Gelsenkirchen. Torhüter Mathenia stirbt „unfassbar viele Tode“ beim Last-minute-1:1 auf Schalke. Ähnlich ergeht es auch HSV-Boss Bruchhagen.

Der ganz normale HSV-Wahnsinn ist bereits ein Viertelstündchen Geschichte, als Christian Mathenia im Basement der Veltins-Arena noch immer nach den passenden Worten sucht. Unfassbar viele Tode sei er gestorben, berichtet der HSV-Torhüter am Sonnabend gegen 17.40 Uhr und zählt auf: Erst die verpatzte Chance von Bobby Wood kurz vor Schluss. Dann doch noch das überlebenswichtige 1:1 durch Pierre-Michel Lasogga. Und schließlich Schalkes 2:1 in der Nachspielzeit, das nicht gegolten habe.

„Es war eine Achterbahnfahrt der Gefühle“, sagt also der HSV-Torhüter. „Wir leben noch. Und nächste Woche haben wir gegen Wolfsburg alles in der eigenen Hand.“ Spricht’s und gerät dann doch ins Stocken. Denn erst in diesem Moment sieht Mathenia auf einem an der Wand hängenden Flachbildschirm, dass die Partie zwischen Wolfsburg und Gladbach zu diesem Zeitpunkt noch immer läuft. „Oh Gott! Was ist da los?“, fragt der geschockte HSV-Schlussmann.

Es dauert nicht lange, ehe neben Mathenia noch eine ganze Reihe von Hamburgern die Dramatik des Augenblicks verstehen und die Mixedzone der Arena kurzerhand in ein Public Viewing verwandeln. Weil das Spiel beim potenziellen Relegations-Konkurrenten Wolfsburg zwischenzeitlich wegen eines plötzlichen Weltuntergang-Gewitters unterbrochen wurde, müssen die letzten zwölf Minuten der Partie nachgeholt werden. „Mach endlich Schluss!“, ruft Dennis Diekmeier dem unschuldigen Fernseher um 17.50 Uhr entgegen. Und dann noch ein letztes Mal sehr laut: „Pfeif ab, Mann!“

Todt muss erstmal eine rauchen

Ein paar Sekunden, eine Riesenchance für Mario Gomez und ein glücklicherweise nicht gegebener Handelfmeter für Wolfsburg später ist der Jubel in den Schalker Katakomben nicht mehr zu stoppen. „Das war ein Herzschlag­finish, das man sich so gar nicht ausdenken kann“, sagt der verschwitzte Sportchef Jens Todt, der erleichtert einräumt, nun erst einmal eine rauchen gehen zu müssen: „Wenn man so ein Drehbuch schreibt, würde man das als unglaubwürdig werten.“

Ein Hauch von Díaz sei das gewesen, ruft irgendeiner aus dem Gewimmel. Und tatsächlich erinnerte der Fußballnachmittag auf Schalke ein wenig an diese epochale Last-minute-Rettung in der Relegation vor zwei Jahren gegen Karlsruhe, als Marcelo Díaz erst in der Nachspielzeit einen Freistoß zum 1:1 in das Tor streichelte. Damals war der Bundesliga-Dino im Prinzip schon tot, diesmal wurde er gerade noch rechtzeitig von der Intensivstation ins Krankenzimmer zurückverlegt. „Wir sind noch unter den Lebenden“, sagt Trainer Markus Gisdol am Morgen danach. „Man kann das alles kaum in Worte fassen. Die Gefühle schlagen Purzelbäume.“

Kommentar: HSV muss sich von Lasogga trennen

Anders als vor zwei Jahren, als ein Tor in der Verlängerung durch Nicolai Müller zur endgültigen Rettung reichte, bedarf es nun noch einmal 90 Minuten. Mindestens. Denn obwohl sich auch am Sonnabend Fußball- und Wettergott hemmungslos auf die Hamburger Seite schlugen, braucht der HSV im Endspiel zur Verhinderung der Relegation nun einen Sieg gegen Wolfsburg. „Die Ausgangslage ist eindeutig“, sagt Trainer Gisdol. „Nun wollen wir es auch zu Ende bringen.“

Bruchhagen war fix und fertig

Dabei schien auf Schalke trotz guten Spiels das eigene Ende zum Greifen nah. Guido Burgstaller hatte die Königsblauen mit einem Kopfball nach 25 Minuten in Führung gebracht. Und weil im Verlauf der 90 Minuten Konkurrent Nummer eins (Mainz) gegen Frankfurt aus einem 0:2 ein 4:2 machte, Konkurrent Nummer zwei (Augsburg) ein 1:1 gegen Dortmund halten konnte und sich Konkurrent Nummer drei (Ingolstadt) ein 1:1 gegen Freiburg erkämpfte, mussten HSV-Fans zwischenzeitlich sogar den direkten Abstieg am letzten Spieltag befürchten. „Der Ausdruck ‚Wechselbad der Gefühle‘ ist im Vergleich zum Szenario völlig unangebracht“, sagte der geschaffte Clubchef Heribert Bruchhagen.

Die Nerven des Vorstandsvorsitzenden konnten auch nicht durch Lasoggas Ausgleichstor in der Nachspielzeit beruhigt werden. Denn als die Nachspielzeit von drei Minuten längst abgelaufen war, köpfte Schalkes Sead Kolasinac den Ball noch zum vermeintlichen 2:1 ins HSV-Tor.

Es dauerte wahrscheinlich die längsten 25 Sekunden in Bruchhagens Leben, ehe klar war, dass Schiedsrichter Markus Schmidt das Tor nicht geben würde, weil der Ball zuvor im Aus gewesen sein soll. Noch einmal 25 Minuten später war dann klar: Der HSV-Wahnsinn geht weiter. Der nächste Showdown: Sonnabend, 15.30 Uhr. Der Gegner: Wolfsburg. Das Ziel: bloß keine Relegation. Einmal der echte Díaz reicht.