Augsburg. Die Hamburger spielen beim 0:4 wie ein Absteiger. Nach der dritten Niederlage in Folge äußert ein Ex-Profi Kritik am Trainer.

Oje, HSV! Dem vermeintlich unverwüstlichen Bundesliga-Dino droht wieder einmal der erste Abstieg. Nach einem desaströsen und leidenschaftslosen Auftritt unterlagen die Hamburger im Kellerduell beim willensstarken FC Augsburg mit 0:4 (0:2) und stehen drei Spieltage vor dem Saisonende nur noch auf dem Relegationsplatz. Was die Lage nach der dritten Niederlage in Serie noch verschärft: Der HSV weist im Vergleich mit den punktgleichen Konkurrenten Mainz 05 und VfL Wolfsburg die schlechtere Tordifferenz auf.

"Das ist eine ganz bittere Niederlage gegen einen direkten Konkurrenten", sagte Sportchef Jens Todt am Sky-Mikrofon und kündigte eine sachliche Analyse an. Der Gegner habe "griffiger" gewirkt. Er spreche keinem Spieler die richtige Einstellung ab, aber man habe der Mannschaft den Druck angemerkt. "Der Rucksack, den die Mannschaft zu schleppen hatte, ist immer schwerer geworden."

Matz ab nach dem HSV-Debakel gegen Augsburg

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    Verteidiger Mergim Mavraj fand deutlichere Worte. "Heute hat sehr viel gefehlt. Wir waren nicht kompakt. Augsburg war viel leidenschaftlicher, viel geiler auf den zweiten Ball", sagte Mavraj. Die Leistung des HSV sei "nicht erstligawürdig" gewesen: "Wir sind nicht aufgetreten wie eine Mannschaft, die unbedingt die Klasse halten will. Es ist mir unerklärlich." Die Aufholjagd nach der Winterpause habe viel Kraft gekostet. Das habe man vielleicht in den letzten drei Spielen gemerkt. In den verbleibenden drei gegen Mainz, auf Schalke und gegen Wolfsburg müssen nun unbedingt Punkte her, soll die dritte Relegation seit 2014 verhindert werden.

    Bei FCA-Manager Stefan Reuter war dagegen die Erleichterung groß: "Wir hatten schon vor dem Spiel ein super Gefühl. Dass die Mannschaft es so umsetzt, ist umso besser." Man habe die langen Zuspiele auf HSV-Stürmer Bobby Wood sehr gut verteidigt und dann mutig nach vorn gespielt.

    Altintop trifft doppelt

    Für Augsburg kam nach Treffern von Halil Altintop (28. und 42.), Philipp Max (76.) und des kurz zuvor eingewechselten Raul Bobadilla (85.) der erst dritte Sieg aus den vergangenen zwölf Spielen gerade noch zur rechten Zeit: Vor den anstehenden schweren Partien in Gladbach, gegen Dortmund und in Hoffenheim haben die Schwaben (35 Punkte) nun zwei Zähler Vorsprung auf den Relegationsplatz und sechs auf den ersten Abstiegsplatz.

    "Es ist ein Finale für uns und für Hamburg", hatte Augsburgs Angreifer Alfred Finnbogason vor dem Anpfiff betont. Die Bedeutung der Begegnung schien den Hamburgern aber entgangen zu sein. Sie waren erschreckend passiv, fahrig und zögerlich, auch die ersten Augsburger Chancen waren kein Weckruf für sie, die Gegentreffer die logische Folge. Und die Gäste hatten auch noch großes Glück, dass Michael Gregoritsch nach einem rotwürdigen Foul an Dominik Kohr (45.) nur Gelb von Schiedsrichter Manuel Gräfe (Berlin) sah.

    Mickel verhindert Schlimmeres

    Es war der einzige Aufreger im gesamten Spiel, für den der HSV verantwortlich war. Vom Offensivquartett Aaron Hunt, Lewis Holtby, Gregoritsch und Bobby Wood ging keine Gefahr aus. Echte Torchancen? Keine.

    Hamburgs Ersatz-Ersatz-Torwart Tom Mickel verhinderte bei seinem zweiten Bundesliga-Einsatz nach einem 3:1 im Mai 2016 beim FC Augsburg ein noch schlimmeres Debakel. Der FCA war nach fahrigem Beginn deutlich aktiver und leidenschaftlicher – und hätte höher gewinnen können, wäre da nicht der Stellvertreter der verletzten René Adler und Christian Mathenia gewesen.

    Todt spricht von "Kopfmüdigkeit"

    Mickel war noch der beste Spieler einer Mannschaft, die phasenweise apathisch wirkte und auch in der zweiten Halbzeit kein entschlossenes Aufbäumen erkennen ließ. "Heute fehlte ganz viel", sagte Mickel, "wir müssen uns schleunigst Gedanken über unser Auftreten machen." Woraus Sportchef Todt jetzt noch Mut schöpft: Die Mannschaft hat schon eine schlimmere Situation in dieser Saison gemeistert. Ich weiß, dass sie es besser kann als heute." Er sei überzeugt, dass der Klassenerhalt gelinge.

    Todt machte am Sonntagabend in der TV-Sendung "Sky90" einen gewissen mentalen Verschleiß geltend. Die Mannschaft habe über Monate hinweg in jedem Spiel an ihre Leistungsgrenze gehen müssen, um eine Siegchance zu haben. "Es ist möglich, dass die Mannschaft ein bisschen kopfmüde ist." Das sei schon bei der 1:2-Niederlage gegen Darmstadt zu spüren gewesen, als der HSV zum ersten Mal etwas zu verlieren gehabt habe.

    Gisdol rechnet mit Gegenwind

    Man werde jetzt aber nicht den Fehler machen, "auf die Mannschaft einzuprügeln", sagte Todt: "Wir bekommen jetzt richtig um die Ohren. Unsere Aufgabe ist, das abzufedern und eine Atmosphäre zu schaffen, die leistungsförderlich ist."

    Gisdol gestand ein, dass sich seine Mannschaft von den Augsburgern den Schneid habe abkaufen lassen: "Wenn wir so auftreten wie heute, holen wir keine Punkte mehr", sagte der HSV-Trainer. Er verstehe jeden, der nach dieser Leistung "total sauer" sei, man werde "auf die Mütze bekommen". Aber jetzt gelte es, den Blick nach vorn zu richten: "Wir wollen in den verbleibenden drei Spielen das schaffen, was uns keiner mehr zugetraut hätte."

    Schnoor kritisiert Trainerleistung

    Für Stefan Schnoor ist der Trainer der Hauptverantwortliche für die herbe Niederlage. "Markus Gisdol hat bei der Taktik heute komplett danebengegriffen", kritisierte der frühere HSV-Profi in der Talkrunde des Abendblatt-Blogs Matz ab. Schnoor kreidet Gisdol an, Michael Gregoritsch auf die falsche Position gestellt zu haben ("Er ist kein Mann für die Außen").

    Zudem sei es ein Fehler gewesen, Gideon Jung in der Innenverteidigung durch den wieder genesenen Mergim Mavraj zu ersetzen und stattdessen im defensiven Mittelfeld zu postieren. Mit Jung habe der HSV zwar nicht schön gespielt, aber stabil verteidigt – und Spiele gewonnen. "Gisdol muss sich da hinterfragen", forderte Schnoor.

    Bruchhagen kündigt Umbruch an

    Aber selbst wenn der HSV die Trendwende schafft und den Klassenerhalt noch sicherstellt: Es wird in der kommenden Saison größere Veränderungen im Kader geben, das kündigte Clubchef Heribert Bruchhagen an. „Dem HSV steht ein Umbruch bevor, das kann ich schon sagen. Was genau geschehen wird, darüber zu reden, ist es zu früh und jetzt auch nicht zielführend. Aber es wird sich einiges tun“, sagte der Vorstandsvorsitzende der „Welt am Sonntag“.

    Vor allem aufgrund der zuletzt schwachen Vorstellung beim 1:2 gegen Schlusslicht Darmstadt sieht sich der 67-Jährige zum Handeln veranlasst. „Ich habe keine Erklärung für das Darmstadt-Spiel. Speziell dass wir so wenig Torchancen herausgespielt haben, hat mich besorgt gemacht. Natürlich fehlten wichtige Spieler, aber das darf gegen Darmstadt ja keine Ausrede sein. Das hätte ich nicht für möglich gehalten“, sagte Bruchhagen.

    Wie groß im Club die Sorge vor einem Absturz ist, deutete der Vorstandsvorsitzende an. „Ob die Spieler Angst haben, weiß ich nicht, aber die Leute hier in der Geschäftsstelle, die von einem Abstieg unmittelbar betroffen wären, die haben mit Sicherheit Angst um den Verein. Ich übrigens auch, und alle, die hier Verantwortung tragen. Denn ein Abstieg hätte mit Sicherheit nachhaltige Auswirkungen auf den Club“, sagte Bruchhagen.