Hamburg. 45 Minuten lang sah es nach neuem Aufbruch aus – doch dann ging nichts mehr. Von Heesen kritisiert die Profis. Fans greifen Polizei an.

Himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt: Nach einem Wechselbad der Gefühle und zwei völlig unterschiedlichen Halbzeiten hat Christian Titz sein Debüt als HSV-Trainer ohne Punkte abgeschlossen. Dabei hatte seine im Vergleich zur 0:6-Pleite bei den Bayern kräftig durchgewirbelte Elf beim 1:2 (1:0) gegen Hertha BSC zunächst durchaus Hoffnungen auf den ersten Sieg nach 14 Spielen gemacht.

Papadopoulos greift Titz scharf an

Mit Torhüter Julian Pollersbeck, den Mittelfeldspielern Matti Steinmann, Lewis Holtby und Tatsuya Ito sowie Stürmer Fiete Arp hatte Titz gleich fünf Neue und mit einem Durchschnittsalter von knapp unter 24 Jahren somit die jüngste Startelf seit 1974 auf den Rasen geschickt. Für Kyriakos Papadopoulos war im neuen 4-1-4-1-System kein Platz mehr.

Die Statistik

HSV

Pollersbeck – Douglas Santos, Jung, van Drongelen , G. Sakai – Steinmann – Hunt, Holtby (65. Wood) – Ito (71. Jatta), Kostic – Arp (78. Waldschmidt). Trainer: Titz

Hertha BSC

Jarstein – Mittelstädt (60. Kalou), Stark, Rekik, Plattenhardt – Maier (88. Skjelbred), Lustenberger – Weiser, Darida , Lazaro – Ibisevic (70. Selke). Trainer: Dardai

Schiedsrichter

Dr. Robert Kampka (Mainz)

Zuschauer

52.195

Tore

1:0 Douglas Santos (25.), 1:1 Lazaro (56.), 1:2 Kalou (63.)

Gelbe Karten

van Drongelen – Lazaro, Kraft (auf der Reservebank), Plattenhardt

1/6

Leise Reinhardt-Kritik an Hollerbach

Und die Maßnahmen des beförderten U-21-Trainers schienen zunächst zu fruchten. In den ersten 45 Minuten setzte die Mannschaft die offensive Marschroute konsequent um und kam so zu einigen guten Spielzügen. Der schönste mündete in der Führung durch Douglas Santos, der nach Vorarbeit von Aaron Hunt und Filip Kostic auf der linken Seite bedient wurde.

Die HSV-Profis in der Einzelkritik

Frei vor Rune Jarstein behielt der Brasilianer die Nerven und tunnelte Herthas Torhüter – der erste Bundesligatreffer des Olympiasiegers (25.). "Das spielen wir einfach gut heraus. Das war herrliches Direktspiel, genau rein in die Nahtstelle", freute sich Bastian Reinhardt, der in seiner Beurteilung des eiskalten Torschützen auch einen Seitenhieb auf Ex-Trainer Bernd Hollerbach durchklingen ließ: "Ich glaube, vor zwei Wochen wäre er noch gar nicht in die Situation gekommen."

Die Höhepunkte des Spiels

10. Minute

Santos gibt den ersten Torschuss ab, der allerdings klar links am Hertha-Kasten vorbeirauscht.

18. Minute

Pollersbeck hält die Null! Die neue Nummer eins lenkt einen Drehschuss von Darida mit den Fingerspitzen um den rechten Pfosten – stark gehalten.

23. Minute

Sakai wirft sich im Strafraum in einen Schuss von Ibisevic und verhindert dadurch eine Großchance.

25. Minute

TOOOOOOOOOR für den HSV – 1:0! Klasse Ballstafette über Hunt und Kostic, der Douglas Santos über links auf die Reise schickt. Alleine vor Jarstein bleibt der Brasilianer cool und tunnelt den Norweger. Erstes Bundesligator für Santos.

28. Minute

Holtby mit der nächsten Chance, doch der Ball rutscht dem Rückkehrer pber den Schlappen.

39. Minute

Erneut hält Pollersbeck den HSV im Spiel, indem er in höchster Not gegen Ibisevic rettet.

40. Minute

Im Gegenzug treibt Hunt den Ball nach vorne und nimmt auf links Kostic mit. Der Serbe zieht im Strafraum ab, doch der Schuss fliegt deutlich über das Tor.

55. Minute

Hunt passt mit Übersicht auf Holtby, der sofort den Abschluss sucht. Jarstein hält den Ball im Nachfassen.

56. Minute

Tor für Berlin – 1:1. Plattenhardt darf links völlig unbedrängt flanken. Im Strafraum springt erst van Drongelen unter dem Ball durch, dann kommt Douglas Santos einen Schritt zu spät, sodass Lazaro am chancenlosen Pollersbeck vorbei zum Ausgleich einschießen kann.

63. Minute

Tor für Berlin – 1:2. Bitter, wieder lässt die HSV-Defensive Berlin zu viele Freiheiten. Stark passt über rechts auf Maier, der sich im Strafraum gegen drei Hamburger durchsetzt und in die Mitte passt. Dort ist der kurz zuvor eingewechselte Kalou schneller als Sakai und wuchtet den Ball über Pollersbeck hinweg in die Maschen.

70. Minute

Pollersbeck entschärft die nächste Großchance, indem er Ibisevics Abschluss reaktionsschnell pariert.

1/11

Santos selbst bedankte sich mit einem Gruß an den Allmächtigen, und auch der Großteil der erstmals seit zwei Monaten wieder mehr als 50.000 Zuschauer im Volksparkstadion (genau: 52.195) erhielten ihren Glauben an ein Wunder zurück. Schon mit einem Spalier für den Mannschaftsbus hatten einige Hundert Fans den Profis und sich selbst Mut gemacht.

Pollersbeck rechtfertigt seine Rückkehr

Zur Zuversicht trugen auch die Paraden des Rückkehrers Pollersbeck bei, der den HSV in seinem erst dritten Bundesliga-Einsatz wiederholt im Spiel hielt. Vor allem in der ersten Hälfte zeigte der U-21-Europameister seine ganze Klasse, als er gegen Vladimir Darida (18. Minute/Reinhardt: "Er ist unheimlich schnell unten, den fischt er toll raus") und Vedad Ibisevic stark parierte (39.).

Im Gegenzug der zweiten dicken Hertha-Chance demonstrierte dann Hunt ungeahnte Sprint-Qualitäten, als er den Ball zu Kostic trieb, dessen Abschluss allerdings deutlich über den Berliner Kasten witschte. Dennoch hatte auch der Serbe zunächst wieder einen seiner besseren Tage – nicht nur wegen seiner starken Vorarbeit zur Führung.

Plötzlich zu viele Freiheiten

Dass am Ende doch das sechste sieglose Auftaktspiel eines neuen HSV-Trainers in Folge stand, lag an einem unerklärlichen Einbruch und zu sorglosen Defensivverhalten im zweiten Durchgang. Eine der Freiheiten nutzte Marvin Plattenhardt in der 56. Minute: Der aufgerückte Linksverteidiger durfte unbedrängt in den Strafraum flanken, wo zunächst Rick van Drongelen unter dem Ball durchsprang und anschließend Santos einen Schritt zu spät kam. Valentino Lazaro bedankte sich und schoss zum Ausgleich ein.

Sieben Minuten später kam es noch dicker für die Titz-Elf: Diesmal schließ die linke Abwehrseite, die Arne Maier im Strafraum in die Mitte passen ließ, wo der erst kurz zuvor eingewechselte Salomon Kalou schneller war als Kapitän Gotoku Sakai und das Spiel drehte (63.). Anschließend kam vom HSV nicht mehr viel, auch ein Offensiv-Ausflug Pollersbecks in der Schlussminute blieb wirkungslos.

Auseinandersetzungen im Fanblock

Nach Spielschluss musste die Polizei einschreiten
Nach Spielschluss musste die Polizei einschreiten © Reuters

So durfte sich die Hertha über den erst zweiten Sieg nach einem Halbzeitrückstand in den letzten 50 Bundesligaspielen freuen. Im Hamburger Publikum herrschte dagegen schon weit vor dem Schlusspfiff Grabesstille, am Ende waren neben weißen Taschentüchern nur noch vereinzelt Pfiffe zu vernehmen.

Rund um den Fanblock kam es derweil allerdings zu vereinzelten Scharmützeln. "Sky" zeigte Bilder von Auseinandersetzungen von HSV-Problemfans mit der Polizei, die Ordnungshüter mussten Schlagstöcke einsetzen. Die Polizei selbst berichte von vereinzelte Angriffe auf Beamte. Etwa 30 Fans wurden auch nach mehr als einer Stunde nach Abpfiff noch festgesetzt.

Titz und von Heesen rätseln

"Wir haben in der ersten Halbzeit versäumt, das 2:0 zu machen", resümierte Titz bei Sky". Entscheidend gewesen seien dann die ersten 20 Minuten nach dem Seitenwechsel. "Da waren wir nicht mehr eng am Mann, sind nicht mehr ins Pressing gekommen. Ich habe das Gefühl gehabt, dass uns der Mut verlassen hat, so weiterzuspielen wie in der ersten Halbzeit", urteilte Titz: "Fußball besteht aus zwei Halbzeiten, nicht nur aus einer."

Titz' Gegenüber Pal Dardai hatte derweil bereits während der Pause Lunte gerochen. "In der Halbzeit haben wir gesagt, dass der Gegner jetzt Angst haben wird, die Führung zu verlieren", sagte Herthas Trainer.

Von Heesen kritisiert Profis

Auch für Thomas von Heesen warfen die Nachlässigkeiten viele Fragen auf. "Die erste Halbzeit war ordentlich, in der zweiten standen wir viel zu tief und sind nicht in die Zweikämpfe gekommen. Es ist letztlich eine Frage der Überzeugung und der Qualität", monierte der neue Trainer-Berater bei "Sky": "Zwei, drei Spieler müssen dann auch mal etwas ansagen."