Hamburg. Der Anteilseigner hat das Erbe seiner HSV-Beteiligungen geregelt. In Hamburg ist man unsicher, ob der Milliardär Segen oder Fluch ist.
An der Adresse hat sich nichts geändert: Sylvesterallee 7, 22525 Hamburg. So lautet auch weiterhin die offizielle Postanschrift der HSV AG, wo Hamburgs Bundesligaclub sein Zuhause hat. Nicht Großer Grasbrook 11–13 in 20457 Hamburg, wo Kühne & Nagel seinen Deutschlandsitz hat. Und auch nicht die Carretera Es Capdellá-Galilea auf Mallorca, wo das Luxushotel Castell Son Claret auf Gäste von Milliardär Klaus-Michael Kühne wartet.
„Die Entscheidungen des HSV werden im Volkspark getroffen“, hat Clubchef Dietmar Beiersdorfer vor einem Jahr gesagt – und bleibt auch bei dieser Meinung, nachdem er in den vergangenen Wochen HSV-Investor Kühne auch am Großen Grasbrook oder auf Mallorca mehrfach getroffen hatte. Es ging, wie immer bei Kühne, um großen Fußball und das große Geld. „Der Herr Kühne will noch mal richtig investieren“, sagt Kühnes Kumpel Reiner Calmund, der beim ersten Treffen in der HafenCity dabei gewesen war.
Kühne also. Mal wieder. Wer das Auf und Ab des HSV begreifen will, der muss auch das ständige Hin und Her um Klaus-Michael Kühne verstehen.
Glühender Fan der Rothosen
Der gebürtige Hamburger ist seit Kindestagen glühender Fan der Rothosen. Der Rothenbaum. Uwe Seeler. Die Meistermannschaft von 1960. Doch seit 2010 ist Kühne nicht mehr nur HSV-Fan. Er ist Investor, Anteilseigner, Darlehensgeber. Er gibt Millionen, sorgt aber für immer größere Abhängigkeiten. Kühne sichert die Lizenz, mischt sich aber immer wieder ein. Die einen sagen, er sei die letzte Rettung für den HSV. Die anderen sagen, er führe den Club ins Verderben. Die Wahrheit liegt wohl, wie so oft, in der Mitte. „Ich kann nicht beurteilen, inwiefern es Vor- oder Nachteil für den HSV ist“, sagt sogar DFB-Neu-Präsident Reinhard Grindel, dessen HSV-Passion Kühnes Leidenschaft früher in nichts nachstand.
Doch bei Kühne hieß es irgendwann: Geld oder Liebe. Begonnen hat das alles am 24. Juni 2010. Damals wurde die Spielerinvestment-Vereinbarung zwischen dem HSV und Kühne auf acht DIN-A4-Seiten geschlossen. Der „edle Spender“ gab 12,5 Millionen Euro für neue Spieler, erhielt dafür im Gegenzug Beteiligungen der Transferrechte von sechs Spielern. Insgesamt war der Wahl-Schweizer sogar bereit, 22,5 Millionen Euro zu investieren. Seine Bedingung: Der HSV hätte nur Neuzugänge aus einer Liste von elf Spielern auswählen dürfen, die er selbst zusammengestellt hatte. Zudem hatte der gewiefte Geschäftsmann unter § 2 (Verwendung des Investitionszuschusses) schriftlich fixieren lassen, dass sich sein Zuschuss verringert, „sollte unter vom HSV verpflichteten Spielern kein zentraler Mittelfeldspieler von internationaler Klasse“ dabei sein.
Diesen glaubte der vermögenden Fußballfan zwei Jahre später gefunden zu haben. Lieblingsspieler Rafael van der Vaart sollte dem HSV wieder Stahlkraft verleihen. Kühne gewährte dem HSV ein Darlehen über 8,5 Millionen Euro für den 13-Millionen-Euro-Kauf des Niederländers. Zudem verzichtete er auf seine Transferbeteiligungen.
Der große Wurf, von dem der Unternehmer seit 1983 träumte, sollte aber auch mit van der Vaart auf sich warten lassen. Es dauerte nur ein Jahr, ehe Kühne und sein Portemonnaie erneut gefragt waren. Im August 2013 stockte „der Patriarch des HSV“ sein Darlehen auf 25 Millionen Euro auf.
Kühne bezahlte die Musik, doch gespielt wurde immer nur Blues: 2012 Platz 15, 2013 ein Zwischenhoch auf Platz sieben, 2014 die Rettung in der Relegation und 2015 erneut nur die Relegation. Im vergangenen Jahr wurde es rund um die Kühne-Finanzen kompliziert. Nach langem Hin und Her wandelte der Investor 2015 einen Großteil seines Darlehens (18,75 Millionen Euro) in 7,5 Prozent der Anteile der HSV Fußball AG um. Die restlichen 6,25 Millionen Euro blieb der HSV seinem „Gönner“ zunächst schuldig. Daran änderte sich auch nichts, als Kühne zudem im Januar 2015 die Namensrechte am HSV-Stadion erwarb. Für einen Vierjahresvertrag (bis 2019) zahlte er 16 Millionen Euro, nannte die frühere Imtech-Nordbank-AOL-Arena fortan wieder Volksparkstadion.
Es war der Moment, als die Stimmung zugunsten Kühnes kippte. Wer das Volksparkstadion kaufte, muss ein wahrer HSVer sein. So die vorherrschende Meinung, die einige Monate später bestätigt wurde, als Kühne dem HSV ein weiteres Millionen-Darlehen gewährte, um so einen ernsthaften Liquiditätsengpass zu überbrücken.
Doch für den ersehnten sportlichen Erfolg sollte all das Geld nicht reichen. Anfang dieses Jahres wandelte Kühne das restliche Darlehen von 9,25 Millionen Euro auch noch in 3,5 Prozent Anteile um. Damit gehören ihm – Stand jetzt – elf Prozent der 24,9 Prozent zu veräußernden HSV-Anteile. Doch damit nicht genug: Im Frühjahr dieses Jahres gewährte der Tausendsassa dem HSV ein weiteres Darlehen von 25 Millionen Euro, mit dem der HSV seinen Stadionkredit bei der Haspa, der Hypo Vereinsbank, der HSH Nordbank und der Hamburgischen Investitionsbank abtragen konnte. Das Darlehen läuft bis Mitte 2017, soll aber eventuell mit der geplanten Anleihe verrechnet werden, die den Schuldscheinzeichnern eine Verzinsung von bis zu 5,5 Prozent einräumen soll.
69 Millionen Euro hat Kühne bislang in seinen Club investiert. Geschenkt hat der Milliardär dem HSV nichts, doch verdient hat er mit all seinen Millionen auch nichts: keine Gewinne, keine Erfolge, keinen Ruhm. Doch Kühne will weitermachen. „Nicht kleckern, sondern klotzen“, lautet nun das Motto, das Kumpel Calmund ausgerufen hat. Geht es nach dem einstigen XXL-Manager von Bayer Leverkusen, dann soll beim HSV ein Vierergremium über zukünftige Transfers bestimmen. „Auf der einen Seite sind dort Dietmar Beiersdorfer und Bruno Labbadia“, sagt Calmund in der „Zeit“, „auf der anderen Seite der Mäzen Kühne, der von Struth (Agent Volker Struth, die Red.) beraten wird.“ 50 Millionen Euro sollen im Topf sein, die Kühne dem HSV zur Verfügung stellen will.
Calmund will, dass Kühne zukünftig über HSV-Transfers mitentscheidet
Die Frage, wie all die Millionen diesmal verrechnet werden, hat der HSV öffentlich noch immer nicht beantwortet. Das nächste Darlehen? Eine erneute Anleihe? Weitere Anteile? Oder erstmals sogar ein Geschenk? Nach Abendblatt-Informationen lautet die Antwort: nichts von all dem. So sollen Beiersdorfer und sein wichtigster Fan ein Modell ausgearbeitet haben, das an Kühnes Anfänge erinnert. Wie schon am 24. Juni 2010 soll Kühne auch diesmal Transferbeteiligungen an den Spielern eingeräumt werden, die nun verpflichtet werden. Dabei soll sogar überlegt werden, ob der Edel-Fan neben den Ablösesummen auch die Gehälter der neuen Hoffnungsträger übernimmt. Und noch was ist ähnlich wie vor sechs Jahren: Heute wie damals wird ein zentraler Mittelfeldspieler mit internationalem Format gesucht.
Was wie eine gute Pointe zum Schluss klingt, ist noch nicht das Ende. Denn dieses soll im Fall des 79 Jahre alten Kühne schon längst geregelt sein. Seine Anteile und HSV-Beteiligungen sollen im Fall der Fälle an die Klaus-Michael-Kühne-Stiftung überschrieben werden. Merke: Nichts im Leben ist geschenkt. Und auch nicht danach.
Der HSV, der nur mit neun Profis angetreten war, gewann das Benefizspiel gegen den Rotenburger SV mit 6:0. Ein Teil der Einnahmen fließt in die Stiftung des verstorbenen Kultmasseurs Hermann Rieger.