HSV-Grieche kritisiert Transferpolitik. Auch Schipplock klagt über die Einstellung seiner Mitspieler. Was wird jetzt aus Hollerbach?

München. Frisch geduscht und mit einem Rollkoffer in der Hand marschierte der früh ausgewechselte Dennis Diekmeier als erster HSV-Profi durch den Kabinentrakt in Richtung Mannschaftsbus. "Was soll ich dazu sagen", sagte der Rechtsverteidiger höflich mit einem gequälten Lächeln über das erneute Debakel beim FC Bayern. Seine Mitspieler, die folgten, schüttelten nur den Kopf und wollten sich lieber nicht äußern. Der Erste, der bei den wartenden Journalisten anhielt, war Kyriakos Papadopoulos. Und der Grieche redete gleich mal Klartext.

"In den zurückliegenden beiden Transferperioden sind einige Fehler gemacht worden", sagte der Abwehrkoloss zu Beginn seiner Abrechnung, die vor allem an die für den Kader verantwortlichen und unter der Woche entlassenen Clubboss Heribert Bruchhagen und Sportchef Jens Todt gerichtet war. "Die Mannschaft hat keine Hilfe bekommen. Im Winter hat sich die Konkurrenz mit Spielern verstärkt, die inzwischen viele Tore geschossen haben – siehe Köln mit Terodde und Stuttgart mit Gomez. Nur wir haben keine Spieler bekommen, obwohl wir Schwierigkeiten haben."

Papadopoulos wehrte sich erst nach dem Spiel – und zwar gegen die inzwischen entlassene Clubführung
Papadopoulos wehrte sich erst nach dem Spiel – und zwar gegen die inzwischen entlassene Clubführung © REUTERS | MICHAELA REHLE

Um in München nicht als Verlierer vom Platz zu gehen, hätte der HSV schon fast so viele Tore gebraucht, wie Terodde (5) und Gomez (4) in der laufenden Rückrunde zusammen erzielt haben. Mit einem blutleeren Auftritt ließen die Hanseaten sämtliche Attribute, auf die es im Abstiegskampf ankommt, vermissen. Unbeeindruckt von der schwersten sportlichen Krise der Hamburger Vereinsgeschichte, zeigten die Münchner kein Erbarmen und siegten ebenso mühelos wie gnadenlos mit 6:0 nach Toren von Franck Ribéry (8./81.), einem Dreierpack von Robert Lewandowski (12./19./90.) und Arjen Robben (55.).

Schipplock kritisiert Einstellung seiner Mitspieler

Immerhin: Auf seiner nun mehr nur noch acht Spiele andauernden Bundesliga-Abschiedstour hat der HSV die wohl härteste Prüfung hinter sich gebracht. „Wir wollten eigentlich eine andere Leistung zeigen“, sagte Kapitän Gotoku Sakai. Deutlicher wurde Stürmer Sven Schipplock im NDR: „Viel schlimmer als gegnerische Fan-Gesänge ist die Einstellung bei einigen von uns. Keine Ahnung, wie so etwas möglich ist. Die sollte man mal fragen!“

Trainer Bernd Hollerbach bemängelte ebenfalls die Auflösungserscheinungen seiner Mannschaft. "Man kann verlieren, aber man muss ordentlich dagegenhalten. Wir waren heute nicht griffig genug", sagte er.

Dabei liebäugelte der Franke im Vorfeld noch mit einem Wunder und setzte wie erwartet auf eine defensive Grundformation. Im Vergleich zum 0:0 gegen Mainz rückte der defensiv stärkere Diekmeier für Bakery Jatta in die Mannschaft und bildete den rechten Part einer Fünferkette. Sturmjuwel Fiete Arp reiste gar nicht erst nach München. „Die anderen haben die Nase vorn. Ich habe vorne viele Spieler, die sich aufgedrängt haben“, erklärte Hollerbach, der im Angriff erneut dem harmlosen Schipplock das Vertrauen schenkte.

Bayern überrollt den HSV

Dennoch war schon nach acht Minuten das letzte Hamburger Fünkchen Hoffnung erloschen. Der seit Wochen seiner Form hinterherlaufende Sakai grätschte ein Lewandowski-Zuspiel unglücklich in den Lauf von Ribéry, der an Torhüter Christian Mathenia vorbeijoggte und zur Führung des übermächtigen Gastgebers einschob.

Mathenia versuchte vergeblich, seine Vorderleute wachzurütteln
Mathenia versuchte vergeblich, seine Vorderleute wachzurütteln © dpa | Tobias Hase

Fortan ergab sich der HSV seinem Schicksal und gab dabei Anschauungsunterricht, wie man in München nicht auftreten sollte. Das Problem der Hamburger: Die Bayern hatten trotz des komfortablen Punktepolsters von 20 Zählern auf die zweitplatzierten Schalker und des anstehenden Champions-League-Rückspiels bei Besiktas Istanbul Lust auf dieses Spiel.

Einzelkritik: Slalomstange Santos, grausamer Kostic

Nur vier Minuten nach dem Münchner Führungstreffer musste Mathenia erneut hinter sich greifen, weil Douglas Santos in der Teambesprechung wohl nicht hinhörte, als es darum ging, Joshua Kimmich unter keinen Umständen flanken zu lassen. Doch damit nicht genug: Im Zentrum verloren vier offiziell als Abwehrspieler ausgebildete Hamburger die Orientierung, ließen Sakai ins ungleiche Kopfballduell gegen Lewandowski und guckten zu, wie der Pole seine Führung in der Torjägerliste ausbaute.

Kurz zuvor hatte Bayerns Schlussmann Sven Ulreich unter höhnischem Applaus der eigenen Fans sogar einen Einwurf ausgeführt. Sein Gehäuse hätte er allerdings beruhigt auch über die kompletten 90 Minuten unbewacht lassen können. "Zweite Liga – Hamburg ist dabei", skandierten die Bayern-Fans folgerichtig bereits nach 14 Minuten.

Hollerbach erlöst Diekmeier nach 24 Minuten

HSV-Coach Hollerbach war sichtlich bedient und wechselte Abwehrmann Diekmeier nach nur 24 Minuten für Mittelfeldspieler Vasilije Janjicic aus, um von einer Fünfer- auf eine Viererkette umzustellen. Die Höchststrafe hätte der wütende Franke aber auch an die übrigen neun Feldspieler aussprechen können.

Der Glaube an ein Wunder in München war ohnehin nicht groß, ein bisschen Gegenwehr hatten sich die rund 5000 mitgereisten Hamburger Fans aber dennoch erhofft. Doch auch bei Lewandowskis zweitem Streich standen die HSV-Profis nur wie Fahnenstangen Spalier. Als der 29 Jahre alte Top-Torjäger nach einer geschmeidigen Ballstafette über die Stationen Jérôme Boateng und David Alaba zum Jubeln abdrehte, liefen die Gäste-Verteidiger um Abwehrchef Kyriakos Papadopoulos noch immer hinterher.

Zu schnell war das Spiel der Bayern für den desolaten HSV. Die Hamburger kamen immer einen Schritt zu spät, offenbarten ein peinliches Defensivverhalten, grätschten miserabel ins Leere und waren offensiv nicht existent. Kurzum: Der HSV wurde vorgeführt und lieferte einen weiteren Beweis, in dieser Spielzeit nicht bundesligatauglich zu sein. "Wir haben uns so dumm bei den Gegentoren angestellt. Gefühlt wurde aus jedem langen Ball des Gegners eine hundertprozentige Torchance", klagte Spielmacher Aaron Hunt. "Wir haben sogar noch davon profitiert, dass Bayern zwei Gänge zurückgeschaltet hat."

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Lewandowski verschießt Elfmeter

Die Hamburger können sich bei Torhüter Mathenia und den im Abschluss phasenweise unkonzentrierten Münchnern bedanken, dass die Niederlage nicht noch höher ausfiel. Bestes Beispiel: der verschossene Elfmeter des sonst so sicheren Schützen Lewandowski (86.). Zuvor hatte er 17 Strafstöße in Folge getroffen. Vier Minuten nach seinem Fehlschuss durfte der Pole aber erneut vom Punkt antreten – und verwandelte diesmal sicher. Damit stockte Lewandowski sein Torkonto auf 23 Treffer auf – fünf Tore mehr als der gesamte HSV.

Durch zwei Einzelaktionen der beiden Oldies im Team, Robben und Ribéry – unter gütiger Mithilfe der Hamburger Defensive –, geriet der HSV am Ende wie so häufig in München böse unter die Räder. In den vergangenen acht Duellen beim Rekordmeister kassierten die Hamburger 50 Gegentore, bei mageren drei eigenen Treffern – eine erschütternde Bilanz. "Es kann nicht sein, dass wir hier immer eine Klatsche kassieren", kritisierte Trainer Hollerbach.

HSV-Trainer Hollerbach vor dem Aus?

Die Stimmen, dass der erst Ende Januar verpflichtete Franke nach sieben sieglosen Spielen schon wieder ausgetauscht werden könnte, werden spätestens nach der deftigen Pleite bei den Bayern lauter. Dass er intern zunehmend kritischer gesehen wird, ist auch dem früheren Linksverteidiger nicht entgangen. Nach dem Spiel forderte er öffentlich ein Gespräch mit Interims-Vorstandschef Frank Wettstein, indem sich Hollerbach Klarheit über seine Zukunft erhofft. "Ich denke schon, dass sie irgendwann mit mir reden werden", sagte der Coach.

Nach Abendblatt-Informationen wird sich die momentan nur noch aus Wettstein bestehende Clubführung zeitnah mit Hollerbach zusammensetzen. Der Ausgang des Gesprächs, ob Hollerbach vorerst Trainer beim HSV bleibt, ist dabei völlig offen. Klar ist lediglich, dass für den glücklosen Fußballlehrer trotz eines Vertrags bis 2019, der für die Erste und Zweite Liga gilt, spätestens im Sommer Schluss sein wird.

"Diese Unruhe hilft uns nicht. Wir wissen auch nicht, wie es weitergeht", monierte Papadopoulos die fast schon zur Routine gewordenen Personalwechsel in Hamburg. Bezeichnend sagte auch Hunt: "Das ist nichts Neues für uns, es darf aber auch nicht als Alibi gelten."

Vagnoman schreibt bei Debüt Geschichte

Bereits unter der Woche wurden Bruchhagen und Todt auf Initiative des neuen Aufsichtsratschefs Bernd Hoffmann beurlaubt, der zugleich den Neustart ausrief – voraussichtlich für die Zweite Liga.

Dann könnten auch Youngster wie Josha Vagnoman eine tragende Rolle einnehmen. Der Teenager feierte mit seiner Einwechslung in der 70. Minute sein Bundesliga-Debüt und ist mit 17 Jahren, zwei Monaten und 27 Tagen der jüngste Spieler, der für den HSV im Fußball-Oberhaus zum Einsatz kam.

Eine weitere mit Abstrichen positive Nachricht an diesem ansonsten erschütternden Sonnabendnachmittag aus Hamburger Sicht: Nächste Saison wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Klatsche in München geben.

Die Statistik

Bayern: Ulreich - Kimmich, Jerome Boateng, Hummels, Alaba - Martinez, Vidal (46. Tolisso, 65. Rudy) - Robben (62. Thiago), Thomas Müller, Ribery - Lewandowski. - Trainer: Heynckes

HSV: Mathenia - Sakai, Papadopoulos, van Drongelen, Santos - Gideon Jung, Walace (70. Vagnoman), - Diekmeier (24. Janjicic), Hunt (87. Jatta), Kostic - Schipplock. - Trainer: Hollerbach

Schiedsrichter: Christian Dingert (Lebecksmühle)

Tore: 1:0 Ribery (8.), 2:0 Lewandowski (12.), 3:0 Lewandowski (19.), 4:0 Robben (55.), 5:0 Ribery (81.), 6:0 Lewandowski (90., Foulelfmeter)

Zuschauer: 75.000 (ausverkauft)

Gelbe Karten: Vidal (6) - van Drongelen (3), Santos (4)

Torschüsse: 21:1

Ecken: 11:1

Ballbesitz: 70:30 %

Zweikämpfe: 83:65