Hamburg. Noch vor zwei Jahren glaubte der HSV-Senkrechtstarter nicht an eine Profikarriere. Jetzt spricht er über seinen Traum von Olympia.

Der Schock stand Gideon Jung, 21, ins Gesicht geschrieben. Nachdem der HSV-Senkrechtstarter beim Nachmittagstraining mit dem rechten Knöchel umgeknickt war, musste er zunächst mit dem Golfcart in die Umkleidekabine gebracht werden. Dort wurde relativ schnell entschieden, dass eine Kernspin-Untersuchung zunächst nicht notwendig ist. Wenig später folgte die ärztliche Entwarnung – zumindest vorerst ...

Hamburger Abendblatt: Herr Jung, das sah nicht gut aus. Alles in Ordnung?

Gideon Jung: Keine Sorge! Es sah wohl schlimmer aus, als es ist ... Ich hoffe, dass ich so schnell wie möglich wieder einsteigen kann.

Dann erlauben Sie uns einen radikalen Themenwechsel: Liest man mit 21 Jahren eigentlich noch die Zeitung, oder setzen Sie voll auf Twitter und Facebook?

Jung: Das werden Sie jetzt nicht so gerne hören, aber ich muss gestehen, dass ich eher mobil unterwegs bin. So ganz altmodisch am Kiosk kaufe ich mir die Zeitung jedenfalls nicht. Aber gute Artikel werden ja auch bei Facebook oder Twitter geteilt. Und die lese ich auch.

Die Zeitungslektüre nach dem Spiel gegen Frankfurt hätte Ihnen sicherlich gefallen. Die „Bild“-Zeitung titelte „Juwel Jung“, die „Mopo“ bezeichnete Sie als „Hamburgs neue Perle“, und das Abendblatt nannte sie „die Entdeckung der Saison“. Geschmeichelt?

Jung : Klar. Viele Freunde haben mir die ganzen Artikel über das Spiel auch per WhatsApp geschickt. Das war schon eine besondere Sache für mich. Gleichzeitig weiß ich die Berichterstattung aber auch einzuordnen.

Ist Ihr Handy vor lauter Glückwunschnachrichten nach dem guten Spiel gegen Frankfurt explodiert?

Jung : Ach, eigentlich hatte ich nicht viel mehr Nachrichten als sonst auch. Mit einigen Freunden bin ich in ein paar WhatsApp-Gruppen, von denen ich natürlich jede Menge Nachrichten bekommen habe. Aber ansonsten hielt sich das in Grenzen. Richtig viele Nachrichten habe ich nach meinem Bundesligadebüt gegen Bayern München bekommen. Da bin ich gar nicht mit dem Antworten hinterhergekommen.

Stimmt es eigentlich, dass Sie vor nicht einmal zwei Jahren ernsthaft überlegt haben, ob Sie überhaupt den Schritt zum Profifußballer wagen sollten?

Jung : Die Geschichte stimmt wirklich. Als ich bei Oberhausen in der 4. Liga spielte, wollte ich eigentlich im Sommer 2014 mit einer Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann am Theater von Oberhausen anfangen. Kurz zuvor hatte ich mein Fachabitur gemacht – und mir war das Risiko einfach zu groß, ausschließlich auf die Karte Profifußball zu setzen.

Gideon Jung menschlich gesehen

Was hat Sie an der Arbeit im Theater gereizt?

Jung : Das hatte eigentlich zwei Gründe. Zum einen ist Hajo Sommers, der Clubpräsident von Rot-Weiß, gleichzeitig auch Theaterleiter in Oberhausen. Er hatte die Idee – und ich fand sie gut. Und zum anderen mochte ich ohnehin schon immer das Theater. Als Kind und Jugendlicher habe ich in der Schule und im Hort selber viel Theater gespielt, haben im Kindergarten sogar mal eine Talentshow nachgestellt. In Oberhausen wäre es aber eher eine kaufmännische Ausbildung gewesen. Trotzdem hätte das super gepasst.

Aus der Ausbildung wurde aber nichts, ...

Jung : ... weil der HSV mir plötzlich ein Angebot gemacht hat. Das kam schon ziemlich überraschend, aber glücklicherweise war mir auch Hajo Sommers nicht böse. Den Ausbildungsplatz musste ich dann ja doch ablehnen. Aber er war trotzdem mächtig stolz auf mich.

Hatten Sie zu dem Zeitpunkt überhaupt einen Berater?

Jung : Nicht wirklich. Aber ein Freund der Familie hat sich damals um Anfragen und solche Dinge gekümmert. Aber allzu viele Anfragen hatte ich ja gar nicht. Eine Karriere als Fußballprofi war ja eigentlich nicht vorgesehen.

Vor Kurzem wurden Sie, Ihre Kollegen Zoltan Stieber und Dennis Diekmeier von ein paar Kinderreportern befragt, was Sie als Jugendlicher werden wollten. Stieber und Diekmeier träumten schon immer von einer Karriere als Fußballer, Sie wollten Polizist werden. Ist Fußballprofi kein Traumberuf?

Jung : Mein Traumberuf war tatsächlich immer Polizist. Aber natürlich wollte ich auch immer gerne in der Bundesliga Fußball spielen. Die Möglichkeit, mit Fußball mein Geld zu verdienen, habe ich allerdings erst sehr spät erkannt. Hätte es mit dem Fußball aber nicht geklappt, dann wäre ich bestimmt auch ein ganz guter Polizist geworden. Das hoffe ich zumindest. Oder eben ein Teilzeit-Theatermanager. (lacht)

Mit dem Fußball hat es bislang ja immerhin so gut geklappt, dass Sie sogar für Deutschlands erweiterten 35-Mann-Olympiakader nominiert wurden. Träumen Sie schon vom Maracanã in Rio?

Jung : Klar. Etwas viel besseres kann einem Fußballer ja gar nicht passieren. Olympia! In Brasilien! In Rio! Im Maracanã! Das wäre schon ein Traum. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass ich bis dahin noch ziemlich viele ziemlich gute Spiele machen muss ...

Ihre Eltern kommen aus Ghana, Sie sind in Düsseldorf geboren. Spielt auch die ghanaische Nationalmannschaft in Ihren Überlegungen eine Rolle?

Jung : Sollte wirklich mal die ghanaische Nationalmannschaft anfragen, hätte ich einen Gewissenskonflikt. Ich würde mich sehr schwertun, mich zwischen Deutschland und Ghana entscheiden zu müssen. Aber noch muss ich mir darum glücklicherweise nicht zu viele Gedanken machen. Wahrscheinlich wäre Ghanas A-Nationalmannschaft im Moment auch noch ein bisschen zu viel des Guten für mich. Ich muss ja erst einmal beim HSV durchstarten.

Vor der Saison waren Sie als vierter Innenverteidiger eingeplant, nun sind Sie Stammspieler im defensiven Mittelfeld. Viel mehr durchstarten kann man nicht.

Jung : Na ja, für mich ist der Bundesligaalltag noch immer etwas Besonderes. Ich genieße jede Minute auf dem Platz – und auch auf der Bank dabei zu sein bleibt ein Erlebnis. Ich würde mich nicht unbedingt als Stammspieler bezeichnen, nur weil ich zweimal in Folge von Anfang an spielen durfte.

Sie wären der erste Bundesligastammspieler, der zu Fuß zum Training kommt.

Jung : Ach, ich komme nicht jeden Tag zu Fuß zum Training. Meistens nimmt mich Ahmet Arslan mit. Nur wenn er mal früher oder später da sein muss, gehe ich zu Fuß. Ich wohne in Eidelstedt, das sind 20 Minuten bis zum Stadion.

Und wie sieht’s aktuell mit Ihrem angepeilten Führerschein aus?

Jung : Ich bin dabei. Zurzeit muss ich gerade für die Theorieprüfung büffeln.

Haben Sie sich schon ein Traumwagen ausgesucht?

Jung : Nee, Hauptsache, er fährt.