Gelsenkirchen. Dank des 1:1 auf Schalke ist der direkte Abstieg abgewendet, der Klassenerhalt sogar aus eigener Kraft möglich. Fans greifen Beamte an.
Es war nur ein Punkt, aber er fühlte sich an wie ein Sieg: Der HSV muss dank Pierre-Michel Lasoggas Tor in der Nachspielzeit (90.+2) nicht mehr den ersten direkten Abstieg der Clubgeschichte fürchten. Der Angreifer erzielte den Treffer zum 1:1 (0:1)-Endstand bei Schalke 04 und besiegelte damit den Abstieg des FC Ingolstadt (1:1 beim SC Freiburg). Damit kann der HSV am kommenden Sonnabend im Heimspiel gegen Wolfsburg den Klassenerhalt sogar aus eigener Kraft perfekt machen.
"Wir müssen unserer Mannschaft ein großes Kompliment machen", sagte HSV-Trainer Markus Gisdol: "Wir sind nie kopflos gewesen und haben immer mehr Druck gemacht. Das Tor war ein toller Moment für uns. Wir schnaufen erst mal durch, wissen aber auch, dass das nur ein erster Schritt war." Der Punkt sei redlich verdient gewesen. In der Nachspielzeit, in der Schalkes vermeintlicher Siegtreffer noch aberkannt wurde, seien es sehr emotionale Momente gewesen, "das vergisst man nicht so schnell".
Allerdings droht dem HSV wie schon 2014 und 2015 weiter ein Abstiegsduell mit dem Zweitliga-Dritten. Der HSV (35 Punkte) kann nur mit einem Sieg über Wolfsburg noch den direkten Klassenerhalt schaffen. Dem VfL genügt bereits ein Remis. Schalke dagegen ist erstmals nach sieben Europapokal-Teilnahmen hintereinander in der kommenden Saison nicht international vertreten und muss sich neu aufstellen.
Bereits eine Viertelstunde vor Anpfiff des letzten Saison-Heimspiels wurden Ex-HSV-Profi Dennis Aogo, Bayern-Leihspieler Holger Badstuber, Sascha Riether und Torhüter Timon Wellenreuther, die den Verein nach der Saison verlassen, offiziell von Aufsichtsratschef Clemens Tönnies verabschiedet. Torjäger Klaas-Jan Huntelaar, der nach sieben Jahren auf Schalke ebenfalls Tschüss sagt, stand gegen den HSV noch einmal in der Startelf und absolvierte sein 174. Bundesligaspiel für die Königsblauen (82 Tore).
Vor 62.271 Zuschauern in der ausverkauften Arena hielt der HSV das Spiel mit durchaus hoher Lauf- und Kampfbereitschaft lange Zeit offen, war aber im Abschluss wie schon in den vergangenen Wochen harmlos. Winter-Neuzugang Guido Burgstaller (25.) erzielte nach einer Flanke von Nabil Bentaleb per Kopf mit seinem neunten Saisontreffer die Schalker Führung.
Die besten HSV-Chancen vor der Pause vergab der erneut schwache Bobby Wood (39.), der aus aussichtsreicher Position weit verzog, sowie Bakery Jatta (45.) nach einem Konter. Jatta hatte überraschend den Vorzug vor Michael Gregoritsch erhalten. Schalke war effektiver. Torjäger Huntelaar hatte Pech und traf mit seinem Kopfball in der 33. Minute nur den Innenpfosten. Den Nachschuss beförderte Burgstaller freistehend über das leere Tor.
Lasogga verspürt "pure Erleichterung"
Nach der Pause erhöhte der HSV noch mal die Schlagzahl und drängte die Schalker sogar phasenweise an den eigenen Strafraum. Doch weiter fehlte dem Team um die Ex-Schalker Kyriakos Papadopoulos und Lewis Holtby die Zielstrebigkeit im Abschluss. Allerdings präsentierten sich die Hamburger gefestigter als noch in den Spielen gegen Mainz (0:0) und vor allem in Augsburg (0:4). Kurz vor Schluss verpasste erst Wood die Riesenmöglichkeit zum Ausgleich, ehe Lasogga doch noch die Hoffnung auf die Rettung wahrte.
Lasogga? Lasogga! Er hatte den HSV schon 2014 in der Relegation gegen Fürth gerettet. Jetzt machte er im 20. Saisoneinsatz sein erstes Tor – und gleich ein ganz wichtiges. Es war ein eher verunglückter Schuss, aber das war Lasogga egal. Er war "überglücklich, dass ich hier das Tor gemacht habe und wir nicht mehr direkt absteigen können. Das war pure Erleichterung". Für ihn sei es ein "Sch...jahr" gewesen, aber er sei froh, dass er trotzdem nicht aufgegeben habe.
Lasogga stürmte nach seinem Tor zum Hamburger Fanblock. Der HSV Supporters Club hatte etwa 1300 Fans mit einer eigens organisierten Sternfahrt aus ganz Deutschland zum Spiel gegen Schalke mitgebracht. Motto: "Alle in die Halle." Aus 16 Städten fuhren 26 Busse nach Gelsenkirchen. Insgesamt reisten 6000 HSV-Fans ins Ruhrrevier mit.
Kolasinacs Tor wird nicht anerkannt
Aber ihnen fuhr noch einmal der Schreck in die Glieder. Mit der letzten Aktion des Spiels beförderte Sead Kolasinac den Ball per Kopf ins HSV-Netz. Der Siegtreffer? Nein, denn der Ball hatte beim Eckstoß in der Luft die Torauslinie überschritten. Dramatik pur! Dann war Schluss.
"Unfassbar, was wir hier in den letzten Minuten erlebt haben", sagte HSV-Sportchef Jens Todt am Sky-Mikrofon, "wir haben uns den Punkt redlich verdient, und er kann wahnsinnig viel wert sein. Für uns ist das ein großer Schritt nach vorn."
Polizei setzt Pfefferspray ein
Ähnlich empfand es auch Verteidiger Dennis Diekmeier: "Jeder war bei uns für jeden da, das hat man auch bei Pierres Tor gesehen. Wenn wir so weiterarbeiten, bin ich überzeugt, dass wir in der Liga bleiben. Zu Hause sind wir eine Macht." Er selbst wird die Partie aufgrund seiner fünften Gelben Karte aber nur als Zuschauer erleben.
Es wird vor allem ein Psycho-Duell werden. Mario Gomez setzte gleich den ersten verbalen Hieb. "Der Druck liegt bei Hamburg, sie müssen gewinnen", sagte der Stürmerstar des VfL Wolfsburg mit Blick auf das Relegations-Endspiel beim HSV nächste Woche: "Wir werden es schaffen. Wenn uns das Wasser bis zum Hals steht, haben wir plötzlich Aggressivität, Willen und die spielerische Klasse."
Für ein unschönes Nachspiel in Gelsenkirchen sorgten gewaltbereite HSV-Fans. Nach Polizeiangaben wollten sie sich eine Auseinandersetzung mit gleichgesinnten Schalke-Fans liefern und griffen dabei auch die Einsatzkräfte an. Dies habe durch den Einsatz von Pfefferspray unterbunden werden können.
Schalke: Fährmann – Kehrer, Höwedes, Nastasic, Kolasinac – Goretzka, Bentaleb (90.+1 Geis) – Coke, Caligiuri (61. Avdijaj) – Burgstaller, Huntelaar (80. Stambouli).
HSV: Mathenia – Diekmeier (85. Lasogga), Papadopoulos, Jung, Sakai – Janjicic (78. Gregoritsch), Ostrzolek – Jatta (72. Waldschmidt), Holtby, Kostic – Wood.
Tore: 1:0 Burgstaller (25.), 1:1 Lasogga (90.+2). Schiedsrichter: Markus Schmidt (Stuttgart). Zuschauer: 62.271 (ausverkauft).Gelbe Karten: Nastasic (6), Kolasinac (5), Bentaleb (12) – Diekmeier (5).
Statistik: Torschüsse: 12:18; Ecken: 5:7; Ballbesitz: 50:50 Prozent; Zweikämpfe: 105:109.