München. Vor dem Spiel am Freitagabend spricht Welttorhüter Neuer unter anderem über das Nationalelf-Duell mit Adler vor der WM 2010.
Drehtermin in der alten Schlafwagenfabrik in München-Pasing. Am Tag nach der Testspielpleite in Karlsruhe kommt Manuel Neuer, 29, ziemlich entspannt zu den Filmaufnahmen für den Elektronikkonzern Sony. Bevor die TV-Spots für die Kamera a6000 im Frühjahr anlaufen, dürfte der Bayern-Torhüter seine vierte Meisterschaft in Folge gefeiert haben. Oder etwa nicht? Fragen an den Welttorhüter des Jahres vor dem Rückrundenstart an diesem Freitagabend (20.30 Uhr/Sky, ARD und im Liveticker bei abendblatt.de) beim HSV.
Hamburger Abendblatt: Herr Neuer, der HSV hat alle drei Testspiele verloren, und gegen die Hamburger hatten Sie meistens nicht viel zu tun ...
Manuel Neuer : Moment, auswärts haben wir uns gegen den HSV immer schwergetan. Es gab ein paar Spiele, in denen es ein bisschen hin und her ging. Da müssen wir aufpassen, nicht die Ordnung zu verlieren. Ich kann mich an ein Spiel erinnern, in dem die Hamburger sehr aggressiv waren. Auch beim 0:5 in der Hinrunde haben sie uns früh gepresst und zeigten ein anderes Auftreten als in den Jahren vorher.
Verfolgt man das romantisch, wenn ein Traditionsclub wie der HSV jahrelang im Abstiegskampf steckt – oder ist einem Profi das egal?
Neuer : Egal nicht. Es ist nicht so, dass wir permanent nur auf uns schauen. Wir wollen genau wissen, gegen wen wir spielen, und es gibt Mannschaften wie den HSV, die einfach in die Bundesliga gehören.
Hätte der HSV den Abstieg nicht verdient gehabt?
Neuer : Nein, das kann man nicht sagen. So ist halt die Regel: Es gibt zwei Mannschaften, die in der Relegation spielen, und da hat sich der HSV mit Ach und Krach durchsetzen können. Deshalb spielen sie verdient in der Bundesliga.
Hatten Sie Mitleid mit Ihrem HSV-Torwartkollegen René Adler, der zwei Jahre gegen den Abstieg kämpfen musste?
Neuer : Wir Torhüter sind eine eigene Klientel. Wir trainieren öfter unter uns alleine und haben deshalb ein intensiveres Verhältnis. Man wünscht keinem einzigen, dass er ein schlechtes Jahr hat und dass er schwierige Zeiten erleben muss. Aber diese Zeiten gehören zum Fußball halt dazu.
Sie sind ja 2010 nur deshalb Stammtorwart der Nationalmannschaft geworden, weil sich René Adler vor der Weltmeisterschaft verletzt hat. Er war eigentlich als Nummer eins gesetzt. Haben Sie mit ihm jemals darüber gesprochen?
Neuer: Nein. Es war damals lange offen, wer die Nummer eins wird. Nach dem letzten Testspiel gegen Argentinien hat Jogi Löw bekannt gegeben, dass er René Adler vorzieht. Natürlich war das eine bittere Pille für mich. Ich habe das akzeptiert und weiter an mir gearbeitet. Dadurch, dass René sich an der Rippe verletzt hat, wurde ich die Nummer eins und musste meinen Mann in Südafrika stehen.
Lassen Sie uns über die Bayern reden. Wir hatten schon befürchtet, dass Sie schlechte Laune hätten nach dem 1:2 im Testspiel gegen Karlsruhe.
Neuer: Nein, alles gut. Überhaupt kein Problem. Es war ein Testspiel. Was zählt, ist Hamburg.
Oder wird man nervös, wenn man weiß, dass Pep Guardiola die Bayern verlässt?
Neuer : Das ist für uns kein Problem. Der Trainer hatte einen Dreijahresvertrag unterschrieben, und diesen Vertrag erfüllt er. Wir wissen, dass ein Clubwechsel zum Geschäft gehört. Das ist bei uns Spielern nicht anders. Wir sind alle Profis. Da wird kein Spieler weniger oder mehr Leistung bringen.
Informiert man sich schon irgendwie über den neuen Trainer Carlo Ancelotti?
Neuer : Ich tue das nicht. Man ist im Geschäft und weiß, wie der eine oder andere funktioniert. Ancelotti ist kein unbekannter Trainer. Er hat in einigen großen Vereinen schon Erfolg gehabt und sehr gute Arbeit verrichtet.
Aber von der Spielphilosophie tickt er schon anders als Guardiola.
Neuer : Jeder Trainer bringt sein eigenes Handwerk mit. Bei uns hat sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren auch einiges verändert. Trotz des Triple-Gewinns vorher von Jupp Heynckes. Da hätte man auch sagen können: Wir machen einfach so weiter. Aber jeder hat seinen eigenen Stil. Das Gute für uns Spieler ist, dass man nie auslernt, sondern neue Sachen erfährt.
Ab wann ist für Sie die Saison eine erfolgreiche Saison? Die Meisterschaft ist quasi schon abgehakt.
Neuer : Das sehe ich überhaupt nicht so. Während des letzten Hinrundenspiels gegen Hannover hatten wir zwischenzeitlich nur drei Punkte Vorsprung vor Dortmund, am Ende waren es doch acht – das kann alles ganz schnell gehen. Wir bekommen nichts geschenkt, gegen keine Mannschaft. Jeder ist darauf aus, Bayern München zu schlagen. Es wird nicht einfacher. Wir müssen immer achtsam sein und können nicht sicher sein, dass alles von alleine kommt. Keine Mannschaft in der Bundesliga-Geschichte hat es geschafft, vier Meisterschaften in Folge zu gewinnen. Das ist jetzt unser größtes Ziel. Und das wird eine harte Aufgabe für uns.
Wo sehen Sie Gefahren? Dass es wieder Verletzungen gibt?
Neuer : Das hatten wir in der Hinrunde, und das haben wir dann gut kompensiert. Wir haben einen breiten, guten Kader. Trotzdem gehören Verletzungen zum Fußball dazu. Und auch eine Formschwäche. Das ist ganz normal, dass man so etwas mal bekommt. Wir dürfen es nur nicht herbeischreien.
Noch einmal: Ab wann wäre die Saison für Sie erfolgreich?
Neuer : Für mich wäre die Saison schon mit der Meisterschaft erfolgreich.
Voriges Jahr schienen in München alle trotz der Meisterschaft unglücklich zu sein, weil die Mannschaft im Halbfinale der Champions League gegen Barcelona ausgeschieden ist.
Neuer : Wir haben gegen den späteren Champions-League-Sieger verloren, ja. Keiner wünscht sich Niederlagen. Jeder will bis zum Ende dabei sein. Wir lechzen nach jedem Titel. Die Tagesform kann alles entscheiden. Das haben wir gegen Barcelona gesehen. Das Hinspiel hat uns das Genick gebrochen.
Sie wurden 2015 zum dritten Mal weltbester Torhüter. Wir hatten angenommen, dass Sie bei der Fifa-Ehrung in Zürich dabei sind. Waren Sie aber nicht. Durften Sie nicht – oder wollten Sie nicht?
Neuer : Wir hatten ein sehr kurzes Trainingslager diesmal. Wir sind am 12. Januar wieder zurückgekehrt. Da liegt die Entscheidung natürlich beim Verein, ob ich im Trainingslager bleibe oder ob ich vorher für die Wahl am 11. Januar abreise. Ich hätte dann zwei Trainingseinheiten verpasst. Das verstehe ich. Dennoch ist es für mich schade, wenn von den elf geladenen Spielern einer fehlt, und dann noch die Torwartposition. Dass ich nicht anreisen durfte, ist schade für mich.
Kommentar: Bundesliga steht vor einer Zerreißprobe
Freut man sich über den Titel des Welttorhüters?
Neuer : Ja. Wenn es eine internationale Auszeichnung gibt, die für einen Torwart etwas Besonderes ist, dann ist es diese. Die anderen Auszeichnungen haben nicht so ein Gewicht und eine Ausstrahlung wie die des Welttorhüters.
Wie sieht man das als Torwart, wenn ständig die Entscheidung beim Weltfußballer des Jahres immer nur zwischen Messi und Ronaldo fällt? Ist das nicht langweilig?
Neuer : Die zwei haben sich das erarbeitet. Sie stehen total im Rampenlicht. Nicht nur im Fußball, sondern auch in der Vermarktung. Die ganzen Werbedeals, die die zwei machen, das ist eine Dimension, da kommt kein anderer Spieler ran. Ich denke, auch vom Fußballerischen her sind das mit die besten Spieler, die es zurzeit gibt. Das haben sie sich verdient. Das wird für jeden schwer, den einen oder anderen vom Thron zu stoßen.
Verstehen Sie die Kritik von Philipp Lahm, der sagt, dass die Wahl des Weltfußballers nur nach Marketing-Gesichtspunkten entschieden wird?
Neuer : Das weiß ich nicht, ob das nach Marketing-Gesichtspunkten entschieden wird. Die haben sich halt den Namen erarbeitet. Die Wahl treffen die Nationalkapitäne und Nationaltrainer, und es wählen nicht nur die 50 besten Nationen, sondern auch die restlichen aus Asien, Afrika und Mittelamerika. Und die haben nicht alle zu 100 Prozent professionell mit Fußball zu tun. Da ziehen solche Namen wie Messi und Ronaldo.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen als Torhüter damit die Anerkennung verwehrt bleibt? Immerhin haben Sie das Torwartspiel revolutioniert.
Neuer : Nein. Ich war auch im letzten Jahr glücklich, unter den letzten drei zu sein. Es ist ganz schwer, da überhaupt hinzukommen. Und noch schwerer, den Ballon d’Or zu gewinnen. Zur jetzigen Zeit müsste schon ein Wunder passieren, dass Messi oder Ronaldo nicht ganz oben stehen.