Hamburg. Als Spieler schaffte es der neue HSV-Trainer zwar nur bis zur Oberliga. Als Fußballlehrer ist Gisdol aber äußerst ambitioniert.

Um 13.34 Uhr ging im ersten Stock des Volksparkstadions die Tür auf, die sich in den vergangenen Jahren beim HSV schon so oft geöffnet und wenig später wieder geschlossen hatte. Pressekonferenzraum. Trainervorstellung. Mal wieder. „Ich begrüße unseren neuen Trainer“, sagt Mediendirektor Jörn Wolf, der diesen oder einen ähnlichen Satz in den vergangenen sieben Jahren 13-mal sagen musste. Zu seiner Rechten: Clubchef Dietmar Beiersdorfer, müde, grauer Anzug, graues Gesicht. Zu seiner Linken: Neu-Trainer Markus Gisdol, aufgeweckt, dunkelblaues Outfit, dunkelroter Kopf.

Kommentar: Gisdol hat nur einen einzigen Auftrag

„Ich habe wenig geschlafen, aber ich fühle mich gut“, sagt dieser Gisdol, der erst am Vorabend in Hamburg-Fuhlsbüttel gelandet war und noch bis ein Uhr nachts mit HSV-Chef Beiersdorfer zusammengesessen hatte. Bereits am Telefon hätten sie zuvor die Rahmendaten ihrer zukünftigen Zusammenarbeit geregelt, sagt der Vorstandsvorsitzende, der bekräftigte, dass er dem Nachfolger des beurlaubten Bruno Labbadias gerne einen Zweijahresvertrag angeboten, Gisdol aber auf einen Vertrag nur bis zum Saisonende bestanden hätte. „Für mich ist die Vertragslaufzeit völlig irrelevant“, sagt Gisdol, der auch die Gerüchte kennen dürfte, dass die HSV-Verantwortlichen bereits nach dem enttäuschenden Saisonstart gegen Ingolstadt (1:1) überlegt hatten, einen Zwischentrainer bis zum Saisonende zu verpflichten. Oder wie es Beiersdorfer seinerzeit beim erfolglosen Labbadia-Vor-Vorgänger Joe Zinnbauer formuliert hatte: einen „Bis-auf-Weiteres-Trainer“.

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    Gisdol war talentierter Oberligaspieler

    Nun also der „Bis-auf-Weiteres-nicht-bis-auf-Weiteres-Trainer“ Gisdol. 47 Jahre alt, 1,84 Meter groß, geboren in Geislingen an der Steige in Baden-Württemberg. 85 Bundesligaspiele als Coach, als aktiver Profi ein talentierter Oberligaspieler in Geislingen, Reutlingen, Pforzheim und bei der SpVgg Au/Iller. Er habe riesige Lust, „diese große Herausforderung HSV“ anzunehmen, sagt der frühere Hoffenheimer – und strahlt. „Ich habe mich bewusst und voller Überzeugung für Hamburg entschieden. Ich bin überzeugt von der besonderen Stahlkraft des HSV. Da musste ich nicht lange überlegen.“ Ein kurzer Blick in den bis auf den letzten Platz gefüllten Presseraum. „Mal ehrlich“, platzt es aus ihm heraus. „Hamburg ist ein Brett. Der HSV ist ein wahnsinnig geiler Club.“

    Das ist Markus Gisdol

    Geboren

    17. August 1969 in Geislingen

    Stationen als Spieler

    1987 – 1990 SC Geislingen1990 – 1992 SSV Reutlingen1992 – 1993 SC Geislingen1993 – 1994 1. FC Pforzheim 1994 – 1995 SpVgg Au/Iller

    Stationen als Trainer

    1997 – 1999 TSG Salach2000 – 2002 FTSV Kuchen2002 – 2005 SC Geislingen2005 – 2007 VfB Stuttgart (Nachwuchs)2007 - 2007 SG Sonnenhof/Großaspach2008 – 2009 SSV Ulm 18462009 – 2011 TSG 1899 Hoffenheim II2011 – 2012 FC Schalke 04 (Co-Trainer)2013 – 2015 TSG 1899 Hoffenheim2016 - Hamburger SV

    Größter Erfolg als Trainer

    2012/13: Rettung TSG 1899 Hoffenheim in der Relegation gegen den 1. FC Kaiserslautern vor dem Abstieg aus der Fußball-Bundesliga

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    Nun hat natürlich auch Markus Gisdol mitbekommen, dass dieser „wahnsinnig geile Club“ in den vergangenen Tagen, Wochen, Monaten und Jahren vor allem wahnsinnig enttäuschte. In der laufenden Saison heißt das in Zahlen: fünf Spiele, kein Sieg, ein Punkt und nur zwei geschossene Tore. In der – zugegebenermaßen nur bedingt aussagekräftigen – Tabelle bedeutet das: Platz 17. „Natürlich ist das eine sehr herausfordernde Situation“, sagt Gisdols Sitznachbar Beiersdorfer mit ernster Miene. „Ich will nicht von Abstiegskampf sprechen. Aber wir müssen jetzt alles dafür tun, dass wir nicht bald davon sprechen müssen.“

    Kommentar: Marcus Scholz zu Markus Gisdol

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      Fans begrüßen Gisdol herzlich

      Gesagt, getan. Gut zwei Stunden später. Trainingsplatz hinter der Arena. Gisdol geht als Letzter die Treppe zum Rasen herunter. Es geht abwärts, damit es schon bald wieder aufwärts gehen kann. „Wir wollen uns Stück für Stück entwickeln“, sagt Gisdol, der einen freundlichen Willkommens-Applaus der zahlreichen Trainingskiebitze erhält. „Auf geht’s“, sagt er.

      Der Fußballlehrer, so erzählt man es sich jedenfalls, soll ein überzeugter Schüler der sogenannten „Stuttgarter Schule“ sein. Als Lehrmeister gilt der Stuttgarter Helmut Groß, heutige Taktikfanatiker wie Gisdol, Thomas Tuchel, Joachim Löw oder Ralf Rangnick waren seine Schüler. Die Philosophie in wenigen Worten zusammengefasst: Es geht vor allem um ein offensives Verteidigen, den Ball früh erobern und dann auf kürzestem Weg in Richtung Tor. „Wir wollen am liebsten auch immer den Ball haben, aber vor allem wollen wir ihn so schnell wir möglich zurück haben, wenn wir ihn verlieren“, erklärte Gisdol mal ausführlich in einem Interview mit „Spiegel-Online“. „Wir versuchen, auf dem Feld ein Netz aufzubauen, sodass im Falle des Ballverlusts sofort das Gegenpressing starten kann. Theoretisch könnten wir den Ball auch einfach dem Gegner schenken, indem wir ihn Richtung Eckfahne spielen. Sobald er offensiv denkt, packen wir zu.“

      Alle HSV-Trainer in der Bundesliga:

      Alle HSV-Trainer in der Bundesliga

      Markus Gisdol (seit 25. September 2016)
      Markus Gisdol (seit 25. September 2016) © Witters
      Bruno Labbadia (15. April 2015 bis 25. September 2016)
      Bruno Labbadia (15. April 2015 bis 25. September 2016) © Witters
      Peter Knäbel (22. März bis 14. April 2015)
      Peter Knäbel (22. März bis 14. April 2015) © Witters
      Josef
      Josef "Joe" Zinnbauer (16. September 2014 bis 22. März 2015) © Witters
      Rodolfo Cardoso (17. bis 24. September 2013)
      Rodolfo Cardoso (17. bis 24. September 2013) © WItters
      Torsten Fink (17. Oktober 2011 bis 16. September 2013)
      Torsten Fink (17. Oktober 2011 bis 16. September 2013) © WITTERS/Witters Sport-Presse-Fotos | WITTERS
      Michael Oenning (13. März bis 19. September 2011)
      Michael Oenning (13. März bis 19. September 2011) © REUTERS | REUTERS
      Armin Veh (1. Juli 2010 bis 13. März 2011)
      Armin Veh (1. Juli 2010 bis 13. März 2011) © Getty | Bongarts/Getty Images
      Ricardo Moniz (26. April bis 30. Juni 2010)
      Ricardo Moniz (26. April bis 30. Juni 2010) © Bongarts/Getty Images/Getty | Bongarts/Getty Images
      Bruno Labbadia (1. Juli 2009 bis 26. April 2010)
      Bruno Labbadia (1. Juli 2009 bis 26. April 2010) © Bongarts/Getty Images/Getty | Bongarts/Getty Images
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      Intensive erste Trainingseinheit

      Nun, den Ball einfach so dem Gegner schenken hat in dieser Spielzeit schon einmal ganz gut geklappt, jetzt gilt es am Rest zu arbeiten. „Die Grundidee von damals habe ich noch immer“, sagt Gisdol, der bereits im ersten anderthalbstündigen Training Gegenpressing, Über- und Unterzahlspiel sowie schnelle Balleroberungen einstudieren lässt. Wie lange es dauern werde, bis sein Konzept erkennbar sei? Gisdol zögert. „Das kann ich nicht sagen“, antwortet der Coach, der im ersten Training vor allem seine Assistenten Frank (Fröhling) und Frank (Kas­pari) machen lässt. „Wir legen aber sofort mit der Theorie los.“

      Der erste Praxistest ist bereits für diesen Sonnabend angesetzt. Berlin. Olympiastadion. 15.30 Uhr. Der Gegner: Die Hertha. „Ich will die Mannschaft auf Vordermann bringen“, sagt Gisdol .

      Chefvisite #39: Geheimtreffen mit Bruno Labbadia

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