Hamburg. Das 0:1 des HSV gegen den FC Augsburg war die vierte Niederlage im Volksparkstadion in dieser Bundesliga-Hinrunde.
Am Tag danach kamen Spieler, Trainer und Betreuer noch einmal im Volkspark zusammen. Dem lockeren Auslaufen folgte ein gemeinsames Frühstück. Bruno Labbadia hakte die 0:1-Niederlage gegen den FC Augsburg in der letzten Besprechung des Jahres ab, „eine extrem enttäuschende“, wie der HSV-Trainer anmerkte.
Drei Punkte sind bekanntlich mit nur einem Sieg einzusammeln. Doch wie sehr drei Zähler die Bewertung einer kompletten Hinrunde beeinflussen können, zeigte sich am Sonnabend. Mit einem Sieg und 25 Punkten hätte der HSV seine Mittelfeld-Position gefestigt und sich für ein engagiertes Halbjahr belohnt. Von Abstiegsgefahr hätte wohl niemand mehr gesprochen. In der Saison 2010/11 erreichten die Hamburger mit 24 Punkten nach 17 Spielen am Ende der Saison Rang acht, 2012/13 gelang mit 24 Punkten sogar Rang sieben. Hätte. Hätte.
Und nun? Platz zehn sieht immer noch passabel aus, aber der Blick geht beim HSV wieder nach unten. Sieben Punkte Vorsprung auf Platz 16 (derzeit Bremen) sind schnell verspielt. Nach dem aller Wahrscheinlichkeit unlösbaren Auftakt gegen die Bayern (Fr., 22. Januar) muss der HSV beim VfB Stuttgart (15., 15 Punkte) antreten. Der Druck wird sofort wieder da sein.
Dass sich der HSV in diese nicht unverhofft unkomfortable Lage gebracht hat, war „schade, bitter und scheiße“, wie es Lewis Holtby drastisch zusammenfasste. Man könnte noch ergänzen: völlig unnötig. Der Spielverlauf gegen die Augsburger ähnelte dem von anderen verlorenen Partien frappierend, wie auch Holtby erkannt hat: „Wir kommen gut in die erste Halbzeit, werden aber ab der 30. Minute fahrlässiger und bauen den Gegner durch unsere Fehler auf, der dann zu Chancen kommt. In der zweiten Halbzeit zeigen wir dann keinen guten Fußball mehr, erspielen uns wenig Tormöglichkeiten, stehen als Team zu weit auseinander.“
Vier von acht Heimspielen hat der HSV in dieser Saison verloren: 0:1 gegen Schalke, 1:2 gegen Hannover, 1:3 gegen Mainz und nun 0:1 gegen Augsburg. Dem stehen nur zwei Siege (3:2 gegen Stuttgart, 3:1 gegen Dortmund) und zwei Nullnummern gegen Frankfurt und Leverkusen gegenüber. Auswärts holten die Hamburger dagegen vier Siege (und zwei Remis), also beachtliche 14 Punkte, was den Club auf Rang drei der Auswärtstabelle hinter den Bayern und Dortmund bringt.
Auch den HSV-Profis ist längst diese ungleiche Verteilung aufgefallen. „Gegen tiefer stehende Mannschaften tun wir uns schwer“, analysierte Matthias Ostrzolek. „Am Spiel mit dem Ball gegen vermeintlich kleinere Mannschaften müssen wir unbedingt arbeiten“, urteilte auch René Adler. Richtig angefressen war Kapitän Johan Djourou: „Wir haben zuhause neun Punkte liegen lassen gegen Mannschaften, gegen die wir normalerweise gewinnen können. 22 Punkte sind zu wenig.“
Zur Wahrheitsfindung gehört allerdings auch, dass es gegen Teams wie Augsburg eben nicht reicht, wenn gleich mehrere Spieler abfallen. Vor allem der lange verletzte Aaron Hunt war mit dem Tempo überfordert. Und auch Gideon Jung bekam nicht nur vor dem 1:2, als er einen entscheidenden Zweikampf verlor, seine Grenzen aufgezeigt. Ivo Ilicevic verzettelte sich zu oft in Dribblings, Nicolai Müller konnte seine Schnelligkeit kaum einmal einsetzen. Mit Recht wies Uwe Seeler („Es wäre gut, wenn noch was kommen würde, aber wir brauchen nicht nur einen Stürmer“) darauf hin, dass der HSV-Kader weiter qualitativ verbessert werden müsste, bevor neue Ziele in Angriff genommen werden dürfen (s. unten).
Dass die Spieler und auch Bruno Labbadia, dessen Erscheinen vor der Nordtribüne von den Fans mit Sprechchören gefordert wurde, mit viel Applaus in die Pause verabschiedet wurden, lag daran, dass der HSV in der gefühlten Tabelle weiter vorne liegt. Totaleinbrüche wie in der zweiten Halbzeit waren die absolute Ausnahme, stattdessen agierte der HSV deutlich stabiler und spielerisch ansprechender als in der Vorsaison. „Für den Aufwand, den wir betreiben, ist die Punkteausbeute zu wenig“, sagte Adler, der zu der Erkenntnis kam: „Nur die Bayern und jetzt Augsburg waren über die kompletten 90 Minuten wirklich besser als wir. In den anderen Spielen hätten wir die Punkte nicht dem Gegner überlassen müssen, hätten wir uns nicht so dämlich angestellt.“
Als die Stadiontechnik am Sonnabend die Arena fast komplett abdunkelte und in ein schwach gedämpftes Blau tauchte, liefen noch einmal die emotionalen Bilder vom gewonnenen zweiten Relegationsspiel in Karlsruhe auf den Videowänden. Mag sein, dass den noch wenigen gebliebenen Zuschauer etwas zu viel Pathos beim Jahresabschluss gereicht wurde, aber im Grunde stimmte es ja auch: Der HSV ist immer noch da, der Club hat es – besonders mit seinen unglaublich treuen Anhängern – geschafft, dass auch in 2016 Bundesligafußball geboten wird.
„Schon Wahnsinn, was in diesem Jahr alles passiert ist“, sagte Ostrzolek. „Die Ereignisse haben den Verein zusammengeschweißt, ob Fans, Verantwortliche, Spieler, Trainer oder Betreuer.“ Und Labbadia? Der HSV-Coach benötigte nur einen Satz, um dieses 2015 zusammenzufassen: „Es war definitiv mein emotionalstes Trainerjahr.“