Wolfsburg/Hamburg. Hamburgs Retter von 2015 meidet vor dem Abstiegsduell mit seinem Ex-Club bestimmte Vokabeln wie der Teufel das Weihwasser.
Er atmet einmal kräftig durch. „Ach puh“, sagt Bruno Labbadia, als es um DAS Thema geht. Um DAS Thema des kommenden Wochenendes. „Entscheidend ist nur mein Club. Nur das interessiert mich, nicht irgendein Club“, sagte der 52-Jährige schließlich. Wenn Labbadia von „meinem Club“ spricht, dann meint er natürlich den VfL Wolfsburg. Schließlich ist das sein Arbeitgeber. Mit „irgendeinem Club“ meint Labbadia den HSV. Eine Zuschreibung, die nicht ganz so natürlich ist. Schließlich meinte Labbadia lange Zeit den HSV, wenn er von „seinem“ Club gesprochen hat.
DAS Thema des kommenden Fußball-Wochenendes ist nun das Abstiegsendspiel zwischen dem VfL Wolfsburg, und dem HSV. Und ausgerechnet Labbadia kann am Sonnabend ab 15.30 Uhr in der Wolfsburger Volkswagen-Arena dazu beitragen, dass der Club, den er lange Jahre als „seinen Club“ bezeichnete, erstmals in der 55-jährigen Geschichte der Fußball-Bundesliga absteigen wird. „Ich verschwende daran keinen Gedanken“, versichert der Trainer wenige Tage vor dem brisanten Wiedersehen. Brisant, weil auch der VfL Wolfsburg noch tief im Abstiegskampf steckt. Und bei einer Niederlage gegen den HSV in ärgste Gefahr gerät.
Labbadia vermeidet Wörter "HSV" und Hamburg"
Labbadia lässt diese Schicksalsfügung emotional nicht an sich heran. „Man muss“, sagte er nach dem 0:3 seines VfL bei Borussia Mönchengladbach, „als Spieler und als Trainer lernen, so etwas abzuhaken. Ich brauche meine ganze Kraft für den VfL. Denn wenn ich etwas mache, dann mache ich es mit Herz und Verstand. Sonst brauche ich es gar nicht zu machen.“ Die Wörter „HSV“ oder „Hamburg“ kommen ihm in diesem Gespräch nicht über die Lippen.
Dreimal arbeitete Labbadia in seiner Fußballkarriere bereits im Volkspark. Zwischen 1987 und 1989 schoss der Stürmer Labbadia in 41 Spielen für den HSV elf Tore. 2009 wechselte der Trainer Labbadia von Leverkusen nach Hamburg, wurde aber schon nach neun Monaten freigestellt. Fünf Jahre später kehrte er dann abermals zurück und rettete „seinen Club“, wie er damals betonte, vor dem Abstieg.
Labbadia wohnt in Wolfsburg noch immer im Hotel
Seit dem 20. Februar dieses Jahres ist „sein Club“ nun der VfL Wolfsburg. Glaubhaft vermittelt Labbadia seit seinem Amtsantritt den Eindruck, sich mit allem, was er hat, auf seine schwierige Rettungsmission zu konzentrieren. Obwohl er mittlerweile schon zwei Monate in Wolfsburg arbeitet, lebt er noch immer im Hotel. „Zur Not“, betonte er mehrfach, „stelle ich mir einfach ein Feldbett in der Geschäftsstelle auf.“ Viel Schlaf benötigt der Frühaufsteher ohnehin nicht. Würden seine Wolfsburger Spieler diese Arbeitsauffassung teilen, es würde im Bundesligakeller sehr wahrscheinlich nicht erneut so kritisch stehen um den VfL.
Labbadia hat es dennoch nicht geschafft, eine Aufbruchstimmung entstehen zu lassen, anders als vor drei Jahren beim HSV. Sechs Punkte aus acht Spielen ergeben einen ganz schwachen Schnitt von 0,75 Zählern pro Spiel. Dazu hat der VfL unter seiner Führung nur vier Tore erzielt. Vier. Und das trotz wohlklingender Namen wie Daniel Didavi, Yunus Malli oder Divock Origi. Allerdings ist Labbadia nach Andries Jonker und Martin Schmidt schon der dritte Trainer in dieser Saison, der sich daran versucht, die kurios zusammengewürfelte Offensive ins Laufen zu kriegen. Stand jetzt ist er wie seine Vorgänger an dieser Aufgabe gescheitert.
Völlig andere Situation als beim HSV
Doch Labbadia ist keiner, der jammert. Es gebe zwar jede Woche einen neuen personellen „Nackenschlag“. Auffällig viele Spieler plagen sich in der Endphase der Saison mit muskulären Problemen herum. Der Trainer hätte allen Grund, sich über die medizinische Abteilung zu beklagen. Macht er aber nicht. „Wir haben es bisher immer hinbekommen“, sagt er. Irgendwie. Ist das noch echte Zuversicht oder schon Zweckoptimismus?
Die aktuelle Situation in Wolfsburg unterscheidet sich in jedem Fall gravierend von seiner Rettungsmission beim HSV, die Labbadia im April 2015 angetreten hatte. In Hamburg holte er sofort das Publikum hinter sich und die unlösbar scheinende Aufgabe, die vor allen Beteiligten lag. Mit diesem Schulterschluss erkämpfte sich der HSV durch zehn Punkte aus sechs Partien zwei Relegationsspiele gegen den Karlsruher SC, die der Club überstand – und erstklassig blieb.
Mit Ehefrau Sylvia in Hamburg eingerichtet
Rückblick: Es war der 2. Juni 2015 um 6 Uhr morgens, als im Hamburger Schanzenviertel ein legendäres Foto entstand. Nach einer langen Nacht sitzen Bruno Labbadia und Dietmar Beiersdorfer zusammen mit ihren Frauen in der Kultkneipe Erika’s Eck. Mit nassen und zerzausten Haaren feiern der Trainer und der Manager noch immer die Rettung des HSV in der dramatischen Relegation beim KSC am Abend zuvor. Es war der emotionale Höhepunkt einer denkwürdigen Zeit. Einige Monate später wurde Labbadia als „Hamburger des Jahres“ ausgezeichnet.
Es ist eine besondere Verbindung. Labbadia liebt Hamburg. Das hat er in jener Zeit oft genug betont. Und das hat sich auch nicht geändert, seit er sich mit Beiersdorfer im Sommer 2016 in der Kaderplanung überwarf und ihn der Manager nur 15 Monate nach der Rettung in unwürdiger Art beurlaubte. Hamburg ist noch immer Labbadias Lebensmittelpunkt. Hier hat er sich vor einigen Jahren im Stadtteil St. Georg mit seiner Frau Sylvia eine alte Werkstatt zu einer Loftwohnung umgebaut. In unmittelbarer Nähe zur Alster, dem Lieblingsort von Labbadia.
Wolfsburg-Fans verhöhnen Labbadia
Dass die zweite Entlassung bei „seinem HSV“ auch Wunden hinterlassen hat, lässt sich erahnen, wenn der Trainer nun über das direkte Duell spricht. „Alles, was ich an Zeit und Gedanken an den anderen Verein investieren müsste, würde mir fehlen“, sagt Labbadia. „Der andere Verein.“ Kein Wort von einem „besonderen Spiel“, wie es in vergleichbaren Konstellationen so häufig heißt.
So sehr sich der VfL-Coach aber auch mit „seiner Aufgabe“ in Wolfsburg identifiziert: Angekommen ist der gebürtige Darmstädter in der VW-Stadt noch nicht. Bereits bei seinem ersten Heimspiel schallten aus der Fankurve folgende Zeilen: „Wir steigen ab und kommen nie wieder. Wir haben Bruno Labbadia.“
Der Trainer war von diesem Fatalismus zwar überrascht, wischte aber auch das zur Seite und setzte den Tunnelblick auf. „Ich will mit Wolfsburg in der Liga bleiben“, sagt Labbadia. Mit „seinem“ Club.