Hamburg. Trainer Gisdol würde gerne das Hoffenheimer Modell übernehmen. Doch dem HSV gehen die Spieler aus.

Markus Gisdol brauchte nur einen einzigen Finger, um seine Innenverteidiger durchzuzählen. Im Training des HSV am Donnerstag zwei Tage vor dem Heimspiel gegen 1899 Hoffenheim am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Abendblatt-Liveticker) war von nominell fünf zentralen Abwehrspielern nur Kyriakos Papadopoulos auf dem Platz. Mergim Mavraj? Trainierte individuell. Gideon Jung und Johan Djourou? Fallen wegen muskulärer Probleme wohl aus. Albin Ekdal? Fehlt mit Muskelbündelriss rund vier bis sechs Wochen. „Der Trainer braucht schon ein wenig Fantasie“, sagt Clubchef Heribert Bruchhagen über die Abwehrnot des HSV.

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Bruchhagen zu Verletzten: "Gisdols Fantasie ist gefordert"

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    Der Gegner aus Hoffenheim hat diese Probleme nicht. Im Gegenteil. Gleich fünf Innenverteidiger stehen Trainer Julian Nagelsmann am Sonnabend zur Verfügung. Drei von ihnen werden im Volkspark spielen. Nationalspieler Niklas Süle, Kevin Vogt und Benjamin Hübner. Mit Ermin Bicakcic und Fabian Schär verfügt die TSG zudem noch über zwei weitere Alternativen, die im Winter beide noch beim HSV in Gespräch waren, letztlich aber in Hoffenheim blieben. Nagelsmann setzt seit dieser Saison auf ein Modell, das sowohl in der Bundesliga als auch im internationalen Fußball immer häufiger zum Einsatz kommt: die defensive Dreierkette.

    Guardiola gilt als Vorreiter der Dreierkette

    Nachdem die Viererkette vor rund 20 Jahren im modernen Fußball die Formation des Liberos mit zwei Manndeckern ablöste, setzen die Clubs nun immer häufiger auf die Dreierkette. Pep Guardiola war mit dem FC Bayern München vor zwei Jahren der erste Trainer, der das Modell in der Bundesliga einführte. Heute spielen acht von 18 Clubs gelegentlich mit der Taktik aus drei zentralen Verteidigern.

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    „Viele Teams haben sowohl die Dreier- als auch die Viererkette in ihrem Spielsystem-Repertoire verinnerlicht“, sagt Frank Wormuth, Chef-Trainerausbilder beim Deutschen Fußball-Bund. „Man wechselt sogar innerhalb des Spiels diese Formationen.“ Nagelsmann hat dieses System in Hoffenheim perfektioniert. Das hat auch Wormuth beobachtet, der Nagelsmann vor einem Jahr die Fußballlehrer-Lizenz erteilte. Seitdem gilt der 29-Jährige als Shootingstar unter den Trainern, innerhalb von 24 Monaten hat er Hoffenheim vom Abstiegsplatz in die Champ­ions-League-Ränge geführt.

    Knäbel wollte Hoffenheims Vogt

    Einer der Schlüssel des Hoffenheimer Erfolgs ist die Umstellung auf die Dreierkette. Seit dem fünften Spieltag setzt Nagelsmann auf die defensive Reihe mit den drei Hünen Süle (1,95 Meter), Hübner (1,93) und Vogt (1,94). Mit 26 Gegentoren hat Hoffenheim die zweitbeste Defensive nach Bayern München. Am Dienstag konnte die TSG den Rekordmeister im direkten Duell sogar erstmals besiegen, weil insbesondere die Defensive beim 1:0 funktionierte. Überragender Mann war Vogt, der die zentrale Position in der Dreierkette spielte.

    Jener Vogt war einer der Spieler, um die sich der ehemalige HSV-Manager Peter Knäbel vor einem Jahr bemühte, als Vogt noch für den 1. FC Köln im Mittelfeld spielte. Doch während Knäbel beurlaubt wurde und Dietmar Beiersdorfer als Nachfolger keinen zentralen Verteidiger mehr fand, ging Vogt für kleines Geld nach Hoffenheim, wo ihn Nagelsmann zum Abwehrspieler umschulte.

    Dort spielt Vogt eine Art modernen Libero. So wie es Jerome Boateng bei den Bayern oder Sokratis bei Borussia Dortmund macht. Im Gegensatz zu früheren Liberotypen wie Franz Beckenbauer, Lothar Matthäus oder Matthias Sammer übt der zentrale Mann in der heutigen Dreierkette eine andere Rolle aus. „Der Libero konnte sich ohne direkten Gegner um die Steilpässe, die hinter der Abwehrkette gespielt wurden, kümmern, indem er sie ablief“, erklärt DFB-Ausbilder Wormuth. Die Dreierkette von heute stehe auf einer Linie und habe im Grunde drei Liberos, so Wormuth. „Immer der, der ohne Gegner ist, sichert den anderen Innenverteidiger ab, ansonsten wird ein 1:1 ohne Absicherung gespielt.“

    Mavraj spielte die Dreierkette bereits in Köln

    Eine Variante, die vor allem in der Offensive ihre Vorteile offenbart. „Wenn du die richtigen Spielertypen hast, ist die Dreierkette ein super System, weil du im Mittelfeld eine Überzahl erzeugst“, sagt HSV-Verteidiger Mergim Mavraj. Der 30-Jährige spielte die Formation bereits in Köln. Mit ihm als Abwehrchef könnte Trainer Markus Gisdol perspektivisch die Dreierkette beim HSV implementieren.

    Gisdol denkt seit einiger Zeit darüber nach, auf das Hoffenheimer Modell umzustellen. Doch bislang fehlte die Vorbereitungszeit. „Die Dreierkette bedarf einige Wochen Zeit, um sie einzustudieren“, sagte Gisdol kürzlich. In der Sommerpause könnte er das Projekt in Angriff nehmen. Doch dazu braucht der HSV noch den einen oder anderen Abwehrspieler. Oder, wie es Clubchef Bruchhagen sagen würde, ein wenig Fantasie.