Hamburg. In Mönchengladbach spielt der HSV erstmals im komplett neuen Trikotsatz, der alle Verkaufsrekorde bricht.

Wenn man es genau nimmt, dann dreht sich die ganze Geschichte nur um ein Stück Stoff. Ein rosafarbenes Stück Stoff. Oder besser: shock-pink, so hat Ausrüster Adidas die Kreation getauft, die der HSV an diesem Sonnabend (15.30 Uhr/Sky) erstmals in kompletter Montur (Trikot, Hose, Stutzen) in Mönchengladbach ausprobiert. Nach sechs Spielen ohne Sieg braucht der HSV einen neuen Hoffnungsträger – einen 170 Gramm schwerer Hoffnungsträger aus 100 Prozent Polyester, so teuer wie ein Drei-Gänge-Menü für zwei Personen im Atlantic-Hotel.

Doch pink ist die Hoffnung. Zumindest für den HSV, der schon vor der Saison so kräftig wie noch nie die Werbetrommel für das neue Auswärtstrikot gerührt hat. Stolze 84,90 Euro kostet das neue Stück Stoff. Nackt. Ohne DFL-Logo. Und ohne Schriftzug eines Spielers auf dem Rücken. Anhänger, die nicht auf Namen und Logo verzichten wollen, müssen sogar aberwitzige 97,45 Euro zahlen. Immerhin: Zumindest in Sachen Preispolitik liegt das Tabellenschlusslicht der Liga somit auf einem Europa-League-Platz. Über das teuerste Trikot der Bundesliga dürfen sich die Fans von Schalke freuen. 105,50 Euro kostet die Preis-Meisterschaft, auf die Schalkes Anhänger auf den Rasen schon seit mehr als 50 Jahren warten. Am günstigsten kommen Freiburgs Fans weg. Gerade einmal 84,95 Euro kostet das eher unspektakuläre Hummel-Trikot des Aufsteigers. Tutto kompletto.

Wer wissen will, was unter dem Strich beim Club bleibt, der sollte lieber nicht beim Ausrüster oder beim Club fragen. Viel, sagen die einen. Viel zu wenig, sagen die anderen. Doch wer es genau wissen will, der sollte Peter Rohlmann aus dem unabhängigen Beratungsbüro PR Marketing fragen.

Großes Geschäft ist Trikotverkauf nicht

„Für die Fans ist die Preisentwicklung schon hart. 97,45 Euro ist natürlich ein sehr stolzer Preis“, sagt Rohlmann, der sich seit 20 Jahren mit strategischen Marketingfragestellungen in Sport und Wirtschaft befasst. Der Dozent gilt in Deutschland als einer der führenden Experten in Sachen Merchandising und Markenbildung. Seit 19 Jahren bringt sein Beratungsbüro einmal jährlich einen Fußball-Fanartikelbarometer heraus – und obwohl das pinke HSV-Trikot laut Rohlmann aus Imagegründen ein echter Erfolg sei, würde unter dem Strich trotzdem nicht viel beim Club übrig bleiben.

„Ein richtig großes finanzielles Geschäft ist der Trikotverkauf für einen Fußballclub nicht“, sagt der 67 Jahre alte Sympathisant vom 1. FC Köln – und rechnet vor: Bei einem Trikotpreis von 85 Euro würde der HSV im Fall eines Verkaufs im Fachhandel lediglich eine Lizenzgebühr von rund 5,10 Euro pro Trikot zustehen. Der Rest gehe für den Vertrieb (2,02 Euro), das Marketing (2,39 Euro), Herstellung und Transport (8,23 Euro), Umsatzsteuer (13,57 Euro) dem Rohgewinn von Adidas (16,26 Euro) und dem Deckungsbeitrag des Einzelhandels (37,43 Euro/alle Preise sind Näherungswerte) drauf. Verkauft der HSV das Trikot im eigenen Fanshop, bliebe dem Club immerhin etwas mehr: „Wenn man alle Kosten abzieht, dann bleiben dem Club bei einem Trikotpreis von 85 Euro ein Reingewinn von ungefähr acht Euro“, sagt Rohlmann.

Trikot steht für einen Neuanfang

Etwas mehr sei es schon, behauptet Joachim Hilke, Marketing-Vorstand des HSV. Kommerziell sei das Trikot ein Erfolg, doch auch unabhängig von den Zahlenspielereinen sei er „total happy“ mit dem zu diesem Zeitpunkt „bestverkauften HSV-Auswärtstrikot aller Zeiten.“ Zuletzt war die Rede von 15.000 verkauften Trikots im eigenen Fanshop, dazu noch rund 30.000 im Einzelhandel. Die derzeitigen Topseller heißen Halilovic, Kostic und Holtby. Zum Vergleich: In der vergangenen Saison sollen insgesamt nur 65.000 HSV-Trikots verkauft worden sein, der Rekord von mehr als 100.000 Hemden stammt noch aus der van-der-Vaart-Spielzeit 2005/06.

„Das pinke Trikot steht für einen Neuanfang“, sagt Hilke, der auch drei seinen vier Kindern ein shock-pinkes Jersey mit den Namenszügen von Kostic, Holtby und Dennis Diekmeier geschenkt hat. Nur seine 18 Jahre alte Tochter, die in Köln studiert, müsse noch zwei Wochen warten. Dann würde auch sie den Verkaufsschlager, nigelnagelneu, tailliert, extra für Damen („Man muss ja für neue Nachfrage sorgen“) bekommen. Papa Hilke frohlockt: Das pinke Trikot sei lifestylig, hipp und würde zeigen, dass der Club nach vorne denke.

Idee gab es schon länger

Dabei dachte man bei der Entwicklung des Trikots zunächst einmal nach hinten. Das jedenfalls gibt Jürgen Rank zu, der Farbe und Schnitt des Trikots bereits vor zwei Jahren vorschlug. „Die Idee, wieder ein HSV-Trikot in Pink zu entwerfen, geisterte schon länger durch unser Design-Büro“, sagt der Adidas-Chefdesigner, der sich vor allem von einem Foto inspirieren ließ: „Immer wieder schauten wir uns das berühmte Foto aus dem Jahr 1977 vom HSV-Spiel gegen Barcelona an. Darauf sieht man Kevin Keegan im pinken Trikot selbstbewusst in die Menge grüßen, im Hintergrund die katalanischen Spieler , die etwas geringschätzig zu schmunzeln scheinen.“ Angesichts der Verkaufszahlen sind es heute die Verantwortlichen von Adidas, die nicht nur schmunzeln, sondern geradezu grinsen. Denn während eine Näherin in Kambodscha rund 15 Cent pro Trikot erhalten soll, darf sich der Sportartikelriese aus Herzogenaurach über einen Gewinn von mehr als 15 Euro freuen. „Hierzu können wir keine Angaben machen“, lautet die Adidas-Antwort auf Nachfrage des Abendblatts.

Sehr viel mehr Angaben macht Peter Rohlmann. „Die Marketingabteilungen von Adidas und vom HSV haben gute Arbeit geleistet“, lobt der Experte, der nicht lange um den heißen Brei herumredet: „Trikots werden gemacht, damit sie verkauft werden.“ Das sei bereits seit der Einführung der festen Rückennummern 1995 so. „Mittlerweile ist das eine regelrechte Vertriebsmaschine“, sagt der Dozent, der an der Fachhochschule Schmalkalden und am Institut für Talententwicklung in Düsseldorf doziert. In den vergangenen zehn Jahren habe sich der Verkauf von Bundesligatrikots sogar mehr als verdoppelt. So wurden aus 1,2 Millionen verkaufen Trikots (2005/06) bis zur vergangenen Saison 2,8 Millionen verkaufte Trikots. Für den kommerziellen Erfolg sei laut Rollmann aber vor allem ein Erfolgsrezept wichtig: „Man muss auch um das Trikot herum eine Story entwickeln.“

Die HSV-Story ist simpel: 1977 gewannen die Hamburger in rosa den Europapokal – und an diese Zeiten würde der dauerkriselnde Club auch in der tristen Gegenwart gerne anknüpfen: „Die Farbe weckt Erinnerungen an erfolgreiche Zeiten,“ sagt Adidas-Mann Rank.

Nach sechs sieglosen Spielen in Folge ist es nun aber an der Zeit, dass nicht nur die Farbe des Trikots an erfolgreiche Zeiten erinnert.