der 26 Jahre alte Torjäger vor allem deswegen, weil die Dose Lasogga ziemlich lange ziemlich geschlossen war. Die Kurzversion der eigentlich sehr langen Lasogga-Geschichte geht so: 2014 rettete der von Berlin nur geliehene Angreifer den HSV mit zwölf Saisontoren und einem Treffer im Relegationsfinale in Fürth vor dem sicheren Abstieg, wird für aberwitzige 8,5 Millionen Euro verpflichtet und fällt danach in eine ganze Reihe von Leistungslöchern.

In der vergangenen Saison war Lasogga endgültig reif für die Insel, ließ sich für ein Jahr nach Leeds ausleihen, um – entgegen der Hoffnungen der Verantwortlichen – in diesem Sommer dann doch als wohl bestverdienender Zweitligaprofi der Geschichte wieder auf der Matte zu stehen.

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„Das waren meine ersten beiden Tore in einem Pflichtspiel nach meiner Rückkehr aus England. Das tut immer gut. Vor allem für einen Stürmer ist es enorm wichtig“, sagte Lasogga, der beim HSV so etwas wie ein dauernd hinfallendes Stehaufmännchen ist. Und vielleicht ist es genau das, was die Fans an dem bulligen Jungen aus dem Ruhrgebiet so mögen: Lasogga ist ein ehrlicher Arbeiter, kein Feingeist. Er gibt alles, trifft, gibt wieder alles, versagt, wird aussortiert, gibt immer noch alles, kommt zurück, gibt weiterhin alles, bekommt eine neue Chance – und macht vor alles eines: wieder alles geben.

Titz kritisiert van Drongelen indirekt

„Lasogga, oho, Lasogga, ohoho“, sangen die knapp 5000 nach Siegen mitgereisten Hamburger, als die Partie vorbei war und es eigentlich gar nichts zu bejubeln gab. Oder besser: fast nichts. „Was zählt, ist, einfach eine Runde weiterzukommen“, fasste Lasogga den minimalen Erfolg gegen Erndtebrück in maximaler Lasoggamanier zusammen.

So einfach wollte Titz seine Mannschaft vor der knapp sechsstündigen Rückfahrt aber doch nicht davonkommen lassen. „Wir haben es heute defensiv nicht gut gemacht“, sagte der Coach ganz allgemein. Speziell dürfte er Rick van Drongelen gemeint haben, der gleich bei zwei von drei Gegentreffern schlecht ausgesehen hat. Das überraschte, weil der Niederländer der einzige Innenverteidiger ist, der seinen Platz sicher hat. Daneben bewerben sich mit Stephan Ambrosius, David Bates und Neuzugang Léo Lacroix gleich drei Kollegen um die vakante Planstelle.

Sturmduell beim HSV eröffnet

Aus drei macht eins ist auch das Motto im Sturm in der Woche vor der Partie gegen Bielefeld am kommenden Montag. Lasogga (zwei Tore), Fiete Arp (ein Treffer) und Manuel Wintzheimer (ein Tor beim 2:3 der U21 gegen Kiel II) sind die Kandidaten, von denen der Erndtebrück-Man-of-the-Match allerdings die Nase vorne haben dürfte.

„Ich habe heute nicht lange gebraucht. Das spricht ja auch für mich“, sagte Lasogga am späten Sonnabend selbstbewusst. Sogar den passenden Kamin für die Trophäe habe er, versicherte der Stürmer. Und wahrscheinlich hätte Lasogga noch ewig so weiterreden können, wenn Co-Trainer Alexander Hahn ihn nicht zum regenerativen Auslaufen abkommandiert hätte („Lasso, schön das Auslaufen mit Auge schwänzen? Genug jetzt mit all den Interviews!“).

Am Sonntag wird die nächste Pokalrunde ausgelost. Und Lasogga, so viel steht fest, wird wieder alles geben.