Nationalelf-Chaos bei Demirbay. Müller, Lasogga und Ekdal drohen auszufallen. Bruchhagen lässt das nicht als Ausrede gelten.
Gräfe pfeift HSV vs. Wolfsburg
Diese Schiedsrichter-Ansetzung der DFL sorgt schon wenige Minuten nach der Bekanntgabe für Diskussionsstoff unter den Fans. Wie die "Bild" berichtet, soll Manuel Gräfe den Showdown um den Klassenerhalt, HSV gegen Wolfsburg, leiten. Gräfe? Richtig, da war doch was.
Der Unparteiische hatte schon in der Relegation vor zwei Jahren in Karlsruhe die Pfeife im Mund und gab nach einem vermeintlichen Handspiel einen umstrittenen Freistoß in der Nachspielzeit, den der damalige Hamburger Marcelo Díaz zum Ausgleich verwandelte. Der HSV rettete sich dadurch in die Verlängerung, in der er den KSC mit 2:1 besiegte und erstklassig blieb.
Seitdem wurde Gräfe erst zweimal für ein Spiel mit HSV-Beteiligung angesetzt: Am 22. April 2016 beim 2:1-Sieg gegen Bremen und bei der jüngsten 0:4-Pleite in Augsburg.
Trio muss Training abbrechen
Als um 10 Uhr am Mittwochmorgen der Ball auf dem Trainingsgelände des HSV wieder rollte, war noch eitel Sonnenschein. Die Laune in der Mannschaft schien gut zu sein. Und für die Fans war es die letzte Chance, ihre Lieblinge vor dem Abstiegskrimi gegen den VfL Wolfsburg am Sonnabend (15.30 Uhr, Volksparkstadion/Sky, Liveticker auf Abendblatt.de) zu sehen. Und sie bekamen fast alle Profis zu sehen, auch Lewis Holtby. Er hatte aufgrund der Fleischwunde am rechten Fuß, die er am Sonnabend beim 1:1 auf Schalke erlitten hatte, am Dienstag nur im Kraftraum Gewichte gestemmt.
Doch es dauerte nicht lange, da zogen dunkle Wolken am Volkspark auf. Erst drückte die Verletzung von Pierre-Michel Lasogga auf die Stimmung. Der Last-Minute-Schütze des 1:1-Ausgleichs auf Schalke musste sich auf dem Platz minutenlang am linken Oberschenkel behandeln lassen, wurde anschließend bandagiert und musste das Training abbrechen. "Die Adduktoren", sagte Lasogga noch auf dem Weg in die Kabine.
Wenig später dann der nächste Schock: Nicolai Müller, gerade erst von einem Innenbandriss genesen, hielt sich nach einem Schuss das verletzte linke Knie. Nach längerer Behandlung versuchte er es zwar noch einmal, aber es ging offenbar nicht weiter. Mit dicker Bandage ging er kommentarlos vom Platz – das lässt nichts Gutes ahnen. Befürchtungen, der 29-Jährige habe sich erneut am zuletzt gerissenen Innenband verletzt, bestätigten sich am Nachmittag allerdings nicht. Ein Band im linken Knie könnte dennoch lädiert sein, hieß es aus der medizinischen Abteilung.
Und als wären das nicht genug der Sorgen, beendete auch Albin Ekdal das Training vorzeitig. Bei ihm allerdings scheint es nichts Schwerwiegendes zu sein. Ob Trainer Markus Gisdol den schwedischen Defensivmann nach wochenlanger Pause fest eingeplant hätte, ist ohnehin fraglich. Auch Stürmer Lasogga bleibt wohl nur als Joker eine Option.
Resthoffnung bei Müller und Lasogga
Ein Ausfall von Topscorer Müller (fünf Tore, sieben Vorlagen) träfe Trainer Markus Gisdol allerdings hart. Genauere Diagnosen sind noch nicht bekannt. Zumindest mussten Lasogga und Müller nicht zu weiteren Untersuchungen ins Krankenhaus. Damit könnten sie in einer möglichen Relegation noch zur Verfügung stehen. Auch eine Restchance für das Spiel gegen Wolfsburg bleibt.
Ob die beiden an diesem Donnerstag in das zweitägige Trainingslager nach Rotenburg/Wümme mitreisen, war am Mittwoch nicht abschließend geklärt. Albin Ekdal wird in jedem Fall dabei sein und soll schon Donnerstagnachmittag in Rotenburg wieder trainieren.
Demirbay zum Confed-Cup
Für den HSV war Kerem Demirbay einst nicht gut genug – für die Nationalmannschaft des Weltmeisters offenbar schon. Bundestrainer Joachim Löw hat den Hoffenheimer am Mittwoch in sein Aufgebot für den Confederations Cup in Russland (17. Juni bis 2. Juli) berufen – Lohn für eine überragende Bundesligasaison. Demirbay (23) kam bei der TSG bislang auf 27 Einsätze, in denen ihm sechs Tore und neun Vorlagen gelangen. Er tritt außerdem alle Standards für den Tabellendritten.
Beim HSV brachte es der Mittelfeldspieler in drei Jahren Vertragslaufzeit auf ganze drei Bundesliga-Einsätze. Zweimal wurde er in die Zweite Bundesliga verliehen, einmal an Kaiserslautern, einmal an Düsseldorf, ehe man ihn im vergangenen Sommer nach Hoffenheim ziehen ließ.
Reiner Calmund, Vertrauter von HSV-Mäzen Klaus-Michael Kühne, hatte den Transfer erst am vergangenen Sonntag im Sport1-"Doppelpass" kritisiert. "Da muss ich mich fragen: Mensch, das war doch schon eurer Spieler. Jetzt gebt ihr den für 1,7 Millionen ab und kauft welche für zehn Millionen, die den Möbelwagen nicht treffen", sagte der frühere Bayer-Leverkusen-Manager.
Verwirrung um Demirbays Verbandswechsel
Demirbay hat sich offensichtlich in letzter Sekunde für eine Karriere in der deutschen Nationalmannschaft entschieden. Der türkische Verband TFF veröffentlichte am Mittwoch nach Demirbays Nominierung für den Confed-Cup ein Schreiben des Offensivspielers an den Weltverband Fifa vom 15. Mai (Montag): Der 23-Jährige erklärt darin, er wolle künftig für die Türkei spielen.
"Meine Familie kommt aus der Türkei, und ich fühle mich türkisch", steht in dem Schreiben, das Demirbays Unterschrift trägt. "Deshalb will ich statt für die deutsche künftig für die türkische Nationalmannschaft spielen. Ich verstehe die Konsequenzen dieses Wechsels und weiß, dass er endgültig ist." Über sein Management ließ er aber inzwischen ausrichten: "Ich bin ausschließlich deutscher Staatsbürger und somit überhaupt nicht für die türkische Nationalelf spielberechtigt."
Joachim Löw wusste um den Konflikt. "Er hätte auch für die Türkei spielen können", sagte der Bundestrainer. "Ich bin froh, dass er sich für uns entschieden hat."
Der Hoffenheimer selbst äußerte sich im Internet zunächst nicht zu den Spekulationen, wohl aber zur Berufung in das Löw-Team. "Ich freue mich sehr über die Nominierung. Für mich ist klar, dass ich der Einladung folge und für mich ein Traum in Erfüllung geht", sagte Demirbay. "Ich habe mich entschieden, für Deutschland zu spielen, da ich hier geboren wurde und aufgewachsen bin und mich auch mit der deutschen Nationalmannschaft identifiziere. Als der Anruf kam, konnte ich es zuerst gar nicht richtig glauben." Für die deutsche Nationalmannschaft nominiert zu werden, sie "außergewöhnlich".
Innenverteidiger Walace?
Ohnehin unwahrscheinlich ist der Einsatz von Aaron Hunt. Der Mittelfeldspieler konnte aufgrund seiner Zerrung erneut nur individuell trainieren. Torwart René Adler fehlte ganz, er steht aufgrund seines Rippenbruchs selbst für die Relegation nicht zur Verfügung. Was außerdem auffiel: Walace übte im Training an der Seite von Kyriakos Papadopoulos in der Innenverteidigung.
Am Donnerstagvormittag geht es dann im Anschluss an die Pressekonferenz (10 Uhr) für zwei Tage ins Kurztrainingslager nach Rotenburg (Wümme). Dort stehen zwei weitere nicht öffentliche Trainingseinheiten auf dem Programm, ehe die Mannschaft am Freitag zurück nach Hamburg reist und sich im Mannschaftshotel einquartiert.
Gehaltsetat würde bei Abstieg halbiert
Aufgrund der seit Monaten herrschenden Abstiegsgefahr hat der HSV zweigleisig geplant. Alle Profis verfügen über Verträge, die auch für die Zweite Liga Gültigkeit haben. Allerdings besitzen einige Akteure spezielle Ausstiegsklauseln. Fest steht, dass der Gehaltsetat von derzeit 56 Millionen Euro auf etwa die Hälfte reduziert werden müsste, sollte der letzte Liga-„Dino“ erstmals absteigen.
In den neueren Verträgen ist geregelt, dass die Spieler in der Zweiten Liga Gehaltseinbußen hinzunehmen hätten. In einigen Altverträgen ist der Abstieg allerdings nicht tariflich geregelt. Die entsprechenden Spieler müsste der HSV wohl verkaufen, um das angepeilte Budget einzuhalten.
Jung zur U-21-EM
Große Ehre für Gideon Jung: U-21-Nationaltrainer Stefan Kuntz hat den HSV-Defensivmann in sein vorläufiges Aufgebot für die EM in Polen (16. bis 30. Juni) berufen. Jung (22) hatte erst Ende März in Wiesbaden beim Länderspiel gegen England sein Debüt in der DFB-Nachwuchsauswahl gegeben und auf Anhieb überzeugt.
"Wir haben den Anspruch, als Deutschland dort Mitfavorit zu sein", sagte Kuntz bei der Bekanntgabe des Kaders in Frankfurt am Main. Die Mannschaft solle "von Anfang an Vollspeed" geben. Während des Trainingslagers in Grassau wird der Kader noch am 6. Juni von 25 auf 23 Spieler verkleinert. Gegner in der Vorrunde sind Tschechien, Dänemark und Italien.
Gleich neun potenzielle Stammspieler fehlen im Aufgebot und nehmen stattdessen am Confederations Cup mit der A-Nationalmannschaft teil. Angeführt wird Kuntz' Aufgebot vom Schalker Max Meyer, dem Bremer Serge Gnabry und Kapitän Maximilian Arnold. Weitere Profis mit Erfahrungen aus der A-Nationalmannschaft sind der Wolfsburger Yannick Gerhardt und Ex-HSV-Profi Jonathan Tah von Bayer Leverkusen.
Bruchhagen: Wir schaffen das
Heribert Bruchhagen hat sich vor dem Endspiel um die direkte Rettung zuversichtlich gezeigt. "Wir müssen es packen, und wir werden es packen", sagte der HSV-Vorstandsvorsitzende bei einer Presserunde am Mittwochmittag. Bruchhagen zählt dabei vor allem auf die Unterstützung der Fans: "Seitdem ich hier bin, haben wir von ihnen immer große Unterstützung erhalten."
Der HSV-Chef räumte allerdings ein, dass die Anspannung im gesamten Club spürbar sei, das gelte "für die Fanshop-Verkäuferin genauso wie für den Vorstand". Dass weitere Ausfälle drohen, dürfe keine Ausrede sein. "Wir haben auch Heimspiele ohne Lasogga und Müller gewonnen“, sagte Bruchhagen.
Arps unvollendete Mission
Es hat nicht zum Titel gereicht für Jann-Fiete Arp bei der U-17-EM in Kroatien. Mit der deutschen Auswahl scheiterte das HSV-Sturmtalent im Halbfinale gegen Spanien knapp mit 2:4 nach Elfmeterschießen (0:0 nach Verlängerung) – und weinte danach bittere Tränen.
Mit seinen sieben Toren darf sich Arp (17) dennoch als ein Gewinner des Turniers fühlen. „Es ist mein Job, für die Mannschaft viele Tore zu schießen. Mein Ziel ist es, ein möglichst kompletter Stürmer zu werden und meiner Mannschaft mit vielen Toren zu helfen“, sagte Arp, der auch im Elfmeterschießen die Nerven behalten hatte. Trainer Christian Wück lobte: „Fiete ist ein Führungsspieler, sowohl auf dem Platz als auch neben dem Platz. Er hat einen kühlen Kopf, auch in Drucksituationen, und bringt seine Leistung.“
Schon bei der U-17-WM im Oktober in Indien bietet sich für Wück und seine Mannschaft wieder eine Titelchance – und die Möglichkeit zum nächsten Entwicklungsschritt.
Seeler für Erhalt der Relegation
HSV-Legende Uwe Seeler und Vorstandschef Heribert Bruchhagen haben sich trotz der erneut sportlich prekären Lage des HSV gegen eine Abschaffung der Relegation ausgesprochen. „Das nützt uns ja auch nichts im Moment“, sagte Seeler in Berlin. „Dann steigen sie gleich ab, das ist genau so schlimm. So haben sie wenigstens noch eine kleine Chance.“
Der HSV muss am Sonnabend gegen Wolfsburg gewinnen, um direkt den Klassenverbleib in der Bundesliga zu sichern. Ansonsten müssten die Hamburger das dritte Mal binnen vier Jahren in die Relegation. „Ich habe das damals noch im Vorstand der Deutschen Fußball-Liga mitverantwortet und halte es immer noch für eine sinnvolle Regelung“, sagte Bruchhagen, der ebenfalls anlässlich der Preisverleihung des Deutschen Fußball-Botschafters in der Hauptstadt war. „Obwohl, wenn man selbst betroffen ist, dann kriegt man natürlich Zweifel. Unterm Strich halte ich es aber für richtig.“
Bruchhagen hat im letzten Jahr als Vereinschef von Eintracht Frankfurt ebenfalls die Relegation erlebt. Sie war zur Saison 2008/09 wieder eingeführt worden. Dabei spielt der Tabellen-16. der Bundesliga gegen den Dritten aus der Zweiten Liga sowie der 16. der Zweiten Liga gegen den Dritten der Dritten Liga.