Hamburg. Tatsuya Ito begeisterte trotz des 0:0 die HSV-Fans. Gisdol: „Ein Weg, der uns gut zu Gesicht steht.“ Eine kuriose Frage blieb.
Beim Ausradeln durch den sonnigen Volkspark am Tag nach seinem großen Spiel war Tatsuya Ito wieder mitten dabei. Keine Spur mehr von den Krämpfen, die am Sonnabend seinen starken Auftritt beim 0:0 gegen Werder Bremen in der 53. Minute so jäh beendet hatten. „Er hat sich bei der Auswechslung noch bei mir entschuldigt, weil er nicht weiterspielen konnte“, erzählte Trainer Markus Gisdol, „das zeigt seine Einstellung.“
Aufgestanden waren viele Besucher, als der 20 Jahre junge Japaner das Feld verließ, herzlicher, lauter Applaus prasselte von den Rängen, selbst Abwehrchef Kyriakos Papadopoulos klatschte für den jungen Mann demonstrativ in die Hände. Nur Sprechchöre gab es nicht, seinen Namen müssen die Fans erst noch lernen. Aber wenn der kleine Außenstürmer hält, was er an diesem Abend versprach, dann wird auch das ganz schnell gehen. „Ja“, bestätigte Ito nach seinem tollen Heimdebüt und dem zweiten Bundesligaspiel überhaupt, „das war mein größter Tag bisher als Spieler.“
HSV gegen Werder – das Nordderby in Bildern
Neben Ito stand auch der erst 18 Jahre alte Vasilije Janjicic im defensiven Mittelfeld überraschend in der Startformation und machte seinen Job sehr gut. Und in der 87. Minute kam dann der Moment, auf den viele HSV-Fans schon lange gewartet haben: Sturmtalent Jann-Fiete Arp gab sein Bundesligadebüt, als erster Spieler mit dem Geburtsjahr 2000 überhaupt in der Liga. „Ich mache es gerne, dass ich junge Spieler bringe, wenn ich Sachen im Training sehe, die mir gefallen“, sagte Gisdol.
Twitter-Häme gegen den HSV
Fiete Arp schreibt Bundesliga-Geschichte
Schon als Trainer in Hoffenheim hatte er das praktiziert. Er ermöglichte Topleuten wie Nikolas Süle, Jeremy Toljan oder Mark Uth ihr Bundesligadebüt. „Spieler wie Ito, Janjicic oder Arp können die Zukunft unseres Vereins sein. Wenn man nicht so viel Geld hat, muss man das machen. Wir haben doch alle gesehen, wie verrückt der Transfermarkt inzwischen ist. Das ist auch ein Weg, der uns gut zu Gesicht steht“, glaubt Gisdol.
Schon am vergangenen Sonntag in Leverkusen durfte Ito für acht Minuten Bundesligaluft schnuppern, nach einer weiteren guten Trainingswoche entschied Gisdol nun, es mit dem kleinen Japaner schon in der Startelf zu versuchen. Gezockt und gewonnen. „Nach dem Ausfall von Filip Kostic war klar, dass wir links Tempo brauchen“, erklärte der Trainer, „deshalb habe ich ihn von der Regionalligamannschaft hochgeholt. Er hat sehr gut trainiert. Aber die Wahrheit ist auf dem Platz und da hat er die richtige Antwort gegeben.“
Ito suchte immer wieder Eins-zu-eins-Situationen
Immer wieder suchte Hamburgs Nummer 43 Eins-zu-eins-Situationen und dribbelte sich mit diesen mutigen Attacken in die Herzen der Fans. „Das sollte ich machen, hat der Trainer gesagt, und Papadopoulos hat gemeint, ich kann es auch hundertmal versuchen“, erzählte Ito, „aber ich kann es noch besser machen und muss noch torgefährlicher werden.“
Itos Auftritt war der hellste von einigen Lichtblicken beim HSV in diesem 107. Nordderby, dessen Ergebnis ja eigentlich einen schlimmen Krisenkick vermuten lässt. „Ich bin zwiegespalten, es war über weite Strecken ein gutes Spiel von uns. Die Leistung war positiv“, urteilte Gisdol am Morgen danach, „wir spielen uns Chancen heraus, das ist gut. Der Wermutstropfen ist, dass wir halt wieder kein Tor erzielt haben.“ Papadopoulos (16.), Gotoku Sakai (28.), Aaron Hunt (30.), André Hahn (56.) und Bobby Wood (60.) hatten Großchancen, doch Pech, Unvermögen oder Werders starker Torwart Jiri Pavlenka verhinderten einen Erfolg. „Wenn wir die Tore machen, dann wäre es ein perfektes Spiel gewesen“, meinte Trainer Gisdol.
"Zu viel Aufwand, zu wenig Ertrag"
Entscheidend für die Steigerung – bei allerdings immer noch eklatanten spielerischen Defiziten, die die Betrachter folterten – waren neben den Youngstern aber auch die Oldies Aaron Hunt und Albin Ekdal, die nach ihren Verletzungspausen zurückgekehrt sind. Ekdal sorgte für Ruhe und Stabilität im Mittelfeld, Hunt für gute Standards und kreative Ideen. „Das war ein Schritt in die richtige Richtung“, meinte Hunt, „aber mit dem Ergebnis können wir nicht zufrieden sein.“ Auch Vorstandschef Heribert Bruchhagen war nicht vollständig einverstanden mit dem Auftritt. „Wir müssen zu viel Aufwand treiben für zu wenig Ertrag“, sagte er, „unser Spiel ist zu kraftaufwendig.“
In den zwei Wochen Länderspielpause trainieren die Hamburger natürlich voll durch, auch wenn wieder zehn Profis unterwegs sind. Ito allerdings hat seinen Platz im Kader unabhängig davon nun sicher. Im Juli 2015 wagte er als 18-Jähriger vom Verein Kashiwa Reysol aus einem Vorort von Tokio den Sprung nach Europa in die U19 des HSV. Nach sechs Einsätzen in der A-Jugend war er in der letzten Saison in der Regionalliga aktiv und spielte sich dabei in den Fokus. Im Sommer 2018 endet sein Vertrag, da gibt es jetzt schnellen Handlungsbedarf für Sportchef Jens Todt.
Ito spricht gutes Deutsch und ist seine große Bewährungsprobe ohne sichtbare Nervosität angegangen. „Aber natürlich war ich etwas aufgeregt“, erzählte er und wunderte sich: „Im Fußball geht alles sehr schnell. Vor zwei Wochen habe ich noch vor 200 Zuschauern in der Regionalliga gespielt und jetzt vor 55.000. Das ist schon etwas überraschend.“ Bleibt eigentlich nur noch eine Frage: Wie groß ist er denn jetzt? Zwischen 1,63 und 1,66 Metern schwanken die Angaben. „Ich bin 1,68 Meter“, sagt Ito, „mit Schuhen.“