Hamburg. Pushen statt Pfeifen: Wie Mannschaft und Anhang nach einer tiefen Beziehungskrise wieder zueinandergefunden haben.

Was genau passierte in den Minuten nach seinem 2:1-Siegtreffer gegen den 1. FC Köln am Sonnabendnachmittag, das vermochte Lewis Holtby hinterher nicht so richtig zu erklären. Wie auch? Sein Gehirn war in dem Moment ja „komplett ausgeschaltet“, wie Holtby hinterher erzählte: „Alles war verrückt.“ Aber es gab ja Beweisbilder: Sie zeigten Holtby, wie er nach seinem Last-Minute-Tor zur Nordtribüne des Volksparkstadions stürmte, über die Absperrung kletterte und den Einpeitscher gab, so wie es die Fans von ihm gefordert hatten.

„Nach dem Siegtor hatte man das Gefühl, es brechen alle Dämme“, sagte Trainer Markus Gisdol, der sich von der Gänsehaut-Atmosphäre anstecken ließ. Er habe selbst Probleme gehabt, „wieder runterzukommen“. Emotionen pur, ein kollektiver Glücksrausch. Jubel, Trubel, Heiterkeit.

Gegen Dortmund wurde die Mannschaft verhöhnt

Der HSV und seine Fans, diese Liebesbeziehung hat in der jüngeren Vergangenheit einige Krisen durchlebt. Es ist eine Geschichte von großen Erwartungen und großen Enttäuschungen. Und es brauchte immer weniger, damit Unterstützung in Unmut umschlug. „Wenn mal ein blöder Fehlpass gespielt oder ein blöder Zweikampf verloren wurde, kamen früher schnell die Pfiffe“, erzählte Verteidiger-Veteran Dennis Diekmeier am Sonnabend dem vereinseigenen Sender HSV total, so als spräche er von einer längst vergangenen Epoche.

Kommentar: Der HSV hat das Glück des Tüchtigen

Dabei sind es noch recht frische Eindrücke. Schon zum Saisonauftakt beim 1:1 gegen Ingolstadt wurde die Mannschaft vom eigenen Anhang ausgepfiffen. Der Tiefpunkt war dann Anfang November erreicht: Bei der 2:5-Niederlage gegen Borussia Dortmund mussten sich die Hamburger Profis von ihren Anhängern verhöhnen lassen. Da wurden Gegentore mit einer Ola gefeiert und die eigenen Spieler gnadenlos ausgepfiffen. „Außer Uwe könnt ihr alle gehen!“, war noch einer der freundlicheren Refrains, die auf der Tribüne zu hören waren. Dietmar Beiersdorfer, damals noch Vorstandsvorsitzender, fühlte sich zu einem fast schon verzweifelten Appell an die Fans bemüßigt: „Wir brauchen euren Rückhalt!“

Die Bilder des emotionalen Spiels:

Die emotionale Holtby-Show gegen Köln

Lewis Holtby haute nach seinem Siegtor in der Fankurve auf die Pauke
Lewis Holtby haute nach seinem Siegtor in der Fankurve auf die Pauke © imago/Michael Schwarz | imago sportfotodienst
Zuvor wurde er von seinen Teamkollegen vor Jubel fast erdrückt. Erst von Dennis Diekmeier (M.) ...
Zuvor wurde er von seinen Teamkollegen vor Jubel fast erdrückt. Erst von Dennis Diekmeier (M.) ... © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
... und dann von Torwart René Adler
... und dann von Torwart René Adler © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Mit Kyriakos Papadopoulos legte Lewis Holtby eine Jubelchoreografie hin, die eher nicht nach griechischem Volkstanz aussah
Mit Kyriakos Papadopoulos legte Lewis Holtby eine Jubelchoreografie hin, die eher nicht nach griechischem Volkstanz aussah © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Torwarttrainer Stefan Wächter, Sportchef Jens Todt und Chefcoach Markus Gisdol (v. l. n. r.) versetzte der späte Siegtreffer schier in Ekstase
Torwarttrainer Stefan Wächter, Sportchef Jens Todt und Chefcoach Markus Gisdol (v. l. n. r.) versetzte der späte Siegtreffer schier in Ekstase © imago/Michael Schwarz | imago sportfotodienst
Und da war es passiert: Kölns Torwart Timo Horn sah nicht nur unglücklich aus, als er dem Ball auf dem Weg ins Tor nachschaute
Und da war es passiert: Kölns Torwart Timo Horn sah nicht nur unglücklich aus, als er dem Ball auf dem Weg ins Tor nachschaute © WITTERS | TimGroothuis
Lewis Holtby drehte währenddessen jubelnd ab
Lewis Holtby drehte währenddessen jubelnd ab © Witters
Ersatztorwart Christian Mathenia (l.) und Trainer Markus Gisdol feierten mit
Ersatztorwart Christian Mathenia (l.) und Trainer Markus Gisdol feierten mit © Witters
"Papa" musste sich derweil so einiges gefallen lassen © Witters
Athletiktrainer Daniel Müssig (v.l.), Gisdol und CO-Trainer Frank Fröhling beobachten Matchwinner Holtby
Athletiktrainer Daniel Müssig (v.l.), Gisdol und CO-Trainer Frank Fröhling beobachten Matchwinner Holtby © dpa
Dieser genoss das Bad in der Fan-Menge in vollen Zügen
Dieser genoss das Bad in der Fan-Menge in vollen Zügen © Witters
Sogar eine La Ola leierte Holtby an
Sogar eine La Ola leierte Holtby an © Witters
Das ganze Spiel über hatte sich Lewis Holtby richtig reingehängt – so wie hier im Kopfballduell mit Pawel Olkowski (r.)
Das ganze Spiel über hatte sich Lewis Holtby richtig reingehängt – so wie hier im Kopfballduell mit Pawel Olkowski (r.) © WITTERS | ValeriaWitters
Nicolai Müller jubelt über sein frühes Führungstor ...
Nicolai Müller jubelt über sein frühes Führungstor ... © WITTERS | ValeriaWitters
... und die HSV-Fans mit ihm. Das Spiel war mit 57.000 Zuschauern ausverkauft
... und die HSV-Fans mit ihm. Das Spiel war mit 57.000 Zuschauern ausverkauft © WITTERS | ValeriaWitters
René Adler freut sich über das 1:0. Um den HSV-Torwart ranken sich Wechselgerüchte
René Adler freut sich über das 1:0. Um den HSV-Torwart ranken sich Wechselgerüchte © WITTERS | TimGroothuis
Später muss Nicolai Müller, gestützt auf HSV-Mannschaftsarzt Götz Welsch, verletzt vom Feld
Später muss Nicolai Müller, gestützt auf HSV-Mannschaftsarzt Götz Welsch, verletzt vom Feld © WITTERS | TimGroothuis
Milos Jojic (2. v. r.) köpft den Ausgleich
Milos Jojic (2. v. r.) köpft den Ausgleich © imago/Revierfoto | imago sportfotodienst
Milos Jojic (l.) lässt Gideon Jung über die Klinge springen. Für diese Aktion sieht der Kölner zu Recht Gelb
Milos Jojic (l.) lässt Gideon Jung über die Klinge springen. Für diese Aktion sieht der Kölner zu Recht Gelb © Bongarts/Getty Images | Stuart Franklin
Bobby Wood behauptet den Ball gegen Pawel Olkowski
Bobby Wood behauptet den Ball gegen Pawel Olkowski © WITTERS | TimGroothuis
Gideon Jung (l.) versucht Kölns Toptorjäger Anthony Modeste an der Ballkontrolle zu hindern. Im Pokal hatte das gut geklappt
Gideon Jung (l.) versucht Kölns Toptorjäger Anthony Modeste an der Ballkontrolle zu hindern. Im Pokal hatte das gut geklappt © WITTERS | TimGroothuis
Allerdings hätte Modeste in der ersten Minute beinahe per Fallrückzieher getroffen
Allerdings hätte Modeste in der ersten Minute beinahe per Fallrückzieher getroffen © WITTERS | ValeriaWitters
Kyriakos Papadopoulos (l.) war sein Trainingsunfall noch anzusehen. Der HSV-Verteidiger hatte vergangene Woche eine Platzwunde über dem Auge erlitten
Kyriakos Papadopoulos (l.) war sein Trainingsunfall noch anzusehen. Der HSV-Verteidiger hatte vergangene Woche eine Platzwunde über dem Auge erlitten © WITTERS | TimGroothuis
Seiner Kopfballstärke tat die Verletzung keinen Abbruch
Seiner Kopfballstärke tat die Verletzung keinen Abbruch © WITTERS | ValeriaWitters
HSV-Trainer Markus Gisdol (l.) und Sportchef Jens Todt konnten zuletzt mit den Leistungen zufrieden sein
HSV-Trainer Markus Gisdol (l.) und Sportchef Jens Todt konnten zuletzt mit den Leistungen zufrieden sein © WITTERS | TimGroothuis
Die Auswechselspieler Michael Gregoritsch, Gotoku Sakai, Pierre-Michel Lasogga und Albin Ekdal haben auf der Bank ihren Spaß
Die Auswechselspieler Michael Gregoritsch, Gotoku Sakai, Pierre-Michel Lasogga und Albin Ekdal haben auf der Bank ihren Spaß © WITTERS | TimGroothuis
Kölns Trainer Peter Stöger hat trotz angespannter Personallage gut lachen
Kölns Trainer Peter Stöger hat trotz angespannter Personallage gut lachen © WITTERS | TimGroothuis
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Und jetzt? Haben sich plötzlich wieder alle lieb. Was aber ist passiert? Vor allem ist die Mannschaft in Vorleistung gegangen und hat sich so das Vertrauen zurückerspielt. Seit der Schmach gegen Dortmund hat der HSV von acht Heimspielen keines mehr verloren und sechs sogar gewonnen, mehr als in der gesamten Vorsaison (fünf). Der Volkspark, am Saisonbeginn viermal nacheinander vom Gegner gestürmt, ist wieder zur Festung geworden – und das Zusammenspiel zwischen Profis und Publikum funktioniert wieder. „Unsere Fans sind sehr positiv geworden, auch wenn einmal ein Fehlpass gespielt wird“, hat Diekmeier festgestellt, „und wenn ein Zweikampf gewonnen wird, gehen sie richtig ab.“

So zum Beispiel, als Lewis Holtby in der Schlussphase des Kölner Spiels an der Auslinie zweimal zur Grätsche ausholte und prompt den Ball eroberte. Für HSV-Torhüter René Adler war es „ein brutales Zeichen an die Fans, dass wir unbedingt den Sieg wollen“.

Holtby selbst hatte auch hier nicht groß nachgedacht: „Ich habe bei den Grätschen vor meinem Tor einfach instinktiv gehandelt. Du musst immer alles geben und reinwerfen – ausruhen kannst du dich später. Diese Momente pushen die Fans.“

Das Echo von den Rängen kam prompt. Schon bei Holtbys Abseitstor in der Schlussphase bebte der Volkspark. Und als der Offensivmann dann nach 2172 Minuten erstmals wieder regulär traf, kam es zu jenem Dammbruch, von dem Trainer Gisdol später erzählte.

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Gisdol über den Müller-Schock

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    Am kommenden Dienstag (20 Uhr/Sky, Liveticker bei Abendblatt.de) nun heißt der Gegner wieder Dortmund. Und auch wenn Nicolai Müller, der 1:0-Torschütze vom Sonnabend, aufgrund eines Innenbandrisses im linken Knie womöglich bis Saisonende ausfällt, ist kaum vorstellbar, dass der HSV noch einmal so untergeht wie in der Hinrunde, in der es erst am 13. Spieltag den ersten Sieg gab. Diese Hypothek lastet weiter auf der Mannschaft, der Vorsprung auf den Relegationsplatz 16 beträgt lediglich einen Punkt. „Vor uns liegt im Abstiegskampf noch ein langer Weg“, mahnte Gisdol.

    Schon am Sonnabend (15.30 Uhr) empfängt der HSV zum Abschluss der englischen Woche dann Hoffenheim. Es wäre keine Überraschung, wenn die Hamburger auch gegen den Champions-League-Anwärter punkten sollten. „Wir müssen hier eine Macht werden, und das sind wir auch“, sagte Diekmeier. „Wenn ein Gegner in unser Zuhause kommt, muss er schon Angst haben.“

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    Matz ab nach dem 2:1 gegen Köln

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