Hamburg. HSV-Neuzugang Mergim Mavraj über seinen alten Traum von der Polizei und seinen neuen Wunsch an die Politik.

Als Mergim Mavraj in der letzten Ecke des VIP-Bereichs im Volksparkstadion auftaucht, ist das Ende des Trainings bereits mehr als 90 Minuten her. „Der Kraftraum ist ja nicht nur zur Bespaßung da“, sagt der Abwehrmann. Vor dem Heimspiel gegen Freiburg (Sa., 18.30 Uhr) soll es in dem Gespräch allerdings weniger um Mavraj, den Musterprofi, gehen als vielmehr um Mavraj, den Fast-Polizisten.

Herr Mavraj, gibt es in einer Woche mit drei Zu-Null-Siegen etwas Schöneres, als Fußballprofi zu sein?

Mergim Mavraj: Das Leben eines Fußballprofis ist generell sehr privilegiert. Darüber sollte man immer dankbar sein. Natürlich gibt es auch schwere Zeiten. Zurzeit macht es natürlich mehr Spaß. Erfolgserlebnisse erleichtern die Arbeit.

Die Frage zielte darauf ab, dass Sie unseres Wissens nach eigentlich gar nicht Fußballer werden wollten ...

Mavraj: Das stimmt, ich wollte früher nie Fußballprofi werden. Die Möglichkeit wurde mir erst spät vor Augen geführt, als Bruno Labbadia mich in Darmstadt davon überzeugt hat, dass ich doch nicht so schlecht bin (lacht). Eigentlich wollte ich nach dem Abitur immer Polizist werden. Es war alles vorbereitet. Ich wollte mir ein Jahr Zeit geben im Fußball.

Wieso Polizist?

Mavraj: Ich bin ein Junge mit Migrationshintergrund und in einer schwierigen Gegend in Seligenstadt aufgewachsen. Wir lebten in einer Arbeiterecke und mussten uns alles hart erarbeiten. Weil ich immer Probleme gesehen habe, entstand bei mir irgendwie das Bedürfnis, sie zu lösen. Als Polizist hat man die Möglichkeit, etwas zu verändern. Es hat mich gereizt, für Recht und Ordnung zu sorgen, Menschen zu helfen.

Wie weit waren Ihre Pläne fortgeschritten?

Mavraj: Ich habe zweimal ein Praktikum absolviert. In der neunten und elften Klasse für sieben Wochen in Mühlheim am Main. Als ich später in Bochum Fußballprofi war, habe ich noch ein Praktikum gemacht. Stefan Kuntz, damals unser Manager, war auch gelernter Polizist. Der hatte einen guten Draht zu den Bochumer Beamten. Er hat es dann organisiert, dass ich auf der Bochumer Wache ein paar Tage probearbeiten durfte.

Und? Was war los auf dem Revier?

Mavraj: Einiges. Besonders gut kann ich mich aber noch daran erinnern, dass ich einen Tag mit den Kollegen blitzen durfte. So kam es auch, dass ich den einen oder anderen Mitspieler mit der Laserpistole blitzte. Einmal habe ich Vahid Hashemian erwischt. Er fuhr mit Tempo 30 durch eine 70er-Zone. Ich wollte ihm direkt den Führerschein entziehen, weil er zu langsam gefahren ist (lacht).

Versetzen Sie sich manchmal in die Rolle der vielen Polizisten, die jedes Wochenende Bundesligaspiele schützen müssen?

Mavraj: Polizisten müssen schon etwas aushalten können. Und sie müssen in der Lage sein, in eskalierenden Situationen die Ruhe zu bewahren und für Ordnung zu sorgen. Ich war vor drei Wochen beim Spiel von St. Pauli gegen Stuttgart. Als ich aus dem Stadion kam, waren echt viele Polizisten auf der Straße. Irgendwo muss etwas passiert sein, weil von jetzt auf gleich zahlreiche Polizeibusse mit Blaulicht an mir vorbeifuhren. Für Außenstehende wirkt das manchmal krass, für Polizisten ist das normal. Das ist wie für einen Innenverteidiger, wenn drei Stürmer auf dich zulaufen. Du wirst nicht Polizist, wenn du mit solchen Situationen nicht umgehen kannst. Ganz allgemein finde ich aber, dass die Menschen aus den öffentlichen Diensten wie Polizisten viel zu wenig geschätzt werden. Diese Menschen müssen jeden Tag mit sehr viel Verantwortung umgehen.

Sie könnten ein Zeichen setzen und bei den Fans für die Polizisten eine Lanze brechen.

Mavraj: Es geht nicht darum, auf welcher Seite man steht. Wir sind alle Menschen. Polizisten führen nur ihre Arbeit aus, eine Arbeit, die jedem zugute kommt. Auch den Fans, die sie nicht mögen. Es geht um Menschlichkeit. Ob du in der Kurve stehst oder den Schutzanzug anhast. In Deutschland gehen Fans und Polizisten in der Regel sehr friedlich miteinander um. Ich höre nicht oft von Vorfällen wie in Dortmund.

Zuletzt hat es leider nicht nur in Dortmund gekracht. Besonders viel wurde allerdings über zahlreiche Fanplakate mit beleidigenden Statements oder politischen Botschaften diskutiert. Wie war Ihre Meinung dazu?

Mavraj: Wir leben in einer Demokratie mit Meinungsfreiheit. Es geht aber immer um das richtige Maß. Menschen müssen respektiert werden. Alles hat Grenzen.

Ist es ratsam, als Fußballer seine politische Meinung zu vertreten?

Mavraj: Wenn jeder immer rausposaunt, was ihm auf der Zunge liegt, ist das nicht gut. Es sollte aber auch niemand nichts sagen. Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, tragen mehr Verantwortung für die Gesellschaft. Ich finde es nicht verwerflich, wenn Fußballer zu bestimmten Themen ihre Meinung sagen.

Wie äußern Sie Ihre politische Haltung?

Mavraj: Ich bin ein weltoffener Mensch. Ich bin Albaner, ich bin Moslem, stehe auch dazu und bin stolz drauf. Es ist wichtig, dass ich mich dazu äußere. So, wie ein Friseur nicht nur über Haare reden sollte, sollte ein Fußballer nicht nur über Fußball reden dürfen.

Sie sind gebürtiger Deutscher. Fühlen Sie sich trotzdem mehr als Albaner?

Mavraj: Ich bin Albaner, insbesondere meine Mentalität. Aber ich denke deutsch, habe hauptsächlich deutsche Freunde, mein Leben ist überwiegend deutsch. Mein Mittelpunkt ist aber der Islam. Er gibt mir die Richtung vor. Zusammenfassend könnte man sagen, ich bin ein albanischer Diplomat (lacht).

Wie denken Sie über Albaner, die nach Deutschland kommen und als Wirtschaftsflüchtlinge betitelt werden?

Mavraj: In Köln war ich bei diesem Thema sehr engagiert. Ich kann die Haltung von Deutschland schon verstehen. Als Staat wie Deutschland ist es nicht leicht, da einen guten Weg zu finden. Wenn du bereit bist zu arbeiten und etwas zu erreichen, kannst du es auch in Ländern wie Albanien schaffen. Ich habe aber auch mit Flüchtlingsfamilien zu tun, die kranke Kinder haben und in Albanien an ihre Grenzen stoßen, weil die medizinische Versorgung nicht gewährleistet ist. Da kann ich verstehen, dass diese Familien nach Deutschland kommen.

Die HSV-Transfers 2016/17:

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Er war der erste Neuzugang des HSV: US-Nationalspieler Bobby Wood kommt für 3,5 Millionen Euro vom Zweitligisten Union Berlin © Imago
In Hamburg trägt der 23-jährige Stürmer die Nummer 7
In Hamburg trägt der 23-jährige Stürmer die Nummer 7 © Witters
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Christian Mathenia soll den Kasten im Volkspark sauber halten - sofern er René Adler verdrängt © Witters
Der 24-Jährige kommt mit der Empfehlung des sensationellen Klassenerhalts mit Darmstadt 98 an die Elbe
Der 24-Jährige kommt mit der Empfehlung des sensationellen Klassenerhalts mit Darmstadt 98 an die Elbe © WITTERS | FrankPeters
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Und noch einer aus Hessen: Stürmer Luca Waldschmidt verließ die Frankfurter Eintracht, um in Hamburg seinen Bundesliga-Durchbruch zu schaffen © Witters
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Rund 1,3 Millionen Euro werden für den deutschen U-20-Nationalspieler fällig © Witters
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Ohne Ablöse wurde Bakery Jatta an den HSV gebunden © Witters
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Bis zur ersten Vertragsunterschrift seines Lebens musste der Flüchtling aus Gambia noch seinen 18. Geburtstag abwarten © Witters
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Bei Alen Halilovic blieb Dietmar Beiersdorfer hartnäckig und wurde vom FC Barcelona für eine Zahlung von fünf Millionen Euro mit einem Vierjahresvertrag belohnt. Allerdings sicherten sich die Katalanen eine Rückkaufoption für den 20-Jährigen © Witters
Dass Halilovic großes Selbstbewusststein besitzt, demonstrierte er gleich am ersten Tag: Zielgerichtet schnappte sich der kroatische Nationalspieler die Nummer 23, die beim HSV zuvor Rafael van der Vaart geprägt hatte
Dass Halilovic großes Selbstbewusststein besitzt, demonstrierte er gleich am ersten Tag: Zielgerichtet schnappte sich der kroatische Nationalspieler die Nummer 23, die beim HSV zuvor Rafael van der Vaart geprägt hatte © Witters
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Im Winter war es mit der Herrlichkeit des Talents allerdings vorerst vorbei – Halilovic zog bis Saisonende zu UD Las Palmas weiter © Witters
Königstransfer Filip Kostic, 23, wird den HSV bis zu 14 Millionen Euro kosten
Königstransfer Filip Kostic, 23, wird den HSV bis zu 14 Millionen Euro kosten © Witters | Valeria/Witters
Bis der serbische Flügelflitzer endlich unterschreiben konnte, spielte Beiersdorfer einen zähen Transferpoker mit dem VfB Stuttgart und dem vorigen Besitzer FC Groningen
Bis der serbische Flügelflitzer endlich unterschreiben konnte, spielte Beiersdorfer einen zähen Transferpoker mit dem VfB Stuttgart und dem vorigen Besitzer FC Groningen © Witters
Ebenfalls neu an Bord: Douglas Santos. Der Linksverteidiger kostet zehn Millionen Euro Ablöse, wovon sieben Millionen an Atlético Mineiro gehen
Ebenfalls neu an Bord: Douglas Santos. Der Linksverteidiger kostet zehn Millionen Euro Ablöse, wovon sieben Millionen an Atlético Mineiro gehen © WITTERS | TayDucLam
Douglas Santos unterschrieb einen Fünfjahresvertrag beim HSV
Douglas Santos unterschrieb einen Fünfjahresvertrag beim HSV © HA
Im Winter rüstete der HSV noch einmal auf – als erster kam Mergim Mavra für 1,8 Millionen Euro vom 1. FC Köln
Im Winter rüstete der HSV noch einmal auf – als erster kam Mergim Mavra für 1,8 Millionen Euro vom 1. FC Köln © Witters
Der albanische Nationalspieler soll die Innenverteidigung gemeinsam mit Kyriakos Papadopoulos (l.) stabilisieren
Der albanische Nationalspieler soll die Innenverteidigung gemeinsam mit Kyriakos Papadopoulos (l.) stabilisieren © Imago/Sven Simon
Der Grieche stieß leihweise von RB Leipzig nach Hamburg und war der erste Transfer des neuen Sportchefs Jens Todt
Der Grieche stieß leihweise von RB Leipzig nach Hamburg und war der erste Transfer des neuen Sportchefs Jens Todt © Witters
Kurz vor Ende der Wintertransferperiode schlug der HSV noch einmal auf dem Markt zu und verpflichtete den brasilianischen Sechser Walace für knapp 10 Millionen Euro
Kurz vor Ende der Wintertransferperiode schlug der HSV noch einmal auf dem Markt zu und verpflichtete den brasilianischen Sechser Walace für knapp 10 Millionen Euro © Witters | ValeriaWitters
Der 21-Jährige (l.) kommt mit der Empfehlung eines Olympiasiegs nach Hamburg
Der 21-Jährige (l.) kommt mit der Empfehlung eines Olympiasiegs nach Hamburg © Imago/GEPA Pictures
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Auch Ihren Vater, der vor mehr als 40 Jahren nach Deutschland kam, würde man heute wohl als Wirtschaftsflüchtling bezeichnen.

Mavraj: Mein Vater, der leider vor zwei Jahren gestorben ist, kam tatsächlich zunächst als Wirtschaftsflüchtling, wenn man so will. Er ist in Albanien ohne Eltern aufgewachsen und konnte sich dort das Studium nicht finanzieren. Er ist hierhergekommen, um zu arbeiten, Geld zu verdienen und dann wieder zurückzugehen, um sich das Studium zu leisten. Er hat dann in Albanien geheiratet und ist mit der Familie nach Deutschland zurückgekommen, bevor der Krieg so richtig ausgebrochen ist. Also war er dann ein Kriegsflüchtling.

Die Flüchtlingsthematik wird uns wohl noch sehr lange beschäftigen.

Mavraj: Das stimmt – und daran sind wir natürlich auch selbst schuld. Europäische und amerikanische Staaten haben lange Zeit kolonialisiert, vor allem in Afrika, und so verhindert, dass die Länder sich dort entwickeln konnten. Die Menschen arbeiten dort auf Kakaoplantagen, wissen aber nicht, wie Schokolade schmeckt. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Menschen hierherkommen wollen, wo der Lebensstandard so hoch ist. Und wir sollten uns noch viel weniger beschweren, wenn wir Waffen exportieren und die Menschen aus den Kriegsgebieten dann zu uns flüchten.

Ist es für Sie noch wichtiger, in Zeiten von Trump und AfD Zeichen zu setzen?

Mavraj: Diese Themen gab es doch schon immer und überall. Es ist Eigenverantwortung gefragt. Man muss sich mit diesen Themen beschäftigen. Wenn jeder über den Tellerrand schaute, würde man zum Beispiel die Türkei auch nicht einfach nur als billiges Urlaubsland begreifen.

Gehen Sie in diesem Jahr wählen?

Mavraj: Ja klar.

Verraten Sie auch, wen Sie wählen?

Mavraj: Ich dachte immer, das wäre eine geheime Wahl. (lacht) Aber ich weiß es ehrlich gesagt noch gar nicht. Ich weiß nur, dass ich in jedem Fall wählen gehe. Und das gleich doppelt. In Albanien sind ja auch Wahlen.

Könnten Sie sich vorstellen, nach der Karriere Politiker zu werden? Oder Polizist?

Mavraj: Der Polizeizug ist dann leider abgefahren. Die Höchstgrenze für den gehobenen Dienst liegt bei 31 Jahren. Aber Politiker zu werden wäre cool. Da hätte ich Lust drauf. Wenn du etwas verändern willst, musst du selbst etwas tun.