Hamburg. Alexander Nouri hat vor dem Nordderby an diesem Sonnabend beim HSV seine Heimat Buxtehude besucht, wo seine Fußballkarriere begann.
Da, tatsächlich! Das Tor ist noch zu sehen. Aufgemalt auf eine Backsteinwand am Schulhof. Verblassendes Gelb, Kritzeleien darin, unleserlich. Aber eindeutig ein Tor, das Ziel für diverse Fußballmatches der Jungs – vielleicht auch Mädchen – an der Grundschule Altkloster hier in Buxtehude. „Da, da müssen wir noch ein Foto machen“, sagt also Alexander Nouri, „wenn ich das angedeutete Tor an der Wand da sehe, kommen natürlich viele Erinnerungen hoch. Immer haben wir hier gekickt.“
Heimatbesuch. Der Trainer von Werder Bremen ist mal wieder in seiner Geburtsstadt und trifft sich mit dem Abendblatt, um über seine Zeit als Jugendfußballer zu sprechen. Die Verbindung in die Heimat ist noch da, schon wegen seiner Eltern, die immer noch in Buxtehude wohnen. „Wenn es möglich ist, komme ich gerne mit der Familie vorbei. Dann haben die Kinder Gelegenheit, Zeit mit ihren Großeltern zu verbringen.“
Buxtehude – so heißt doch kein Ort
Ansonsten sind da nicht mehr so viele Kontakte, der Freundeskreis ändert sich im Teenie-Alter, und seit der B-Jugend war der talentierte Kicker für Werder Bremen aktiv. „Hier in Buxtehude habe ich dann wenig Zeit verbracht, zwischen Fußball und Schule war selten Raum für Freundschaften.“ Mit einem Kumpel aus der Schule allerdings ist Nouri noch befreundet, der wohnt allerdings auch nicht mehr in der Stadt, sondern arbeitet im Hotelgewerbe, „er ist auch in die weite Welt hinausgezogen.“
So ist es wohl oft. Für manche werden manche Städte irgendwann einfach zu klein, die Möglichkeiten sind begrenzt. „Früher wurde man ja wirklich belächelt, wenn man sagt, man kommt aus Buxtehude“, erzählt der 38-Jährige. Hase und Igel, Schwänze, die mit dem Hund wedeln und dieser ganze Märchenkram. Manche Menschen im Land glauben, dass es dieses Buxtehude gar nicht gibt – so heißt doch kein Ort. Nouri kennt diese Geschichten natürlich. Doch die hübsche, 40.000 Einwohner große (kleine?) Hansestadt 50 Autominuten vom Hamburger Rathaus entfernt, ist höchst vital und echt. Der Marschtorzwinger, St. Petri-Kirche, das Brauhaus, die Bundesliga-Handballfrauen des Buxtehuder SV – und in der Liste der „Söhne und Töchter der Stadt“: Alexander Nouri. „Für mich ist das wirklich etwas Besonderes, ich hatte eine schöne Kindheit hier.“
Vater hat ihn beeinflusst
Und während er noch darüber nachdenkt, wie viele Hosen bei den Bolzereien auf dem Pflasterboden vor dem Wandtor zerrissen sind („einige“), fragt ein junger Mann nach einem Selfie. Foto, klar, wird gemacht. „Das gehört zu meinem Beruf“, sagt er, „und ich weiß auch, dass das Interesse an mir vorbei ist, wenn ich irgendwann einmal nicht mehr Trainer bin.“ Das aber ist wirklich nur eine theoretische Sicht auf die Dinge im Moment. Er ist ja schließlich erst vor ziemlich genau einem Jahr Bundesligatrainer geworden. „Als die Anfrage kam, musste ich nicht lange überlegen. Das ist für mich immer ein Traum gewesen. Man lernt tagtäglich bei der Arbeit mit den Spielern. Das ist ein Beruf, der mich erfüllt.“
Irgendwie war der ihm wohl in die Wiege gelegt. „Ich wollte schon als Spieler immer wissen, warum welche Zusammenhänge wie funktionieren, warum wir gewonnen oder verloren haben.“ Und sicherlich hat ihn dabei auch sein Vater beeinflusst. Alexander Nouri senior hat seinen Sohn von Kindheit an trainiert, zunächst beim TSV Altkloster und dem Buxtehuder SV. Dann ab 1994 bei Vorwärts-Wacker Billstedt in Hamburg. Eine besonders prägende Zeit.
„Es waren Jungs aus ganz unterschiedlichen Nationen da, das hat damals aber nie irgendeine Rolle gespielt“, erinnert sich Nouri, der durch seinen Vater auch einen iranischen Pass hat. Sogar Hamburger C-Jugend-Meister sind sie damals geworden. „Der Zusammenhalt war einfach großartig. Wir waren da ein ganz bunter Haufen, eine unheimlich vielfältige Truppe. Aus dieser Zeit habe ich sogar noch viele Kontakte“, sagt er.
Nouri wird nachdenklich. Er hat ja selbst einen „Migrationshintergrund“. „Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie uns offen und tolerant erzogen und nicht in irgendwelche Dogmen gepresst haben“, erzählt Alexander Nouri. Der Sport spielte dabei immer eine wichtige Rolle – und tut es noch: „Fußball verbindet, es gibt Toleranz und Solidarität. Auch Fairness und Respekt voreinander. All diese Werte, die für die Gesellschaft wichtig sind, werden da wie selbstverständlich und natürlich gelebt“, sagt er.
USA interessieren ihn
So funktioniert es auch in der Kabine einer Profimannschaft. Spieler aus aller Herren Länder, unterschiedliche Erfahrungen und soziale Herkunft, die alle zusammenzubringen und zu einer verschworenen Gemeinschaft zu entwickeln ist die Aufgabe: „Die interkulturelle Kompetenz, wie man das jetzt nennt, ist dort ein riesengroßer Faktor.“
Und so ist es ihm auch wichtig, den Konflikt in den USA zwischen Präsident Donald Trump und diversen Spitzensportlern anzusprechen. Das Thema brennt dem Werder-Trainer auf der Seele, ganz klar. Die fröhliche Lockerheit bei diesem Ausflug in seine Vergangenheit weicht dem ernsten Thema. Sehr genau schaut Nouri hin, was da gerade in den USA passiert. So hat unter anderem Basketballstar LeBron James Präsident Trump vorgeworfen, den Sport zu benutzen, um die Gesellschaft zu spalten. „Aber hey, Sport ist genau das Gegenteil. Das ist eine Kraft, die uns alle vereint“, erklärt Nouri. „Ich fand die Reaktion von LeBron James deshalb richtig gut.“
Freizeit verbringt er gerne mit der Familie
In Weyhe südlich von Bremen hat er mit seiner Frau, der achtjährigen Tochter und dem zehnjährigen Sohn sein Zuhause gefunden, die Schwiegereltern wohnen in der Nähe, der Alltagsstress kann dort abfallen. „Es ist noch etwas behüteter und ländlicher als Buxtehude.“ Er selbst spielte als Kind in der Hamburger Auswahl, wurde fußballerisch in Hamburg groß. Buxtehude ist Hamburger Umland. Aber in Bremen, da waren sie damals, so vor 25 Jahren, schon viel cleverer als in der größeren Hansestadt, wenn es darum ging, Talente zu finden und zu binden. „Mit zehn, elf habe ich an den Talenttagen von Werder teilgenommen, das hat mir gut gefallen, und ich habe dann auch Karten für Spiele im Weserstadion gewonnen“, erzählt er, „so kam da schon Sympathie für Werder Bremen.“
Die Identifikation ist geblieben, Nouri ist Teil der Werder-Familie, etwas, das sie an der Weser pflegen, auch wenn die Hektik des Bundesligageschäfts nicht mehr am Osterdeich Halt macht. „Ich weiß auch, wie die Mechanismen dieses Geschäfts sind. Am Ende zählen die Ergebnisse“, sagt er, „Aber ich fühle mich bei Werder wirklich gut aufgehoben, spüre großes Vertrauen und bin dafür sehr dankbar.“
Nur der HSV!
Zeit dazu, selbst Amateurspiele zu schauen, hat er nicht mehr. „Ich versuche in meiner wenigen Freizeit, meiner Rolle als Familienvater und Ehemann gerecht zu werden.“ Da begleitet er dann eher die achtjährige Tochter zum Turnen oder den zehnjährigen Sohn zum Fußballturnier. Natürlich ohne sich einzumischen und Trainertipps zu geben. Und trotzdem: Irgendwie schließt sich da auch ein Kreis in der Familie Nouri. „Mein Sohn spielt bei uns im Dorf mit seinen Kumpels und erlebt genau das, was ich in dem Alter erleben durfte. Das ist einfach cool.“
Aber jetzt möchte uns der Werder-Coach noch kurz das Jahnstadion zeigen. Nur wenige Fußminuten von der Altkloster-Schule entfernt hat er hier nachmittags immer mit seinen Kumpels gekickt. Entweder frei, wild, straßenfußballartig oder im Vereinstraining. Die staubigen Grandplätze sind mittlerweile durch Kunstrasen ersetzt. Gut so. Auf dem Rasenplatz mit der Laufbahn bestreitet der Buxtehuder SV seine Spiele in der Hamburger Landesliga. Und tatsächlich trifft Nouri dort auf den Traversen beim Bier ein paar Jungs, mit denen er als Kind noch zusammengespielt hat. Ein großes Hallo, man kennt sich eben doch noch. „Hey“, sagt einer, „was willst du denn hier? Sonnabend zeigen wir es euch. Nur der HSV!“ Und Nouri lacht.