Hamburg. Nur ein Team hat einen schwächeren Sturm als der HSV. Im Sommer könnte es eine Umstrukturierung des Angriffs geben. Fällt Drmic aus?
Das Mannschaftstraining des HSV war am Montag längst beendet, als Ivica Olic in Richtung des Platzes trabte. Der am Knie angeschlagene Stürmer grüßte freundlich, vertröstete ein paar Kinder („Nach meinen Joggingrunden unterschreibe ich eure Autogramme, okay?“), öffnete die Eisentür und lief los. Als der Kroate einen zurückliegenden Ball vor dem verlassenen Tor erspähte, konnte er nicht widerstehen. Ein kurzer Anlauf, ein Schuss aus wenigen Metern auf das 7,32 Meter breite Tor – und vorbei.
Die HSV-Angreifer treffen einfach nicht mehr. Nicht im, vor oder nach dem Training – und vor allem nicht im Spiel. Insgesamt neun Stürmertore hat der HSV in dieser Spielzeit erzielt – nur Augsburgs Angreifer trafen seltener. Josip Drmic durfte sich einmal freuen, Artjoms Rudnevs traf zweimal, und Pierre-Michel Lasogga erzielte immerhin sechs Treffer, davon allerdings zwei vom Elfmeterpunkt aus.
„Es ist schon mal gut, dass wir uns zumindest die Torchancen herausspielen“, relativierte Trainer Bruno Labbadia, dem das 0:1 in Leverkusen allerdings auch am Tag danach noch schwer zu schaffen machte: „Wir müssen die Chancen aber auch mal verwerten.“
Labbadia war in seiner Karriere so etwas wie ein Torjäger aus dem Bilderbuch, ein fleischgewordener Budenmacher. Nicht viel nachdenken, einfach auf die Kiste. Der frühere Stürmerstar traf mit dem Kopf, mit rechts, mit links, per Fallrückzieher, mit dem Knie, dem Hintern oder dem Oberschenkel. Labbadia war der einzige deutsche Fußballprofi, der in seiner Karriere mehr als 100 Tore in der Ersten und in der Zweiten Liga erzielte. Der Angreifer machte 103 Bundesliga- und 101 Zweitliga-Tore. „Als Torjäger“, so Labbadia, „braucht man manchmal auch einfach nur das gewisse Quäntchen Glück.“
Alles nur eine Frage des Glücks?
Exempel für verfehlte Personalpolitik
Tatsächlich scheint die Position der „Nummer neun“ beim HSV geradezu exemplarisch für die verfehlte Personalpolitik der vergangenen Jahre. Stürmer kamen und gingen, die Offensivprobleme blieben. So hatten die Hamburger bereits in der vergangenen Spielzeit die wenigsten Tore aller Bundesligaclubs erzielt. Um das Problem zu beheben, verpflichtete HSV-Sportchef Peter Knäbel in den vergangenen drei Transferperioden gleich vier Stürmer: Im Winter 2015 kam Olic für 2,5 Millionen Euro, im Sommer folgten Sven Schipplock (2,5 Millionen Euro) sowie der ablösefreie Batuhan Altintas, und in diesem Winter wurde schließlich noch Drmic für 1,2 Millionen Euro für ein halbes Jahr ausgeliehen. Die Gesamtausbeute des kostspieligen Offensivquartetts in dieser Spielzeit: ein Tor.
„Ich sehe diese Thematik nicht nur aus Stürmersicht“, sagt Labbadia, dem in der Theorie mit Rudnevs, Drmic, Lasogga, Schipplock, Olic und Altintas zwar sechs Angreifer zur Verfügung stehen. Statt Toren eint dieses Sextett aktuell allerdings nur zwei Dinge: Keiner trifft – und keiner von ihnen hat eine sichere Zukunft in Hamburg.
Drmic wird am Dienstag untersucht
Der Reihe nach. Stürmer Nummer eins ist derzeit ohne Frage Rudnevs, der gegen Leverkusen gut spielte, allerdings schon seit mehr als 400 Minuten auf seinen dritten Saisontreffer wartet. Der Lette war in der Hinrunde bereits aussortiert, könnte nur aber doch noch eine erneute Chance bekommen. „Über Rudis Vertragssituation werden wir wohl erst im Sommer sprechen“, sagt Knäbel, der zunächst die Entwicklung des einst Aussortierten abwarten will.
Definitiv vorbei ist die Zeit des Abwartens bei Olic, der nicht nur im Training, sondern auch in den Spielen nicht traf. Bereits im vergangenen Winter sollte der teure Ex-Wolfsburger abgegeben werden. Im Sommer ist für den 36 Jahre alten Olic endgültig Schluss beim HSV – genauso wie auch für Leihstürmer Drmic, der bislang enttäuschte und ohnehin als zu teuer gilt. Am Wochenende droht der Schweizer, der bislang nur auf dem Flügel eingesetzt wurde, zu allem Überfluss auch noch mit Knieproblemen auszufallen. Heute soll Drmic zunächst noch einmal genau untersucht werden.
Labbadia will ganz genau überlegen
Und der Rest? Während Talent Altintas, seit knapp zwei Jahren ohne Pflichtspieleinsatz, verliehen werden dürfte, gilt die Zukunft von Lasogga und Schipplock als völlig offen. „Zu gegebener Zeit werden wir uns mit jedem Einzelnen zusammensetzen“, sagt Labbadia. „Wir werden ganz genau überlegen, was zu uns passt – und was nicht.“
Mit 3,5 Millionen Euro ist Lasogga hinter Lewis Holtby HSV-Spitzenverdiener, hat in dieser Rückrunde aber noch keinen einzigen Treffer erzielt und durfte auch erst 315 von möglichen 810 Minuten spielen. Lasogga ist ein Mittelstürmer der alten Schule, kein Tiki-Taka, sondern eher der Typ Brechstange. „So viele Typen von meiner Art gibt es in Deutschland nicht mehr“, sagte Lasogga dem Magazin „11Freunde“. Das Interview erschien im Dezember, seitdem hat „der letzte Bulle“ kein einziges Tor mehr erzielt.
Noch überhaupt keinen Treffer gemacht hat Neuzugang Schipplock, dem Labbadia und Knäbel Woche für Woche attestieren, besonders fleißig zu sein. Eine realistische Einsatzchance hat der Ex-Hoffenheimer aber nicht. „Es klingt vielleicht blöd, aber mir ist total egal, wer die Tore schießt“, hatte der Angreifer zu Anfang seiner HSV-Zeit gesagt. Schipplock nimmt sich selbst nicht so wichtig, verbreitet keine Unruhe, schimpft nicht. Nur das Tor treffen, das macht der Stürmer eben auch nicht.