Sie spielten zusammen beim HSV und standen dann unter der Nazi-Diktatur auf zwei Seiten: KZ-Aufseher der eine, KZ-Häftling der andere.
Zwei Freunde, neun Jahre zusammen Fußball gespielt, Meister geworden, Lieblinge der Hamburger Massen. Dann landet einer als Widerstandskämpfer im KZ, der andere macht bei Hitlers SS Karriere. Ein Stoff für Hollywood, doch aufgearbeitet haben die Geschichte Hamburger Schüler. Und die kämpfen jetzt darum, nach dem vergessenen Nazi-Opfer eine Straße zu benennen.
Wem die Ehre zuteil werden soll? Asbjørn Halvorsen, ab den 1920er-Jahren einer der besten Fußballspieler Norwegens. Sein Beruf als Schifffahrtsmakler verschlägt ihn 1921 nach Hamburg. Ein Jahr später steht er beim HSV unter Vertrag und wird mit diesem zweimal deutscher Meister. In den Anfangsjahren spielt er parallel für die norwegische Nationalmannschaft.
Mit Mitte 30 beendet er seine Karriere und kehrt in sein Heimatland zurück, wo er fortan die norwegische Nationalelf trainiert. In dieser Position gelingt ihm einer der bis heute größten Erfolge der norwegischen Fußballgeschichte: 1936 wirft sein Team Deutschland bei den Olympischen Spielen im Viertelfinale mit 2:0 aus dem Turnier und gewinnt später die Bronzemedaille. Hitler soll noch vor Abpfiff wütend aus dem Stadion gestürmt sein.
Halvorsen schließt sich einer Widerstandszeitung an
Als die deutsche Wehrmacht 1940 in Norwegen einfällt, beginnt Halvorsens Leidensweg. Zu dieser Zeit ist er Funktionär beim norwegischen Fußballverband. Den Anweisungen der Besatzer widersetzt er sich zusammen mit den anderen Verbandsmitgliedern. Zudem schließt sich Halvorsen einer Widerstandszeitung an, was der Grund für seine spätere Verhaftung gewesen sein soll.
Eine Odyssee durch verschiedene Konzentrationslager beginnt: Grini bei Oslo, Natzweiler im französischen Elsass, Neuengamme bei Hamburg – seine letzte Station ist das Lager im württembergischen Vaihingen, ein Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof. Während seiner Gefangenschaft soll er sich für seine Mithäftlinge eingesetzt haben. Wann genau er befreit wurde, ist nicht überliefert. Bekannt ist aber, dass er sich am 14. April 1945 im schwedischen Malmø aufhält, noch vor der Befreiung Norwegens am 8. Mai 1945. Dort registrieren ihn die Behörden offiziell als Asylbewerber, für Halvorsen die Rettung im letzten Moment. Die Folgen der Qualen in der Haft überlebt er knapp, aber er erholt sich nie richtig davon.
Nach einem kurzen Behandlungsaufenthalt in Schweden kehrt er nach Norwegen zurück und wird dort zum Generalsekretär des norwegischen Fußballverbands berufen. In dieser Funktion setzte er sich vor allem für die Schaffung eines nationalen Ligasystems ein. Er stirbt am 16. Januar 1955 mit nur 56 Jahren auf einer Dienstreise im norwegischen Narvik – an den Spätfolgen der unmenschlichen Haft.
Als Kriegsverbrecher verurteilt, dann gefeiert
Seinen Freund aus HSV-Tagen, Otto „Tull“ Harder, der in den 1920er-Jahren Jahren enorme Popularität genießt, führt sein Weg ebenfalls nach Neuengamme. Allerdings als Aufseher. Möglicherweise waren die beiden zur selben Zeit dort. Dass sie einander im KZ begegnet sind, dafür liegen keine Belege vor. Harder, der sich bereits als aktiver HSV-Spieler häufig als glühender Nationalist äußerte, tritt 1932 der NSDAP bei. Kurz darauf wird er SS-Offizier. 1947 wird er schließlich als Kriegsverbrecher zu 15 Jahren Haft verurteilt, die später auf zehn Jahre verkürzt werden. Er kommt jedoch schon nach viereinhalb Jahren frei. Seine anschließenden Auftritte beim HSV werden stürmisch gefeiert. Er stirbt am 4. März 1956 in Hamburg. Sein Sarg schmückt die Vereinsfahne – HSV-Jugendspieler stehen Spalier.
Ein konfliktreiches Thema, mit dem sich die 24 Schüler des politisch-geschichtlichen Oberstufenprofils der Heinrich-Hertz-Schule in Winterhude ein Jahr lang befassen.
Die Idee stammt von Klassenlehrer Jürgen Kowalewski. „Ich will die Bedeutung von Politik und Geschichte erfahrbar machen“, sagt er. Er habe über das Thema gelesen, und ihn reizte die Gegenüberstellung der zwei unterschiedlichen Lebensentwicklungen. „Daran lässt sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts verdeutlichen.“
Die Stationen aus dem Leben der beiden ungleichen Männer sind auf mehrere Kleingruppen verteilt. Die Umbenennung einer Straße nach Asbjørn Halvorsen, wenn möglich in der Nähe des Volksparkstadions, ist Teil des Projekts. Ausgeguckt haben sich die Schüler den Hellgrundweg, der in unmittelbarer Stadionnähe verläuft. Dass vor allem die Umbenennung von Straßen ein langfristiger und nicht zwingend erfolgsversprechender Prozess ist, haben die Schüler bereits erfahren. „In Neubaugebieten ist es einfacher“, sagt Felix von Rönne (17), der zusammen mit zwei Mitschülern für das Projekt Straßenumbenennung zuständig ist. Das Hauptargument gegen die Umbenennung seien die Anwohner, die dadurch eine neue Adresse bekommen würden. „Vor allem für Firmen ist das problematisch“, sagt Enno Isermann, Pressesprecher der Kulturbehörde. Ein Abschnitt des Hellgrundwegs ist jedoch frei von Hausnummern. Diesen Teil haben die Schüler ins Auge gefasst.
Warum Halvorsen nicht in Vergessenheit geraten sollte? „Er gehört zu Hamburgs Geschichte, und an seinen Leidensweg wurde noch nicht wirklich erinnert“, sagt Anne Bester (18), die ebenfalls an dem Projekt mitarbeitet. Ziel einer Klassenreise war natürlich Norwegen, um sich „auf Halvorsens Spuren zu begeben“, sagt von Rönne. Zwar sei der Herbst nicht die optimale Reisezeit gewesen, doch „Norwegen hat perfekt zum Thema gepasst, und wir haben mit vielen interessanten Leuten gesprochen.“
Nach dem Nazi-Opfer soll eine Straße benannt werden
Ein Jahr, ein Thema, vier Stunden die Woche – dafür sollte man sich begeistern. Rönne fällt das nicht schwer. Er ist HSV-Fan. „Ich möchte viel über die Geschichte meines Lieblingsvereins lernen“, sagt er. Anne Bester befürchtete, dass sich der Kurs nur um Fußball drehen würde. Das sei aber nicht der Fall. „Fußball war eigentlich nur Nebensache. Ich habe es mir schlimmer vorgestellt.“
In ihrem Vorhaben der Straßenumbenennung können die Schüler bereits einen Erfolg verzeichnen. Im Kulturausschuss der Bezirksversammlung Altona stellten sie ihr Projekt vor und stießen dort auf positive Resonanz. „Ich finde es toll, wie sie das aufgearbeitet haben“, sagt Liane Melzer, Bezirksamtsleiterin in Altona. „Der Vorschlag wird von allen Seiten unterstützt, aber so was dauert.“ Umbenennungen fänden vor allem dann statt, wenn eine Straße nach einer Person mit NS-Vergangenheit benannt ist. Die Chancen bei einer Straße in einem Neubaugebiet stehen deshalb besser.
Auch vonseiten des HSV können die Schüler auf Unterstützung zählen. „Wir begrüßen das Vorhaben sehr“, sagt Niko Stövhase, Leiter des HSV-Museums. 2007 widmete sich der Verein der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit mit der Sonderausstellung „Die Raute unterm Hakenkreuz“. Auch Harder und Halvorsen waren Teil davon.
Obwohl ihr Projekt große Zustimmung erfährt, hoffen die Schüler, dass auch Taten folgen werden und die Umsetzung nicht allzu lange dauert. „Es wäre schön, einen Schritt weiterzukommen, solange wir noch zur Schule gehen“, sagt Anne Bester. Dann wäre noch ein halbes Jahr Zeit, denn im kommenden Frühjahr steht ihr Abitur an. Bis dahin wollen sie weiterkämpfen, sagt Felix von Rönne, denn „Halvorsen hat ein wichtiges Zeichen gegen den Nationalsozialismus gesetzt. Solche Helden dürfen nicht vergessen werden.“