Hamburg. Der kleine Japaner macht den Fans Mut – im Abstiegskampf und für die Zukunft. Darüber sinniert Ito selbst in wirklich gutem Deutsch.
„Wir steigen nicht ab!“ So viele Ausrufezeichen kann man gar nicht setzen, wie sie Tatsuya Ito mitdenkt. Daran gibt es keinen Zweifel, nur Überzeugung. Der Japaner strahlt drei Tage vor dem Abstiegsduell beim VfL Wolfsburg am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und abendblatt.de) nur Zuversicht und Optimismus aus. So wie eigentlich alle im HSV-Team. „Wenn wir gewinnen, dann sind wir wieder ganz nah dran“, sagt er.
Auch nach dem Training am Mittwoch schob er noch eine kleine Extraeinheit Schuss- und Flankentraining ein. „Das muss ich noch verbessern, daran arbeite ich hart.“ 20 Jahre alt ist er, sieht aus, als würde ihm niemand in einem Geschäft Alkohol und Zigaretten verkaufen. Kein Wunder auch, bei einer Körpergröße zwischen 1,63 und 1,66 Metern („Ich will gar nicht wissen, wie groß ich bin“). Und doch strahlt er eine erstaunliche Abgeklärtheit und Reife aus, die eben so gar nicht seiner äußeren Erscheinung entspricht. „Es ist kein Nachteil, als Flügelspieler klein zu sein“, sagt er selbstbewusst. „Viele Weltklassespieler sind klein.“
Erstes Bundesligaspiel vor vier Jahren
Tatsuya Ito also. Irgendwie steht er für den neuen HSV. Für die Hoffnung auf eine Zukunft mit Nachwuchstalenten aus den eigenen Reihen, die es geschafft haben. Und er steht auch für die minimale Hoffnung in der Gegenwart – für die abermalige Rettung vor dem Abstieg. Er ist der einzige Spieler aus der Reihe von Talenten, der den Sprung in die Stammelf geschafft hat. Sieht man einmal von dem 23 Jahre alten Matti Steinmann ab, der sein erstes Bundesligaspiel schon vor vier Jahren bestritt. „Ito hat überragende Qualitäten im eins gegen eins“, lobt Trainer Christian Titz. „Da ist er nur schwer auszurechnen und kaum zu stoppen.“
Titz hatte ihn bereits in der Regionalligamannschaft geformt und gefördert. Für das ballbesitzorientierte Spiel des Trainers passt er gut, gerade weil er Dribblings gewinnt. „Wir müssen auch mal Risiko spielen und nicht immer nur passen, sondern versuchen, in Eins-gegen-eins-Situationen am Gegner vorbeizukommen, dadurch können wir Chancen kreieren“, weiß Ito, dessen Vorbilder Franck Ribéry (1,70 Meter), Eden Hazard (1,73 Meter), Dries Mertens (1,69 Meter) und Lorenzo Insigne (1,63 Meter) sind. „Für mich ist es gut, dass Christian Titz der Trainer ist. Auch in der Bundesliga.“
Ito zur WM?
Schon nach seinem Bundesliga-Heimdebüt am 24. September gegen Werder Bremen wurde Ito von den begeisterten HSV-Fans mit Sprechchören gefeiert. Nach seiner Gala am 7. April gegen Schalke 04 setzte ein Run auf sein Trikot mit der Nummer 43 ein. Der Gelsenkirchener Trainer Domenico Tedesco adelte ihn: „Wir haben ihn nicht in den Griff bekommen.“ Erstmals wurde Ito im März dieses Jahres zu Japans U-21-Nationalmannschaft eingeladen, schon denken einige darüber nach, ob er nicht eine Option für die Weltmeisterschaft im Sommer ist. „Ich habe mit dem Nationaltrainer noch nie geredet“, sagt Ito. „Ich bin erst 20. Ich kann auch in vier Jahren noch eine WM spielen.“
Es ist eben alles in diesem Jahr sehr schnell gegangen, dann doch: „Mein Traum vor der Saison war es, eine Minute Bundesliga spielen zu dürfen. Das habe ich geschafft“, sagt er. Und lächelt. Eine klare Erfolgslinie, ein gerader Weg, der nur eine kleine Delle hatte. „Bei Trainer Bernd Hollerbach habe ich nicht konstant gespielt, das war eine schwierige Zeit für mich“, sagt Ito mit Blick auf fünf Spiele, in denen er nicht einmal im Kader stand, „aber ich habe trotzdem nicht nachgelassen.“ Tatsächlich wirkt der junge Mann ein wenig, wie es dem Klischee vom Japaner entspricht: fleißig, fokussiert, ehrgeizig. „Meine Freizeit sehe ich als Zeit zwischen zwei Trainingseinheiten, manchmal arbeite ich da auch noch privat an der Fitness“, sagt er. Und, nein: „Richtig intensive Hobbys habe ich nicht.“
Fußball ist das Leben
Das alles erzählt er in wirklich gutem Deutsch. Er denkt über seine Antworten nach. „Was heißt Freunde?“ hakt er bei einer entsprechenden Frage nach – und man weiß, es geht nicht ums Verstehen, sondern um die tiefere Bedeutung des Wortes, für ihn und andere. Mit 18 Jahren war er im Sommer 2015 nach Hamburg gekommen. Der Flügelflitzer vom Vorortverein Kashiwa Reysol aus Tokio war dem HSV bei einem Turnier in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgefallen.
Sven Marr und Dieter Gudel vom Nachwuchsleistungszentrum flogen nach Japan, um die Familie zu treffen und den Jungen vom HSV zu überzeugen. Mit Erfolg, auch wenn das erste Jahr wegen schwerer Verletzungen schwierig war. „Ich fühle mich hier wohl, habe meine Wohnung. Ich sehe meine Eltern und Freunde zweimal im Jahr, in der Sommer- und der Winterpause, wenn ich in Japan bin. Das tut dann auch gut“, sagt er. Sonst ist eben Fußball das Leben.
Vertrag von Sakai läuft aus
Doch natürlich hilft es, dass mit Gotoku Sakai ein weiterer Japaner in der Mannschaft spielt, mit dem er sich auch privat trifft. Ob das so bleibt, ist jedoch ungewiss, der Vertrag des Kapitäns läuft am Saisonende aus. „Dann ist es eben so, im Fußball gehören Wechsel dazu“, sagt Ito. Er selbst allerdings hat erst im vergangenen Winter seinen Vertrag beim HSV bis 2021 verlängert. Als „richtiger“ Profi. Als einer der Hoffnungsträger für die Zukunft, eventuell auch als einer der Garanten für einen schnellen Wiederaufstieg in die Erste Liga. Aber halt, Quatsch, worüber reden wir? Tatsuya Ito weiß schließlich: „Wir steigen nicht ab!“
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