Hamburg. Selten hat eine HSV-Elf nach einer Niederlage so viel Lob erhalten. Aber darf eine Pleite ein Mutmacher sein?

Nach einer kurzen Nacht des Drüberschlafens war Markus Gisdol am Sonntag auch nicht schlauer. Inwiefern es ihn störe, wurde der HSV-Trainer am Morgen nach der bitteren 0:1-Niederlage gegen Bayern München gefragt, dass er und seine Mannschaft landauf, landab gelobt und beglückwünscht würden, aber keine Punkte geholt hätten. „Das ist eine schwere Frage“, sagte Gisdol, versuchte sich dann aber doch mit einer Antwort. „Als Trainer ist man da hin- und hergerissen“, sagte der Coach.

„Ich soll die Leistung meiner Mannschaft bewerten, muss mich aber natürlich an den Punkten messen lassen.“ Kurze Pause. „Grundsätzlich hätte ich natürlich lieber weniger Lob erhalten, dafür aber einen oder drei Punkte mitgenommen.“

In der ersten Halbzeit war der HSV das bessere Team

Hätte, hätte, Fahrradkette. Doch Fußball wird nun mal nicht im Konjunktiv gespielt. Auch deshalb waren sämtliche Nachfragen, was denn möglicherweise, vielleicht, eventuell passiert wäre, wenn es nicht diese verhängnisvolle 39. Minute gegeben hätte, wenn Gideon Jung nicht dem bajuwarischen Raketenmenschen Kingsley Coman die Flügel gestutzt hätte, wenig zielführend.

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„Das ist hypothetisch“, sagte Gisdol, als er erneut auf die Szene, die „Spiegel Online“ neudeutsch einen „Game-Changer“ nannte, angesprochen wurde. „Natürlich war die Rote Karte entscheidend“, sagte Gisdol.

HSV-Einzelkritik: Tragische Figur Jung

Die Nachfragen Nummer 147 und 148 zur Schlüsselszene des unerwartet ausgeglichenen Nord-Süd-Schlagers dürften auch am Tag danach noch wehgetan haben, weil dem kriselnden HSV ausgerechnet gegen den Ligaprimus seine bislang beste taktische Leistung dieser Saison gelang. „Wir wollen die Niederlage nicht schönreden, aber wir nehmen viel Positives mit“, sagte Kapitän Gotoku Sakai und erklärte: „Unsere neue Taktik hat richtig gut funktioniert. So hatten wir auch gegen die Bayern vorne sehr viele Ballgewinne.“

HSV schottet sich ab wie Nordkorea

Diese neue HSV-Taktik, die mit Fünferkette und zwei Abräumern davor theoretisch wie ein Nordkorea-Abschottungssystem daherkam, bereitete am Sonnabend den Münchnern ganz praktisch viel mehr Probleme, als ihnen das trotz Tolissos Tor des Tages (52.) lieb war. „Ich muss dem HSV ein großes Kompliment machen“, räumte auch Überflieger-Trainer-Comebacker Jupp Heynckes ein, der zwölf Tage nach seiner Rückkehr wie ein Carlo Ancelotti mit roter Jupp-Maske wirkte.

Sein Hamburger Pendant, nach 93 nervenaufreibenden Minuten nicht weniger rot im Gesicht, bemühte sich derweil, das zuvor Geschehene in zwei Abschnitte einzuteilen: „Der Abschnitt elf gegen elf und der Abschnitt elf gegen zehn.“ Für Abschnitt Nummer eins hätte sich Gisdol und sein HSV vorgenommen, „es ein wenig anders auszuprobieren, als es die letzten Bayern-Gegner gemacht haben“. Gisdol sprach von „mehr Druck auf die Innenverteidiger“, „frühem Attackieren“ und „energischem Gegenpressing“. Das alles sei seiner Mannschaft ganz vorzüglich gelungen, ehe nach 39 Minuten unfreiwillig „der Abschnitt elf gegen zehn“ begann. „Ab da war es nur noch pure Leidenschaft“, sagte Gisdol. „Eine Willensleistung.“

Doch für Leidenschaft erhält man dummerweise auch in der 55. Bundes­ligasaison keine Punkte, nicht mal für eine „überragend kämpferische Leistung“ (Heynckes). „Verloren ist verloren“, philosophierte Aaron Hunt und brachte das Dilemma mit nur einer Binsenweisheit auf den Punkt: „Wir können uns jetzt auch nichts dafür kaufen, dass wir gut gespielt haben.“ André Hahn, der kurz nach Tolissos Tor den Ausgleich auf dem Fuß hatte, pflichtete bei. „Es ist bitter, wenn wir immer mit leeren Händen dastehen und man zu hören bekommt: Ihr habt aber gut gespielt.“

Schönreden bringt keine Punkte

Die hartnäckige Verweigerung der Hamburger, all diese Lobhudeleien sich zu eigen zu machen, könnte im schlimmsten Fall direkt zum nächsten fetten Lob führen: Denn offenbar hat der HSV verstanden, dass auch das Schönreden von Niederlagen keine Punkte bringt. Dieser Verdacht kam nach dem wenig überzeugenden Auftritt in Mainz (2:3) auf. Sportchef Jens Todt sah sich in dieser Woche sogar zu einer Richtigstellung gezwungen: „Wir wollen gar nicht erst anfangen, uns über knappe Niederlagen zu freuen.“ Der Manager räumte zwar ein, dass der Auftritt gegen Bayern gut gewesen sei, „sogar richtig gut“. Aber: „Auch dafür gibt es nun mal keine Punkte.“

Diese sollen nun schleunigst in den kommenden beiden Partien folgen. Gegen die ebenfalls kriselnde Hertha in Berlin. Und gegen Aufsteiger Stuttgart. „Es wäre schon sehr hilfreich, wenn wir jetzt mal langsam anfangen zu punkten“, forderte Sportchef Todt nach dem siebten sieglosen Spiel in Folge.

Ganz am Ende dieses ereignisreichen Wochenendes fand sich doch noch ein Hamburger, für den das Glas nach dem 0:1 halb voll und nicht halb leer war. „Man kann auch Gutes aus diesem Spiel mitnehmen“, mahnte das gerade einmal 18 Jahre alte Abwehrtalent Rick van Drongelen. Und die Punkte nehme man auch bald wieder mit. Vielleicht schon nächste Woche. Aus Berlin. Und vor allem: nicht mehr gegen die Bayern.