Laax. Der Youngster Porath will im HSV-Mittelfeld nach Holtbys Schlüsselbeinbruch mehr als eine Notlösung sein. Labbadia hält viel von ihm.
Als sich die Nachricht herumgesprochen hatte, saß Finn Porath gerade auf seinem Zimmer. Es war Freitagabend, 18.30 Uhr. Die HSV-Profis kamen gerade von der gemeinsamen Mountainbiketour, als auch Porath mitbekam, dass sich Lewis Holtby bei einem Sturz vom Fahrrad schwer verletzt hatte. Schlüsselbeinbruch, Operation, zwei Monate Pause.
„Das ist brutal. Mir tut es wahnsinnig leid für Lewis“, sagte Porath am Tag danach im Gespräch mit dem Abendblatt. Der 19 Jahre junge Mittelfeldspieler war bei der Bergtour nicht dabei, weil er nach einem Kahnbeinbruch noch eine Schiene an der linken Hand trägt. Auch mit schweren Schulterverletzungen kennt sich Porath aus. Es ist noch nicht lange her, da zog er sich eine Sprengung des Schultereckgelenks zu. „Ich weiß, wie sich Lewis jetzt fühlt mit der Verletzung“, sagt Porath, der in Graubünden zum zweiten Mal in Folge in einem Trainingslager der HSV-Profis dabei ist.
Auch Trainer Bruno Labbadia war am Wochenende mit den Folgen des Holtby-Schocks beschäftigt. Der 25-Jährige war in der Schweiz der einzige gestandene Spieler, der für die beiden Positionen im defensiven Mittelfeld zur Verfügung stand. Der Schwede Albin Ekdal ist nach der EM noch zwei Wochen im Urlaub, Gideon Jung leidet weiterhin an Rückenproblemen, und mit Gojko Kacar wurde nicht verlängert. Der zuletzt an Fortuna Düsseldorf verliehene Kerem Demirbay soll zudem weiterhin an 1899 Hoffenheim verkauft werden, wenn sich die beiden Clubs auf eine Ablösesumme einigen.
Porath nutzt seine Chance
Die Lösung, die Labbadia am Sonnabend für das erste Testspiel gegen den Schweizer Sechstligisten US Schluein Ilanz (Bericht rechts) auserkoren hatte, hieß deswegen Finn Porath. Und es dauerte auch nicht lange, bis das HSV-Eigengewächs zeigte, dass es möglicherweise mehr werden könnte als nur eine Notlösung. Auf der Achterposition im zentralen Mittelfeld zog Porath das Spiel sofort an sich, er traf zur 1:0-Führung, leitete das 2:0 durch Michael Gregoritsch nach einem dynamischen Vorstoß ein und übernahm zudem alle Standardsituationen. „Finn hat eine richtig gute Technik und die Fähigkeiten bei Standards. Wichtig ist, dass er jetzt angstfrei wird“, sagte Labbadia.
Was Labbadia meint, wird mit Blick auf Poraths Verletzungshistorie deutlich. In den vergangenen zwei Jahren musste der U19-Nationalspieler immer wieder schwere Rückschläge einstecken. Allein im vergangenen Halbjahr war es zunächst ein Muskelbündelriss und schließlich der Kahnbeinbruch, der seine Hoffnungen auf die Teilnahme an der U19-Europameisterschaft in der kommenden Woche zunichte machte.
Was Porath daher gelernt hat, ist Geduld. „Ich habe mir bei meinen Verletzungen zu schnell zu viel vorgenommen. Das mache ich jetzt anders. Ich lasse mir Zeit“, sagt der gebürtige Lübecker, der vor sechs Jahren in die Jugend des HSV wechselte. Seitdem gilt Porath als eines der größten Hamburger Talente. Nachwuchschef Bernhard Peters ist bekennender Porath-Fan, auch Labbadia hält viel von dem schmächtigen, aber geschmeidigen Techniker.
Holtby fehlt bis Ende August
Der Verein ist jedoch bemüht, die Erwartungen von ihm fern zu halten. Wer Porath im persönlichen Gespräch begegnet, der aber merkt schnell, dass er mit Druck umgehen kann. „Ich sehe die Erwartungshaltung entspannt. Ich weiß dass der Verein auf mich setzt. Das gibt mir Selbstvertrauen.“ Porath ist bewusst, dass das Unglück von Holtby für ihn auch eine Chance bedeutet. In den kommenden zwei Monaten geht es für ihn daher zunächst darum, sich die Wettkampfhärte anzueignen, die ihm aufgrund der vielen Verletzungen in den vergangenen Jahren noch fehlt.
Blut, Schweiß und Tränen: HSV im Trainingslager
Im Winter hatte Porath das erste Mal bei den Profis mittrainiert und durfte direkt mit in das Trainingslager nach Belek. Ein halbes Jahr später kennt er alle Abläufe des Bundesligisten. „Ich habe mich an das Tempo gewöhnt, fühle mich körperlich richtig gut und habe im Moment einfach Spaß.“ Auch im Kopf ist Porath jetzt frei, nachdem er gerade erst sein Fachabitur bestanden hat. Bis September durchläuft er nun im Rahmen eines Praktikums verschiedene Bereiche der HSV-Geschäftsstelle. Anschließend könnte er sich ein Fernstudium im Bereich Journalismus vorstellen. „Der Fokus liegt aber auf dem Fußball“, sagt Porath.
Und in diesem Bereich braucht der HSV seinen Mitarbeiter jetzt schneller als geplant. Bis Ende August wird Lewis Holtby der Mannschaft fehlen und somit den Saisonauftakt Ende August gegen den FC Ingolstadt verpassen. „Ich komme wieder zurück. Mein Kopf ist oben, ich bleibe positiv. Ich kenne mich ja schon aus mit Schlüsselbeinbrüchen“, sagte Holtby nach der Operation am Sonnabend in der Uniklinik Freiburg. Erst im Januar 2015 hatte sich Holtby im Trainingslager in Dubai bei einem Testspiel gegen Eintracht Frankfurt die selbe Verletzung zugezogen und musste fast zwei Monate pausieren.
Porath will „einfach nur gesund bleiben“
Dass der HSV nun auf einen Notfalltransfer verzichtet, ist auch als Vertrauensbeweis für Porath zu werten. In fünf weiteren Testspielen hat dieser jetzt die Gelegenheit, sich auf Holtbys Position zu einer ernsthaften Alternative zu entwickeln. Auch wenn der filigrane Porath im Vergleich zum giftigen Balleroberer Holtby ein gänzlich anderer Spielertyp ist, der sich im offensiven Mittelfeld auf allen Positionen wohl fühlt. In den DFB-Nachwuchsteams kam er meist auf der rechten Außenbahn zum Einsatz, beim HSV sieht ihn Labbadia in zentraler Rolle. Porath gefällt das. „Bruno Labbadia spricht viel mit mir und sagt mir, was ich gut mache und was ich noch verbessern muss. Er weiß genau, wie das Geschäft funktioniert und worauf ich als junger Spieler achten muss.“
Porath ist angekommen bei den Profis. Er will jetzt nicht mehr weg. Und bleibt dabei bescheiden. Er hat aus seinem eigenen Pech gelernt, wie schnell sich Pläne ändern können. Was er sich für die neue Saison vorgenommen hat? Poraths Antwort ist nicht überraschend. Doch bei ihm hat sie eine besondere Bedeutung: „Einfach nur gesund bleiben.“