Hamburg. Für den Teamgeist veranstaltet der HSV gerne Mannschaftsabende. Echte Führungsspieler konnten daraus nicht hervorgehen. Ein Problem.
Als Geheimniskrämer ist Bruno Labbadia bislang nicht wirklich in Erscheinung getreten. Der Fußballlehrer aus Weiterstadt in Hessen gibt auf Nachfrage gern und höflich Auskunft, berichtet auch über den hervorragenden Pfundskuchen von Ehefrau Sylvia sowie seine gleichzeitige Begeisterung für Helene Fischer und die Foo Fighters. Dass aber selbst Labbadia einmal etwas zu verbergen hat, machte der HSV-Trainer am Mittwochmorgen deutlich, als er kurzerhand das Mannschaftstraining vom gut einzusehenden Nebenplatz ins abgeriegelte Stadion verlegte. „Wir wollten einfach ein bisschen Ruhe und Geschlossenheit haben“, erklärte Labbadia, der vor dem Nordderby gegen Werder Bremen am Freitag (20.30 Uhr) auch im Abschlusstraining am Donnerstag auf das verschlossene Volksparkstadion setzt.
Auf die Geschlossenheit kann sich Labbadia in diesem Jahr ohnehin verlassen. „Wir leben extrem vom Kollektiv“, sagte Labbadia, der aber nicht erst durch einen Blick auf die Tabelle daran erinnert werden musste, dass ein gutes Betriebsklima allein nicht reicht.
Private Treffen sind neu
Das Fußballgeschäft ist aber auch verflixt. Hat eine Mannschaft nur ein oder zwei Führungsspieler, die vorweg-marschieren, wird mit dem nächsten Atemzug oft der fehlende Teamgeist bemängelt. Stimmt es aber trotz anhaltenden Misserfolgs innerhalb der Mannschaft, müssen es die Leistungsträger sein, die fehlen. Beim HSV, so viel scheint sicher, wurde in den vergangenen drei Jahren mal das eine vermisst, mal das andere – und mal beides.
Die gute Nachricht: In der laufenden Spielzeit ist am Teamgeist nichts auszusetzen. Man sei als Mannschaft zusammengewachsen, weil niemand die Einzelinteressen über das Interesse der Gruppe stelle, sagt etwa Kapitän Johan Djourou. Und tatsächlich verstehen sich die Fußballer auf und abseits des Platzes gut. Anders als früher organisieren die Profis auch gerne privat mal ein Treffen. Erst in der vergangenen Woche traf sich das Team zum Mannschaftsabend im Pöseldorfer Restaurant Brian’s. Es gab Steaks und Lobster – und zum Nachtisch die epische Europapokalschlacht zwischen Liverpool und Borussia Dortmund.
Die schlechte Nachricht: Trotz intakten Mannschaftsgefüges konnte die dritte Zittersaison in Folge nicht verhindert werden. Längst hat sich deshalb auch innerhalb der HSV-Führung die Gewissheit durchgesetzt, dass dieser Mannschaft – unabhängig vom Ausgang der letzten vier Saisonspiele – sogenannte Säulenspieler fehlen. Also Leistungsträger, an denen man sich in kritischen Situationen orientieren kann, die vorwegmarschieren, die durch Leistung und Persönlichkeit überzeugen. „Über einzelne Spieler werden wir es nicht schaffen“, gibt Trainer Labbadia ehrlich zu.
„Kicker“: Nur Hannover ist schlechter
Laut Fachmagazin „Kicker“, das jedes Wochenende Schulnoten an die Fußballer verteilt, kommt kein Hamburger Feldspieler auf einen besseren Notendurchschnitt in diesem Spieljahr als 3,63. Torhüter René Adler, der am Freitag gegen Bremen gesperrt fehlen wird, ist als einziger HSV-Profi unter den Top 100 der Bundesliga. Der Gesamtnotenschnitt aller Hamburger liegt sogar nur bei mageren 3,85. Übersetzt heißt das: gerade noch eine 4+, nur Tabellenschlusslicht Hannover 96 ist in dieser Kategorie noch schlechter.
Bedenklich ist diese Entwicklung vor allem deshalb, weil der HSV sogar in den vergangenen beiden Relegationsjahren Profis im Kader hatte, auf die man sich verlassen konnte, wenn es darauf ankam. Vor zwei Jahren waren es Hakan Calhanoglu, der wenig nachdachte, aber immer den Ball wollte, und Pierre-Michel Lasogga, der ebenfalls wenig nachdachte, aber allein durch seine Präsenz im gegnerischen Strafraum Angst und Schrecken verbreitete. Diese Instinktfußballer ließen sich nichts bieten, hielten dagegen und machten den gegnerischen Abwehrspielern deutlich, dass ein Erfolg der Mannschaft nur durch einen Erfolg gegen sie möglich sein würde. Am Ende war es kein Zufall, dass ausgerechnet der letzte Sturmbulle (Lasogga über Lasogga) das einzige und entscheidende Tor zum Klassenerhalt in der Relegation gegen Fürth erzielte.
Ein Jahr später war es Gojko Kacar, den Bruno Labbadia zum Ende der Saison buchstäblich aus dem Nichts reaktivierte. Der längst ausgemusterte Serbe durfte nach Labbadias Verpflichtung die letzten fünf Partien von Anfang an spielen, erzielte drei Treffer und rettete den HSV beinahe im Alleingang in die Relegation. Kacar übernahm, wie man es im Fußball immer so nett umschreibt, Verantwortung.
Müller will nicht im Vordergrund stehen
Und nun? Vier Spieltage vor dem Saisonende ist kein Retter in Sicht. Die ursprünglich als Führungsspieler aus-erwählten Achsenspieler René Adler, Johan Djourou, Emir Spahic, Lewis Holtby, Aaron Hunt und Lasogga überzeugten bislang mehr schlecht als recht, wodurch von der Partie gegen Werder nun ein Profi in den Vordergrund rückt, der dort eigentlich gar nicht stehen will: Nicolai Müller.
Acht Tore hat der formstärkste Mittelfeldmann bislang erzielt, eines davon – natürlich – im Hinspiel gegen Bremen. Am Mittwoch, so viel drang dann doch trotz höchster Geheimhaltungsstufe durch, konnte Müller im Stadion lediglich ein paar Runden laufen. Der Oberschenkel zwickte. Im Abschlusstraining am Donnerstag soll ein neuer Versuch unternommen werden.
Müller ist kein Lautsprecher, kein Führungsspieler, kein Säulenspieler. Einen ganz besonderen Platz in der jüngeren HSV-Geschichte hat dieser Müller aber dennoch: Relegationsrückspiel gegen den Karlsruher SC, Verlängerung, die 115. Minute. Ein Pass von links, sein rechter Fuß, das Tor. 2:1, die Rettung. „Plötzlich war ich der Held“, sagt Müller. „Das war unglaublich.“
Fortsetzung folgt. Soll folgen. Am Freitag. Gegen Werder. Natürlich.